Graziella Schazad

Ein mädchenhafter Wirbelwind über Familie, Ziele und Musik

(aus Hinz&Kunzt 201/November 2009)

Schon seit einer Stunde warten wir jetzt auf Graziella Schazad. Buchstäblich verspielt habe sie sich im Studio, bei der Aufnahme ihres ersten Albums nicht auf die Zeit geachtet. Sagt zumindest der nette Pressemann, der uns zum Trost Kaffee und leckere Himbeertartes spendiert. Endlich kommt sie ins Literaturhaus Café gestürmt, ein mädchenhafter Wirbelwind aus langer dunkler Haarpracht, Hippiekleidchen und wortreichen Entschuldigungen. Und entwaffnet uns mit einer Handvoll Schokoriegeln, die sie als Entschädigung fürs Warten mit strahlendem Lächeln verteilt.

201-SchazadDoch hinter der Charmeoffensive verbirgt sich ein stahlharter Wille zum Erfolg. „Ich glaube fest an mein Potenzial“, sagt die Sängerin selbstbewusst. Und sie nutzt es gut, vor allem in den neuen Medien: Als ihre Plattenfirma Warner ihr die Chance bot, in der von der BILD-Zeitung produzierten Web-Serie „Deer Lucy“ die Hauptrolle zu spielen, griff sie trotz anfänglicher Bedenken zu. „Ich dachte, meine Musik passt da nicht“, sagt sie. Aber ihr Mann redete ihr zu und behielt Recht: Der von ihr geschriebene und gesungene Titelsong „Look at me“ wurde ein Erfolg, ihre erste CD soll im Februar erscheinen, und nicht nur bei „BILD“ prophezeit man ihr eine Weltkarriere.
Der Grundstein dafür wurde früh in einem echten Berliner Multikulti-Haushalt gelegt. Graziellas Mutter war als Kind aus Polen gekommen, ihr Vater mit 17 aus Afghanistan. „Bei uns ging es häufig hoch her, es gab eine Menge kultureller Konflikte, es war viel Kampf zu Hause“, erinnert sich die junge Frau an ihre Kindheit in Moabit und Charlottenburg. Zu Hause wurde deutsch gesprochen, weil die Mutter kein Polnisch sprach und der Vater sich weigerte, mit der Tochter afghanisch zu reden. „Er hat hier studiert und fühlt sich als Deutscher. Schließlich hat er mehr Zeit hier verbracht als in Afghanistan“, erklärt sie. Statt afghanisch spricht sie sehr gut englisch, denn ein großer Teil der Familie ihres Vaters lebt in den USA: „Da war Englisch der gemeinsame Nenner.“ Was sie aus diesem kulturellen Durcheinander mitgenommen hat? „Ich bin total tolerant geworden, denn ich habe gelernt, dass nichts normal ist. Normal gibt es nicht. Deswegen wundert mich auch so wenig.“
Disziplin lernte Graziella durch die Musik. Als sie drei Jahre alt war, meldete ihre Mutter sie zum Gitarrenunterricht an, ein Jahr später spielte sie bereits Geige. Tänzerin hatte sie eigentlich werden wollen. Aber für Ballett- und Klavierunterricht reichte das Geld nicht. Die Entscheidung fiel zugunsten der Musik aus. „Im Tanzen hätte ich mich auch nicht so gut ausdrücken können wie in meiner Musik“, sagt sie nüchtern. Bevor sie zur Erstkommunion das eigene Klavier bekam, musste sie auf einer Papiertastatur üben: „Das war schrecklich, da bewegte sich ja nichts!“
Mit zwölf schrieb sie ihren ersten Song – und es machte mächtig Klick: „Bis dahin war Musik nur Interpretieren gewesen. Aber da wusste ich, dass Musik mein Weg sein würde.“ So wurde sie externe Studentin an der renommierten Hochschule für Musik Hanns Eisler zu Berlin, die mit ihrem Gymnasium kooperierte. „Das war ganz schön anstrengend, denn es gab nichts außer Schule und Musik“, erinnert sie sich. Trotzdem fand sie die Ausbildung gut: „Eine tolle Basis, klassisch fundiert, die einem alles gibt, was man braucht. Und streng. Extrem streng!!“
Bis anderthalb Jahre vor dem Abi hielt sie durch: „Da wusste ich, dass dieser klassische Weg nicht meiner war, und wollte die Schule abbrechen. Ich wollte nur noch meine eigenen Sachen machen.“ Ihre Mutter, Leiterin eines Reisebüros, war entsetzt, doch Graziella setzte sich durch. „Bis heute streiten wir uns darüber. Aber wer fragt mich schon beim Vorsingen, ob ich Abi habe?“
Mit einer Freundin gründete sie ein Duo; beide spielten Gitarre, Geige und Klavier und sangen zweistimmig Folksongs. Unermüdlich tingelten sie über Messen, Hochzeiten, Festivals: „Irgendwann lief es, aber es hat gedauert, bis wir Geld verdienten.“ So lange hielten sie sich mit ihrem Kindergeld über Wasser: „Wir wohnten zusammen in einer total billigen Wohnung in Neukölln, da gab’s noch Außenklos. Das war schlimm. Und ich will nie wieder mit einem Ofen heizen müssen!“
Die Mädels spielten auf Wettbewerben und gewannen 2001 den vom MDR und Deutschlandradio verliehenen Folk-Förderpreis in der Kategorie Nachwuchs. Es folgten zahlreiche Konzerte und Festivals in ganz Europa. Bei der ARD-Show „Deutschlands Talente“ schaffte es das Duo bis ins Finale. Doch 2004 kam die Trennung. Darüber spricht sie nicht gern. „Ich wusste nicht, wie’s weitergehen sollte. Ich dachte, ich muss was ganz anderes machen und bin erst mal weggezogen. Nach Ingolstadt.“ Dort arbeitete ihr heutiger Ehemann Dominik, ein Web-Entwickler, der ihr zuredete, wieder Musik zu machen. Doch die Auftrittsmöglichkeiten in Ingolstadt waren begrenzt, und so zog das junge Paar nach Hamburg. „Ich wollte so etwas wie Berlin, aber eben nicht Berlin. Ich wollte von vorn anfangen, und das kann man nicht im alten Umfeld“, sagt sie. Heute lebt das Paar mit Hund und Katze zufrieden in der Schanze: „Das passt.“
Auch in Hamburg spielt sie live, so oft es geht – allein im vergangenen Jahr absolvierte sie siebzig Auftritte, verzauberte auch bei Megaveranstaltungen wie bei „The Dome“ (RTL) unplugged ein Riesenpublikum. „Live zu spielen ist Erfüllung“, sagt sie schlicht. „Dann fühle ich mich gut und denke, ich habe heute gut gearbeitet.“ Deshalb nutzt sie jede Gelegenheit, spielt auch in Gefängnissen oder Hospizen. Die besondere Energie bei solchen Konzerten hat es ihr angetan: „Mein erstes Santa-Fu-Konzert war das beste, das ich je hatte. Am Ende sind alle aufgestanden, haben getanzt und gejubelt. Ich würde mir wünschen, die Leute draußen würden so sein, so feiernd.“
Gefeiert hat man sie auch, als sie bei Warner ihre melodisch-melancholischen Folksongs live am Klavier vorspielte, anstatt ein Demo zu schicken, und man ihr gleich begeistert einen Plattenvertrag anbot. „Das wirkt jetzt so, als hätte ich ihn nur dadurch bekommen“, geniert sie sich. „Aber ich habe ihn mir wirklich hart erarbeitet.“ So richtig genießen konnte sie ihren Erfolg nicht. „Ich traue mich nicht, mich gleich fallen zu lassen, denn mir ist bewusst, dass ich vielleicht heute ein Hype bin, aber morgen nicht mehr.“
Es fällt ihr schwer, dass sie ihre Karriere jetzt nicht mehr allein in der Hand hat. Denn Disziplin und Ehrgeiz sind ihr Motor: „Ich kann es nur schwer genießen, wenn ich drei Wochen nichts zu tun habe. Dann muss ich schreiben oder üben, denn sonst denke ich, ich habe nicht genug getan für meine Chance. Ich bin eben total deutsch.“

Text: Misha Leuschen
Foto: Martin Kath

Die Single „Look at me“ von Graziella Schazad ist für
3,95 Euro bei Amazon erhältlich. Die Soap kann man unter http://bild.deerlucy.de gucken. Weitere Infos unter www.graziellaschazad.com

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