Ein Treffen mit dem Weihnachtsmann

„Viele glauben wirklich an mich“

Zu Besuch bei Oliver Martinez, den nach 20 Jahren als Santa Claus leuchtende Kinderaugen immer noch zu Tränen rühren können

(aus Hinz&Kunzt 202/Dezember 2009)

Das Haus des Weihnachtsmannes ist schwer zu finden. Im Schatten des Michels wohnt er, hört jeden Tag den Turmbläser und den Klang der schweren Kirchenglocken. Sein Märchenhaus liegt verborgen in einem Hinterhof. Verwunschen wirkt der weiße Bungalow – so, als könnte er auch einfach wieder verschwinden, wenn keiner guckt. Drinnen steht neben der Treppe ein Paar blank gewienerter schwarzer Stiefel, an der Heizung hängt ein leuchtendroter Weihnachtsmann-Mantel.

Seit mehr als 20 Jahren beglückt Oliver Martinez als Weihnachtsmann Hamburger Kinder. Der 46-Jährige ist ein netter Kerl mit kleinem Kugelbauch, freundlichem Lachen und traurigen Augen. Einer, bei dem Kinder nach dem ersten Schreck schnell die Scheu verlieren, wenn er in voller Montur auf seine Runde geht. Für ihn bedeutet das Schwerarbeit: Im Kostüm schwitzt er so sehr, dass er gut ein Kilo an Gewicht verliert.
202-weihnachtsmannEin Bauchpolster macht ihn zum gemütlichen Weihnachtsmann, Bart und Augenbrauen sind vor grabbeligen Kinderhänden gut gesichert. Rauchen, Essen und Trinken sind tabu, wenn er seine Einsätze hat. Die wird er in diesem Jahr wohl wieder mit seinem geliebten Tempo Hanseat fahren, der zu einem echten „Santamobil“ umgebaut ist. Knallrot und mit schräger Weihnachtsdeko versehen. Wer fährt schon einen leuchtenden Rentierkopf auf der Kühlerhaube spazieren? Die positiven Reaktionen freuen ihn, und viel Spaß hat er, wenn ihn die Polizei fragt, ob er etwas getrunken habe. „Natürlich nicht!“ Das sei Ehrensache, auch wenn man ihm überall etwas anbietet.
Wenn er als Weihnachtsmann auf Tour ist, stellt er sich auf die Familien ein, lässt sich vorher von den Eltern etwas über die Kinder erzählen. Wer räumt sein Zimmer nicht auf, wer ist gut in Mathe? Es habe schon Eltern gegeben, die ihn gebeten hätten, den Kindern mit der Rute zu drohen. „Kommt nicht in Frage!“, grollt Martinez. Weihnachten sei schließlich ein besinnliches, frohes Fest mit Glücksmomenten. „Wenn was falsch gelaufen ist, hat man 364 Tage, um das zu korrigieren, aber nicht Heiligabend!“
Des Weihnachtsmanns Karriere begann mit Auftritten für Nichten und Neffen; als Martinez merkte, dass er damit gut ankam, machte er weiter. Seit einigen Jahren inseriert er einmal im Jahr in Niendorf, wo er seine Stammkunden hat. Mehr Werbung braucht er nicht. Zehn Auftritte schafft er schon mal am Heiligabend. Die Familien sind ihm ans Herz gewachsen. „Das ist so emotional für mich, dass ich manchmal den Tränen nah bin, wenn ich abends nach Hause komme“, sagt er. „Die Kinder führen was auf, sie singen, manche malen Bilder für mich“, sagt der Weihnachtsmann. „Und viele glauben wirklich an mich.“
An seinen eigenen sehnlichsten Weihnachtswunsch erinnert Martinez sich noch gut, an die Aufregung und die Erwartung, ob es klappen könnte – wider alle Vernunft, denn natürlich wusste er, dass seine Eltern sich eigentlich nicht viel leisten konnten. Und trotzdem träumte er von einem echten Lederfußball. Davon gab’s damals nur zwei in der ganzen Siedlung, „und man musste sich zum Kicken verabreden. Heute hat jedes Kind einen eigenen Ball, und sie spielen nicht mehr miteinander.“ Damals wurde es nur ein Plastikball, und die Gefühle der Sehnsucht und der Enttäuschung liegen noch immer dicht unter der Haut, auch wenn er es heute mit einem Schulterzucken abtut. So war’s halt damals.
Oliver Martinez wuchs in bescheidenen Verhältnissen als Sohn eines Postlerpaares auf und lernte früh, dass man für sein Geld hart arbeiten muss. „Mein Vater trug morgens die Post aus, putzte nachmittags, schnitt den Leuten die Haare, obwohl er’s nicht gelernt hatte, und ging den alten Omas im Viertel zur Hand“, erinnert er sich an seine Kindheit.
Ihn bringt auf, wie verantwortungslos manche Eltern in Bezug auf Wahl und Menge der Geschenke seien. „Man sollte Kindern was schenken, was ihre Kreativität anregt und keine Sachen, um sie ruhigzustellen“, sagt er. Mit Gruseln erinnert er sich an eine Familie, bei der die Kinder in einer Geschenkeflut fast untergingen. Das letzte Paket musste Weihnachtsmann Martinez mit der Sackkarre aus der Garage holen, „das war so groß wie ’ne Giraffe. Wie kann man Kinder nur so überschütten?“ Seither beschränkt er sich bei seinen Bescherungen auf zwei Geschenke pro Kind. Das kommt nicht immer gut an: „Eltern sind oft überfordert, was an Geschenken für Kinder wichtig ist“, sagt er.
Genauso setzt ihm das krasse Gegenteil zu – Familien, in denen die Vernachlässigung, die Gewalt spürbar sind und die Geschenke für die Kinder von absoluter Lieblosigkeit sprechen. Da leidet er mit den Kindern. Auch der Weihnachtsmann hat sich durchbeißen müssen.
Oliver Martinez hat viel erlebt, ausprobiert, überstanden in seinem Leben, einer, der immer wieder auf die Füße gekommen ist. Eine Kfz-Mechanikerlehre hat er absolviert, auf dem Großmarkt als Fahrer gejobbt und sich 1988 mit Obst und Gemüse selbstständig gemacht. Das klappte erstaunlich gut: „Ich war wohl der erste in Hamburg, der einen 24-Stunden-Service anbot.“ Einen Croqueladen hatte er auch am Laufen, alles hätte gut sein können, doch dann saß er plötzlich mit seinem sieben Monate alten Sohn als alleinerziehender Vater da. „Flasche geben, Windeln wechseln, den Lütten mit zur Arbeit nehmen, später in der Krippe abgeben“, erzählt er beiläufig. Nein, ganz allein erzogen habe er ihn nicht, schließlich habe er schon noch eine Partnerin gefunden. Und derLütte? Der ist jetzt 21 und genau so ein Lebenskünstler wie sein Großvater und sein Vater geworden.
Und was macht der Weihnachtsmann für den Rest des Jahres? Er tritt als Elvis auf. „Aber Elvis mache ich nicht mit Kostüm und Perücke“, ­betont er, denn schließlich ist er kein Elvis-Imi­tator, sondern Interpret. Und ein richtig guter, denn er hat eine Singstim­me mit Gänsehaut-Faktor. Da kommt was rüber bei seinen Auftritten als ­Elvis, so wie bei denen als Weihnachtsmann. Vielleicht sind Oliver Martinez die beiden berühmten Männer so nahe, weil der King die Herzen rühren konnte wie der Weihnachtsmann.

Text: Misha Leuschen
Foto: Daniel Cramer

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