Im Fernsehen ist er „Dittsches“ Ansprechpartner für Gott und die Welt. Mit seiner Band Texas Lightning hatte er erst einen Superhit und dann eine kolossale Krise. Auf seinem ersten Soloalbum singt Jon Flemming Olsen über Tänze im Müll und das Weitermachen.
(aus Hinz&Kunzt 254/April 2014)
Sein Markenzeichen ist eine echt fiese Frise: Vokuhila, vorne kurz, hinten lang. Glücklicherweise sind das nicht seine richtigen Haare. Aber wenn Jon Flemming Olsen die braune Zottelperücke („meine Ananas“) aufsetzt und sich in der Eppendorfer Grillstation hinter den Tresen stellt, verwandelt er sich automatisch in den bauernschlauen Imbisswirt Ingo. So kennt und liebt ihn das Publikum der Kult-TV-Serie „Dittsche“ – nunmehr schon seit zehn Jahren. „Ah! Chefvisite“, seufzt Ingo zu Beginn jeder Live-sendung, wenn Dittsche (Olli Dittrich) im gestreiften Bademantel und mit Leergut bepackt in den Laden schlurft. Dann sabbeln beide ohne Drehbuch über Gott und die Welt.
Das Lustige: Von Haus aus ist Olsen gar kein Fast-Food-Fanatiker. Bei seinen gutbürgerlichen Eltern waren Currywurst und Co. verpönt, weil „qualitativ nicht gut genug“, sagt er. „Trotzdem habe ich mir als Buttje ab und an mal eine kleine Tüte Pommes mit Ketchup mitgenommen, meist nach dem HSV-Leichtathletiktraining. Das war wie ein Abenteuerausflug in eine andere Welt.“
2009 hat Olsen sich diese Welt der Imbissbuden angeschaut. Als Praktikant für einen Tag gondelte er quer durch alle Bundesländer, packte mit an: bei Familienbetrieben, Luxus-Grills, windschiefen Büdchen. Wo er neben „16 verschiedenen Currywurstschneidetechniken“ auch „16 spannende Lebensgeschichten“ kennenlernte. Heraus kam eine Liebeserklärung an die deutsche Imbisskultur in Buchform. Seine Tour de Frittes bestätigte, was er schon vorher dachte: „Wenn man sich die Mühe macht, den Menschen nahe genug zu kommen, steckt hinter jeder Tür eine Geschichte, die es wert ist, gehört und geschrieben zu werden.“
Flemming spielte früher bei den „Bietels“
Zu seiner Geschichte gehört viel mehr als nur die schräg-wunderbare Rolle von Ingo: Geboren ist der 49-Jährige in Düsseldorf, aufgewachsen in Hamburg-Winterhude. Die Großeltern hatten hier ein Fischgeschäft und ein Häuschen, in dem die ganze Familie lebte. Olsens Vater war Artdirektor und Grafiker, die Mutter Hausfrau, beide Musikliebhaber. „Zu Hause gab es ein Klavier, das auch benutzt wurde“, so Olsen. Mit fünf Jahren schickten ihn die Eltern in die Musikschule. „Ich habe das geliebt. Wir hatten alle so eine kleine Plastikorgel“, erinnert er sich.
Mit elf Jahren krachten dann die Beatles in sein Leben. „Ich weiß noch ganz genau, als ich das erste Mal das „Revolver“-Album gehört habe. Ich konnte ja noch kein Englisch und dachte, der Song ‚Tax Man‘ handelt wohl von einem Taxifahrer. Aber auch ohne die Worte zu verstehen, war ich tief getroffen.“ Zuvor hatte er bereits Blockflöten- und Geigenunterricht bekommen. Jetzt war Gitarre angesagt. 1978 gründete er dann die erste von mehreren Bands. Eine nannte sich „Die Bietels“. Später studierte er Gesang im Hamburger Popkurs. Nebenbei gestaltete er Plattencover für Udo Lindenberg, Max Raabes Palastorchester oder Stefan Gwildis.
Richtig bekannt wurde Olsen 2006 mit dem Sieg von Texas Lightning beim Vorentscheid zum Eurovision Song Contest. Er hatte die Band 1996 gegründet, spielte mit Künstlername „The Flame“ Gitarre. Der Country-Pop-Song „No no never“ war mehrere Wochen auf Platz eins der Singlecharts, lief auf jedem Radiosender. Doch mit den Folgen hatte Olsen zu kämpfen: „Für mich war das überwiegend eine verheerend schlechte Zeit. Ich habe diesen großen Erfolg leider nicht wirklich genießen können.“ Zwischen unzähligen neuen Freunden, Schulterklopfen und Plattenfirmenmenschen verlor er die Freude an der Musik. Das durfte bloß niemand merken: „Man will all diese Leute nicht enttäuschen. Man möchte denen nicht sagen: ‚Weißt du was? Ich finde das total beschissen.‘“
„Es gab nichts mehr zu erzählen. So war es. Dann musste erst mal die Gitarre weggelegt werden.“
Er habe sich damals wie in einer Mühle gefühlt, sagt Olsen nachdenklich. Zerrieben zwischen den Erwartungen der anderen, einer Plattenfirma, „die gerne schon vorgestern das nächste ,No no never‘ haben wollte“ und seinen eigenen Wünschen. Es war klar: Er musste einen Schlussstrich ziehen – auch wenn ihm das sehr schwer fiel. „Das war ja meine Band. Ich habe alles selbst gemacht: von der Songauswahl über die Arrangements bis zu den grünen Leuchtkakteen auf der Bühne, die ich mit der Stichsäge ausgesägt habe.“ Trotzdem habe es keine Alternative gegeben. „Es gab nichts mehr zu erzählen. So war es. Dann musste erst mal die Gitarre weggelegt werden.“ Das war 2009. Olsen und seine Frau Agnes – übrigens Vegetarierin – machten Nägel mit Köpfen und ließen auch gleich die Stadt hinter sich. Seither wohnen sie auf dem Land zwischen Eckernförde und Kappeln.
Sehr wahrscheinlich, dass einer der schönsten Songs von Olsens Solodebüt auch von seiner Frau handelt: „An deiner Wange klebt Konfetti / Die letzten Gäste gehen nach Haus / Ich glaub, der Teppich ist hinüber / Und ich seh auch nicht besser aus / Lass jetzt alles so stehn und liegen, wie es will / Die Musik ist egal / Tanz mit mir durch den Müll.“
Auf dem Album singt Jon Flemming Olsen zum ersten Mal in seiner Muttersprache. Zuvor habe er sich das „einfach nicht zugetraut“. „Weil es einen so nackt dastehen lässt“, sagt er, weil jeder jedes Wort versteht. Zu Banjo, Ukulele, Kontrabass, Mandoline und Gitarre singt Olsen neben seinen eigenen Songs auch Hits anderer Künstler und deutscht diese mit Wortwitz ein: „Golden Brown“ von den Stranglers wird bei ihm zu „Morgengrauen“, „Ballroom Blitz“ zu „Karl-Heinz Schmitz“. Am besten ist Olsen immer dann, wenn die Musik ruhiger und die Texte ernster werden. Wenn er in „Einfach glücklich“ von der Mutter, dem Manager und dem Schauspieler erzählt, die nicht schlafen können, weil sie sich nach dem Glück sehnen, das man nicht planen kann. Wenn er singt „Es ist, was es ist, und es ist ganz okay“ – auch wenn es „Nicht Amerika“ ist. Wenn er sich über die „Schlechte Welt“ aufregt und sich doch geschlagen geben muss, weil seine Begleitung auf alle Nörgeleien pfeift und lieber die roten Schuhe anzieht und tanzen geht. Nicht umsonst heißt das Album „Immer wieder weiter“.
Aufstehen, weitergehen, sich berappeln, das kennt Olsen. Da überrascht es nicht, dass er sich fürs „CaFée mit Herz“ stark macht. Bei einem Quiz erspielt er 1600 Euro für die Obdachlosen-Einrichtung. Regelmäßig spenden seine Frau und er Kleider. Weil er es „einfach notwendig“ findet, dass sich jemand um die kümmert, die Lebensbedingungen haben, „die sich unsereiner nicht vorstellen kann“ und kein Geld und kein Zuhause. „Ich bin sowieso leicht zu berühren“, sagt er, „aber wenn ich da rausgehe, weiß ich wirklich, wo ich gewesen bin.“
Text: Simone Deckner
Foto: Cornelius M. Braun