Ein ungewöhnliches Sparprogramm: Wie Quickborner Bürger ihrer Gemeinde aus der Finanzmisere helfen
(aus Hinz&Kunzt 200/Oktober 2009)
Man sollte die Temperatur im Freibad um drei Grad senken, schlug ein Bürger vor. Man könnte die Hausdächer für Solaranlagen verpachten, sagten andere. Und das Sportstadion an die Vereine abgeben. Mehr Gebühren für die Volkshochschule nehmen. Keine Weihnachtsbeleuchtung mehr aufhängen. Bei Kulturveranstaltungen sparen. „Wir könnten der Stadt auch Geld leihen“, rief plötzlich eine Frau. Was für eine Schnapsidee, dachte Bürgermeister Thomas Köppl. Wenige Tage später hatte die Stadt Quickborn vier Millionen Euro neu auf dem Konto.
„Damit hätten wir nie gerechnet“, sagt Köppl und nippt am Kaffee, er wirkt stolz auf seine Bürger und auch auf
sich selbst, den unerwarteten Bürgerkredit wertet er als Zeichen des Vertrauens. Seit 1999 ist der CDU-Mann Rathauschef in Quickborn. Bisher waren die Kassen der 20.000-Einwohner-Stadt im Nordwesten von Hamburg gut gefüllt, man trug fleißig Schulden ab und investierte etliche Millionen, um familienfreundlich zu sein für Pendler und um attraktiv zu werden als Standort für große Unternehmen. Beides klappte gut.
Doch die fetten Jahre sind vorbei. Wie alle Kommunen spürt auch Quickborn die Wirtschaftskrise: In den kommenden Jahren werden der Stadt 1,8 Millionen Euro jährlich in der Kasse fehlen, die Verschuldung könnte
bis 2012 auf 41 Millionen Euro wachsen. Sparen, sparen, sparen, lautet nun Köppls neuer Kurs. „Aber dabei will ich die Bürger mit ins Boot holen.“ Und das gehe nur über offene Diskussionen.
Anfang Juli lud der Bürgermeister zu einer Bürgerstunde ein. Thema des Abends: die miese Haushaltslage. Etwa 500 Quickborner kamen. Köppl erklärte die Lage, bat um Vorschläge, wo man den Rotstift ansetzen müsse und um Ideen, wie die Stadt wieder flüssig werden könne. „Will der jetzt, dass wir ihm Geld leihen?“, murmelte irgendwann jemand hinter ihr, erzählt Cornelia Dommel, es sollte wohl nur ein Witz sein. Aber genau das ist es, dachte sich die Wirtschaftsinformatikerin, stand auf und sprach die Idee aus. „Warum sollte eine Kommune bei ihren Bürgern keine Schulden machen können?“
Kaum war der Vorschlag auf dem Tisch, meldeten sich im Rathaus die ersten Bürger: Was würde die Stadt an Zinsen zahlen? Köppl und sein Team überlegten nicht lange: Für den notwendigen Bankkredit müsste die Stadt etwa 4,5 Prozent Zinsen zahlen, einem Anleger würde Tagesgeld momentan etwa zwei Prozent einbringen. „Also haben wir gesagt, wir treffen uns in der Mitte“, sagt Köppl. Mindes-tens 5000 Euro sollte ein Bürgerdarlehen betragen, ein Jahr Laufzeit, dann zahlt die Stadt das Geld mit drei Prozent Zinsen zurück. Kämmerin Wölfel setzte einen Serienbrief auf und entwarf den Vertrag, eine DIN-A4-Seite nur, vom Bürgermeister bereits unterschrieben.
„Das ging alles ganz schnell und unbürokratisch“, sagt Hans-Ulrich Plaschke. Genau 5000 Euro hat er der Stadt gepumpt, seine Frau überwies die gleiche Summe. „Von mir aus hätte es auch ein oder zwei Prozent geben können, völlig egal“, sagt Plaschke. „Es war eine ungewöhnliche und gute Idee, um der Stadt aus der Klemme zu helfen.“ Für mehr als 20 Millionen Euro lässt Quickborn derzeit die Schulen sanieren oder gleich neu errichten; das Projekt gilt als größtes Bauprogramm in der Geschichte der Stadt. In nur einem Jahr sollen die Schüler schon in neuen
Räumen sitzen – Rekordzeit für eine Kommune. „Es gibt viele Baumaßnahmen, also muss das Rathaus auch flüssig sein, begründen viele Bürger ihren Kredit an die Stadt“, erzählt Schriftsteller Peter Jäger.
Insgesamt 800 Interessierte meldeten sich, 80 überwiesen. Man hätte noch viel mehr einnehmen können, erzählt Kämmerin Wölfel, doch das hätte den zulässigen Kreditrahmen gesprengt. Der gute Zinssatz lockte auch Anleger aus dem Umland: Ein Geldgeber, der nicht in Quickborn lebt, legte sogar eine Million Euro an. Schade findet das Cornelia Dommel, selbst mit 5000 Euro dabei. Schließlich sei es ursprünglich darum gegangen, dass die Bürger sich für ihre Stadt einsetzen. „Da ist unsere Verwaltung wohl von den Ereignissen überrollt worden.“
Ja, gibt der Bürgermeister zu, eigentlich habe man sich auf die ungewöhnliche Aktion besser vorbereiten wollen. Mit ihrer kreativen Art, an Geld zu kommen, sind die Quickborner schließlich nicht allein. Langen im Landkreis Cuxhaven überlegt, eine „Statt-Aktie“ herauszugeben und über eine stadteigene Aktiengesellschaft zu vermarkten. Auch Celle will mit einer sogenannten Kommunalanleihe zehn Millionen Euro in die leere Kasse bekommen. Wertpapiere mit festen Zinsen über eine Bank an die eigenen Bürger und an lokale Unternehmen auszugeben, ist auch Thema in Ahrensburg im Landkreis Storman. Doch ob sie mit einer Bank zusammenarbeiten oder wie in Quickborn die Geschäfte alleine abwickeln, alle Städte argumentieren gleich: Geld vom Bürger zu leihen spart Zinsen.
Stimmt aber nicht, kontern Finanzfachleute. Was sich zunächst vielleicht schlau anhöre, sei eine unsichere Sache. Schließlich müsse eine Kommunalverwaltung Zinsprog-nosen abgeben, und das falle sogar Banken schwer. Man muss einen guten Marktüberblick haben und die Zinssätze immer wieder anpassen, warnt der Bund der Steuerzahler Schleswig-Holstein: „Wie will ein Rathaus so etwas leisten?“ Fleischermeister Jens Konarski sieht es ähnlich. „Da verzettelt man sich doch nur“, sagt er und putzt seinen Marktstand vor dem Quickborner Rathaus sauber für die Heimfahrt.
Einige Hundert Kilometer entfernt überlegen in Bonn Mitarbeiter der staatlichen Bankenaufsicht BaFin, ob die Stadtverwaltung Quickborn mit ihrer Kreditaktion
Gewinn machen will. Und der Bundesverband Deutscher Volks- und Raiffeisenbanken sieht bereits die Quickborner Unternehmen leiden, da den Banken am Ort nun das Geld für Kredite fehle. Lächerlich, findet Bürgermeister Köppl, er wolle doch nicht ins Kreditgeschäft einsteigen. „Bei der Größenordnung hier, das ist Klöterkram, da ist weder der Kreditplatz Deutschland in Gefahr, noch steht jetzt der Zusammenbruch der nächsten Bank bevor.“ Würde
die Verwaltung denn ein zweites Mal Kredit bei den Bürgern aufnehmen? „Mal schauen“, sagt Köppl. „Vorstellen kann ich es mir.“
In den diversen Bankfilialen an der frisch sanierten Quickborner Einkaufsmeile Bahnhofstraße ist man jetzt schon verschnupft. „Wenn ich Geld brauche, dann frage ich doch erst mal jemanden, der sich damit auskennt“, sagt Peter Jaster, Prokurist bei der VR Bank Pinneberg.
Außerdem hätte die Stadt an einen günstigeren Kredit kommen können. Kämmerin Wölfel und die örtliche Presse dagegen berichten, dass die Banken im Juli mehr als drei Prozent Zinsen verlangten. Runtergegangen seien sie erst, als die Bürger ruck, zuck ein paar Millionen an die Stadt überwiesen hatten.
Bürgermeister Köppl betont jetzt immer wieder, dass es ihm bei der Aktion vor allem um das Einbeziehen der Bürger in die Politik gegangen sei. „Natürlich hätten wir irgendwo einen Kredit aufnehmen können, die Zinsen sind nicht der Punkt.“ Die Quickborner aber hätten freiwillig gegeben, warum also hätte die Verwaltung das Engagement der Bürger ablehnen sollen? „Wenn man Geld anlegt, dann interessiert man sich auch mehr für das, was in der Stadt passiert“, sagt Cornelia Dommel. Dass sie die Banken nun umspielt haben, halten viele Quickborner für einen netten Nebeneffekt. „Es ist richtig, dass die Banken was vor den Bug kriegen, die haben schließlich genug verbockt“, sagt Hans-Ulrich Plaschke. Jetzt hoffe er auf „weitere kreative Finanzierungsideen“ aus dem Rathaus.
Es waren nur vier Millionen Euro. Peanuts für Banker. Klöterkram für Bürgermeister Köppl. Aber es war ein Sig-
nal: Es geht auch ohne euch.
Text: Daniela Schröder
Foto: Mauricio Bustamante