Wer wegen Schwarzfahrens oder anderer kleinerer Delikte zu einer Geldstrafe verurteilt wird und diese nicht bezahlen kann, kommt in den Knast. Das ist sinnlos, findet die Hamburger Justizbehörde. Sie gibt den Gefangenen die Möglichkeit, ihre Haftzeit mit gemeinnütziger Arbeit zu verkürzen.
Von so ein bisschen Nieselregen lassen diese Männer sich den Tag nicht verderben. Mit heißem Kaffee und belegten Broten stärken sie sich, klopfen gut gelaunt lockere Sprüche und sich gegenseitig auf die Schultern. Das haben sie sich auch verdient. Gut drei viertel des Hamburger Stadtparks haben sie in den vergangenen Tagen von Müll befreit – und ein Rosenbeet angelegt, Wind und Wetter zum Trotz. Nicht umsonst nennt man Knackis „harte Jungs“. Wobei: So hart sind diese Jungs gar nicht. Weder haben sie Gewaltverbrechen begangen, noch sonst irgendwelche schweren Delikte. Es sind eher kleine Vergehen wegen denen sie verurteilt wurden: Diebstahl, Falschaussage, Schwarzfahren. Und die Gerichte, vor denen sie standen, fanden eben nicht, dass sie in den Knast gehören. Mit Geldstrafen sollten sie ihre Schuld begleichen. Nur: Das haben sie nicht geschafft. Und in solchen Fällen kennt das Gesetz nur eine Lösung: Knast.
Der 25-jährige Daniel hat immerhin 500 von rund 1000 Euro Geldstrafe, zu der er wegen Schwarzfahrens verurteilt wurde, abgestottert. Mehr ging nicht vom Lohn als Minijobber bei einer Sicherheitsfirma. Im Februar kam der Haftbefehl. Daniel bezahlt teuer für seine Mittellosigkeit: Seitdem hat er seinen jetzt sechs Monate alten Sohn Noah Adam nicht gesehen. Dessen Mutter trennte sich kürzlich von Daniel, seine Wohnung hat er auch verloren.
Ein Hafttag kostet die Behörde 155 Euro – und bringt oft keinem was
Statt seine Restschuld in der JVA Billwerder abzusitzen arbeiten er und vier Mithäftlinge sie ab. Den Elbstrand haben sie schon vorletzte Woche entmüllt. Was da alles zusammenkam: 100 große blaue Plastiksäcke voll. Jetzt im Stadtpark noch mal 40 Stück. Für ihre Arbeit bekommen die Häftlinge kein Gehalt, sondern etwas abgezogen, nämlich Haftzeit. Pro Acht-Stunden-Schicht anderthalb Hafttage. Da haben auch Staat und Steuerzahler etwas von: Ein einziger Hafttag für Häftlinge, die eine sogenannte Ersatzfreiheitsstrafe verbüßen, schlägt mit satten 155 Euro zu Buche.
Das findet sogar die Hamburger Justizsenatorin Jana Schiedek sinnlos: „Es bringt nichts Straftäter, die zu einer Geldstrafe verurteilt wurden, zu hohen Kosten für kurze Zeit ins Gefängnis zu bringen.“ Deswegen führt sie mit ihrer Behörde das Programm „Arbeit statt Haft“ durch. Ziel des Programms ist es vor allem, Menschen vor ihren Ersatzfreiheitsstrafen zu bewahren, also zu verhindern, dass sie überhaupt ins Gefängnis müssen. Seit 2000 gibt es „Arbeit statt Haft“ auch in den Justizvollzugsanstalten für Häftlinge, die ihre Haftzeit schon angetreten haben und mit gemeinnütziger Arbeit verkürzen wollen.
Der Justizvollzugsbeamte Achim Niemann betreut den ungewöhnlichen Reinigungstrupp in Hamburg und ist vom Konzept überzeugt: „Das sind oft eigentlich überflüssige Haftzeiten.“ Je kürzer die dauern würden, desto besser stünden die Chance für Schwarzfahrer und Co., anschließend wieder in ein geregeltes Leben einsteigen zu können.
Das wünscht sich auch Julien. Bis vor gut einem Jahr hat er seine Geldstrafe wegen Diebstahl und Falschaussage noch in Raten abgestottert, 300 Euro hat er dafür jeden Monat von seinem auch nicht gerade üppigen Lohn als Staplerfahrer im Hamburger Hafen abgezwackt. Als er die Stelle verlor und von Hartz IV leben musste, ging das gar nicht mehr. Seit Dezember sitzt er in der JVA Billwerder. Durch seinen Einsatz bei „Arbeit statt Haft“ hofft er, in ein paar Wochen wieder frei zu sein und schmiedet schon Pläne für die Zeit danach. Er will wieder im Hafen arbeiten, „erstmal bei einer Zeitarbeitsfirma“. Aber vielleicht wird ja irgendwann was Festes draus. Dass er seine Schuld begleichen muss findet Julien schon richtig. „Aber dass ich auf eine Stufe mit Schwerverbrechern gestellt werde, ist nicht gerecht.“ Viel lieber sammelt er Müll im Park, als in der Justizvollzugsanstalt zu sitzen. Und er genießt das Wir-Gefühl, das sich nach den ersten gemeinsamen Arbeitstagen bei der Aufräumtruppe eingestellt hat.
Dass der Einsatz Teamwork ist, dafür sorgt auch Betreuer Achim Niemann. Die Häftlinge rechnen ihm hoch an, dass er auch mal zum Müllsack greift. „Ich breche mir keinen Zacken aus der Krone, wenn ich mal mit anpacke“, sagt Niemann. Ihm ist Zusammenarbeit auf Augenhöhe wichtig. Er will sich auf die Jungs verlassen können. Das tut er weiterhin, auch wenn sein Vertrauen letztens ganz schön missbraucht worden ist. Ein Häftling ist nämlich auf dem Weg zum Einsatzort getürmt. Einfach losgerannt und bisher auch nicht wieder aufgetaucht. „Das ist natürlich ärgerlich“, sagt Justizbehördensprecher Sven Billhardt. „Aber sollen wir deswegen das ganze Projekt in Frage stellen? Unsere Mitarbeiter suchen die Gefangenen sehr sorgfältig aus.“ Und die Zahlen sprechen für sich: Durch „Arbeit statt Haft“ wurden in 2013 laut Justizbehörde 603 Geldstrafen mit rund 22.000 Tagen Ersatzfreiheitsstrafe ganz oder zum Teil getilgt. Dafür arbeiteten Häftlinge 115.000 Stunden gemeinnützig.
Daniel hat nur noch ein paar Tage Knast vor sich, bis seine Schuld beglichen ist. Dann will er als erstes seinen Sohn wieder in die Arme schließen, den er mehr als alles andere vermisst. Er plant, in seinem Traumberuf als Sicherheitsmitarbeiter eine Ausbildung zu machen und dem kleinen Noah Adam ein gutes Vorbild zu sein.
Text: Beatrice Blank
Fotos: Mauricio Bustamante