17 Jahre lang bestückte der Musiker Ferdinand Försch sein Klanghaus mit einzigartigen Instrumenten und Tönen. Nun muss er es räumen – immerhin ist er demnächst Teil einer Theaterinszenierung.
(aus Hinz&Kunzt 253/März 2014)
Eigentlich geht sein Mietvertrag noch bis zum Ende des Jahres. Aber er ist schon am Packen. Im August will er alles hinter sich haben – Ferdinand Försch räumt sein Klanghaus im Stadtteil Billbrook: ein Haus am Ende eines Industriegebietes, zwischen rostigen Containern, zugewucherten Bahngleisen und windschiefen Wellblechhallen. Hier hat er seine Musik komponiert, seine Instrumente gebaut, zu Konzerten eingeladen und Ausstellungen veranstaltet. „Ich hab hier zehn Tonnen an Musikinstrumenten und Material stehen, ich bin ja seit 17 Jahren vor Ort“, sagt er. Seine Stimme klingt rauchig und rau. Nein, nicht Bayern. Franken! Genauer: Mittelfranken! Da, wo der Frankenwein herkomme. So viel Zeit muss sein.
Viermal wurde das Haus, in dem er arbeitet und wohnt, auftritt und ausstellt, schon weiterverkauft. Der neue Eigentümer aber habe diesmal keinen Zweifel daran gelassen, dass er ihn als Mieter raushaben will. Ferdinand Försch zündet sich eine Zigarette an, kaum ist die vorige erloschen: „Erst mal war das ein Schock.“
„Ich spiele für einen, ich spiele für zehn, ich spiele für tausend, das ist mir wurscht.“
Alles beginnt, als er als junger Mann erst in Würzburg, dann in Stuttgart Schlagzeug, Komposition und elektronische Musik studiert. Er ist später liiert mit einer Tänzerin aus John Neumeiers Balletttruppe. Mit ihr besucht er in London einen Workshop für Choreografen und Komponisten und trifft dort auf die Größen der Neuen Musik: den Tänzer Merce Cunningham und den Musiker John Cage. Besonders Cage ermuntert ihn, die Töne zwischen den Tönen herauszuhören und Geräusche wie Musik anzunehmen: „Neun Jahre lang hatte man mir an der Musikhochschule gesagt, was sein darf und was nicht, und nun sagte Cage zu mir: ‚Geh raus vor die Tür und hör dir deine Welt an, schaue mit offenen Augen.‘“ Er lässt sich das nicht zweimal sagen.
Als er 1982 nach Hamburg kommt, führt ihn einer seiner ersten Wege auf einen Schrottplatz. Dort bückt er sich, nimmt alles in die Hand, sagt „Ja“, sagt „Nein“ und baut sich so aus Fundstücken sein erstes Musikinstrument, dem viele Dutzend folgen. Er will die Trennung zwischen dem Instrumentenbauer, dem Komponisten und dem Musiker auflösen. „Ein Instrument ist dann fertig, wenn es mir erlaubt, damit ein konzertantes Musikstück zu spielen“, sagt er. Entsprechend gibt es für jedes Instrument nur ein Musikstück, ist es doch genau für dieses Stück gemacht. Es überrascht nicht, dass es seine Musik nicht auf Tonträger gibt. Seine Musik ist live oder sie ist nicht. „Ich spiele für einen, ich spiele für zehn, ich spiele für tausend, das ist mir wurscht. Hauptsache, ich spiele.“
Schwierig ist es mit dem Geldverdienen. Die Szene, die sich für diese Musik zwischen Minimal Art, Jazz und Neuer Musik interessiert, ist klein. Noch dazu besteht sie aus jeder Menge Individualisten. Und Sponsoren? Wer sucht eigentlich keine Sponsoren? Einmal gibt ihm die Kulturbehörde einen Zuschuss von 4500 Euro. Für zwölf Veranstaltungen. „Das Geld ging direkt an die Musiker weiter“, sagt er.
„Ich würde gerne ein Zentrum für experimentelle Kunst gründen.“
Er unterrichtet, gibt Workshops. Kita-Gruppen und Schulklassen sind bei ihm zu Gast. Er veranstaltet Konzerte und so ziemlich alles, was in der Freien Musik Rang und Namen hat, tritt hier am Rande Hamburgs auf. Geht er selbst auf Tournee, taucht er in die Klänge und Geräusche vor Ort ein, statt einfach ein paar mitgebrachte Stücke abzuspulen: Für einen Auftritt in New York erfindet und baut er so ein metallenes Streichinstrument namens „Brooklyn-Bridge“. Als er über die Elfenbeinküste, Togo, Kamerun, Nigeria bis in den Kongo unterwegs ist, erfreut er seine Zuhörer mit einer riesigen Trommelwand. „Die dachten, das wäre so ein typisch deutsches Musikinstrument“, grinst er.
Aber ein Jahr hat zwölf Monate und damit zwölf Mieten und überhaupt jede Menge Kosten, Jahr für Jahr. Und er lässt seine schwere Lederjacke galant von den Schultern gleiten, greift zu zwei Schlegeln, trommelt schnell und präzise auf einige über einen Holzkorpus gespannte Saiten, und im Nu preschen rhythmisch-dynamische Töne durch den Raum. Er wird wieder langsamer, lässt die Töne verhallen: „Na, mal bis hierher.“ Behutsam legt er die Schlegel zur Seite, dreht sich eine Zigarette, sagt dann: „Ich bin froh, dass ich aus dieser Situation rauskomme.“ Und dass er versuchen wird, die Situation zu drehen, die Auflösung seines Klanghauses als Chance zu nutzen, und ein fernes Ziel gäbe es auch: „Ich würde gerne ein Zentrum für experimentelle Kunst gründen.“ Da müsste es doch Mitstreiter geben.
Gerade eröffnet sich ihm ein neues Feld: das Theater. Für das deutsch-belgische Stück „Front“ über den Ersten Weltkrieg, demnächst am Thalia Theater, wird eine seiner Klanginstallationen das Bühnenbild sein, und er wird während des Stücks darauf seine Musik spielen. Drei Wochen war er gerade mit seinen Schauspielerkollegen in Gent, dieser Tage beginnen in Hamburg die Proben, und man wird sehen, wohin ihn dann die nächsten Schritte führen werden.
„Ich bin jetzt erst mal still“, sagt er. Er dreht sich um, geht zwischen seinen Instrumenten hindurch, tritt ans Fenster, schaut nach draußen, wo gerade rumpelnd ein Schwerlaster die Straße entlangbraust. Geht weiter und zündet sich im Gehen eine nächste Zigarette an.
Text: Frank Keil
Foto: Cornelius M. Braun
„Front“ – eine Polyfonie nach „Im Westen nichts Neues“ von Erich Maria Remarque, „Le Feu“ von Henri Barbusse und Zeitdokumenten. Premiere: Sa, 22.3., Thalia Theater, 20 Uhr, Karten von 13,50 bis 66 Euro