Millionen Gäste kommen jeden Sommer nach Hamburg. Und die Hamburger? Verreisen dann auch. Müssen sie aber nicht: Im Juli öffnet ein Hotel nur für Hamburger, verteilt auf viele Wohnungen.
Herzlich willkommen im Hotel Hamburg, dem Hotel mit den längsten Fluren der Stadt – weil die ganze Stadt das Hotel ist. Willkommen im Hotel mit den unterschiedlichsten Zimmern, weil niemand weiß, was sich hinter den Türen verbirgt – oder wie viele es überhaupt haben wird. Herzlich willkommen im einzigen Hotel, das keinen Cent kostet. Hier einzuchecken ist gratis – aber nicht umsonst.
Dieses besondere Hotel öffnet im Juli seine Pforten, beziehungsweise öffnen die Hamburger ihre Pforten für das Hotel Hamburg. Unter dem Motto „Eine Stadt besucht sich selbst“ startet dann ein ungewöhnliches Kunstprojekt. Wenn man es einordnen will, dann irgendwo zwischen Couchsurfing und Abenteuerurlaub. Und so funktioniert’s: Wer Gast im Hotel Hamburg sein will, wird gleichzeitig auch Gastgeber. An der Rezeption an einem besonderen noch nicht bekannten Ort der Stadt gibt jeder seinen Wohnungs- oder Hausschlüssel ab und erhält dafür einen anderen. Der kann zu einem Neubaureihenhaus in Allermöhe gehören, zu einer Altbauwohnung in Eppendorf oder einem WG-Zimmer in Barmbek. Bei der Anmeldung im Voraus (siehe Infokasten) gibt man an, wie lange man bleiben möchte. Mitmachen kann man ab einer Nacht – oder die vollen 18 Tage auswärts nächtigen.
Reisen gegen den Trend: zu Besuch in der eigenen Stadt
Hoteldirektor und Regisseur des Ganzen ist Jan Holtmann. Der Hamburger Künstler lädt die Hamburger ein, Ferien gegen den Trend zu machen. „Wir tendieren dazu, immer länger immer weiter weg zu fahren. Ich will zeigen, dass das gar nicht nötig ist, um eine gelungene Reise zu machen“, sagt Holtmann. Er findet: Das Entdecken von Orten geht auch gut in der eigenen Stadt. Entscheidend sei: „Es ist eine Reise, kein Urlaub.“ Der Unterschied? „Im Urlaub jage ich Bildern hinterher, die ich vorher im Katalog ausgewählt habe. Beim Reisen entstehen Bilder, Erfahrungen und Geschichten, während man unterwegs ist.“ Folgerichtig hat er selbst keine Vorstellung davon, was im Juli passieren wird, wenn das Hotel Hamburg geöffnet ist, obwohl er das gleiche Projekt bereits in Köln durchgeführt hat. „Es ist auch für mich das reinste Überraschungsei.“
Spannend wird vor allem, wie viele Hamburger sich trauen, mitzumachen. „Das Projekt ist nichts für Bedenkenträger“, gibt Holtmann zu. Es braucht durchaus Mut, den Schlüssel zu seiner Wohnung Fremden zu überlassen. Deswegen fange das Projekt für seine Teilnehmer auch schon lange vor dem Einchecken an, sagt Holtmann. Nämlich dann, wenn jeder überlegt: Was lasse ich in meiner Wohnung stehen und liegen? Was möchte ich verbergen? Was ist mir unangenehm oder zu wertvoll? „Mit den Vorbereitungen fertigt man quasi eine Art Selbstporträt an.“ Und so lernt man zuerst etwas über sich selbst – bevor man kennenlernt, wie andere leben. Die Angst, bestohlen zu werden, findet Jan Holtmann nachvollziehbar. „Das Risiko lässt sich nicht ganz ausräumen.“ Aber: Die Hotelcrew prüft jeden Gast, der sich an der Rezeption persönlich anmelden und eine Vereinbarung unterschreiben muss. Nicht zuletzt lässt er mit seinem eigenen Schlüssel ein wertvolles Pfand zurück – und im Gespräch merke man schon, ob sich jemand mit dem Ganzen auseinandergesetzt hat, sagt Jan Holtmann. „Wenn einer schlechte Absichten hat, kann er die woanders bestimmt leichter umsetzen.“
Eine Bar, ein Friseur und ein Restaurant gehören auch zum Hotel – an vielen Orten
Wenn so ein Hotel funktionieren soll, öffnet man es besser nicht von einem Tag auf den anderen. Nach monatelanger Vorbereitungszeit hat der Testbetrieb in Hamburg bereits begonnen. Mehrere Abende an der mobilen Hotelbar gab es schon, zuletzt im Friseurladen „Kamm In“ nahe des Großneumarkts. Denn: „Ein gutes Hotel hat natürlich auch eine gute Bar und einen guten Friseur.“ Weitere Abende sollen folgen. „Das hat den Charakter von öffentlichen Proben“, sagt Holtmann. Im Juni steigt der große Hotelball mit Einweihung des Ballsaales im Sozialkaufhaus Stilbruch in Bahrenfeld.
Intimer geht es bei den Abendessen im Hotel-Restaurant zu, das in wechselnden Hamburger Privatwohnungen zu Gast ist. Das erste Dinner fand bei einem Künstlerpaar im neunten Stock eines der Grindelhochhäuser statt. Bei gratinierten Auberginen, Curry, Orangentarte sowie einem grandiosen Blick auf die Welt trafen sich Hamburger Künstler und Kulturschaffende und tauschten alles Mögliche aus – von Projektideen über Reiseerfahrungen. So schafft das Hotel Hamburg auch Raum für Begegnungen zwischen Hamburgern, die ja beim eigentlichen Zimmertausch nicht unbedingt stattfinden. „Wer Lust hat, den Besitzer seines Zimmers kennenzulernen, für den bieten wir ,Halbpension‘ an“, sagt Jan Holtmann. Das heißt: Es wird arrangiert, dass Gast und Gastgeber sich bei einem Essen treffen können.
Text: Beatrice Blank, Frank Keil
Fotos: Dmitrij Leltschuk
Sind Sie ein interessanter Gast? Und warum? Schreiben Sie eine E-Mail (Stichwort „Dinner“) und Sie haben die Chance, im Mai zu einem Essen im Hotel-Restaurant eingeladen zu werden: blog@hinzundkunzt.de
Anmeldung und Termine rund um das Hotel Hamburg: www.das-hotel-hamburg.de