Michail Denisov, 59 Jahre, verkauft seit 1999 die russische Straßenzeitung Put Domoi in St. Petersburg. Er liebt die Stadt – auch wenn sie ihm kein Dach über dem Kopf und kaum eine Zukunft bieten kann.
Meine Straβenzeitung heißt „Put Domoi“ – das bedeutet „Heimreise“. Vorher hieß sie aber „Na Dne“ – und das bedeutet „ganz unten“. Ich fing 1999 bei Put Domoi an. Wenn ich auf der Straβe stehe und die Zeitung verkaufe, fragen mich die Leute oft: „Wie ist es denn so, obdachlos zu sein?“
Viele wissen gar nicht, dass Obdachlosigkeit ein großes Problem darstellt und dass es viele obdachlose Menschen wie mich gibt. Andere haben eine sehr eingeschränkte, klischeehafte Vorstellung und denken, alle Obdachlosen seien irgendwie heruntergekommen und besoffen. Umso überraschter sind sie dann, wenn sie sehen, wie ich gut gekleidet und nüchtern Zeitungen verkaufe. Viele versuchen, meine Situation nachzuempfinden und mich besser zu verstehen. Und manche Leute haben sogar selbst ähnliche Erfahrungen gemacht. Mit denen kommt man am besten zurecht.
Mir liegt es am Herzen, dass die Menschen mir zuhören.
Obdachlos zu sein, bedeutet für mich, allein zu sein. Die Menschen hier in St. Petersburg sind verschlossen. Nett, aber verschlossen. Dabei müssen die Menschen verstehen, warum es so wichtig ist, Obdachlosen zu helfen. Denn nur wenn sie verstehen, helfen sie. Mir liegt es am Herzen, dass die Menschen mir zuhören und wissen, dass ich in der Stadt, die ich liebe, als Obdachloser lebe.
Dass meine Gedichte in unserer Straβenzeitung abgedruckt werden ist für mich einer meiner gröβten Erfolge. Wenn ich die Zeitung verkaufe, erzähle ich jedem davon. Die Menschen schlagen die Seite nach und kaufen die Zeitung. Manche fragen mich sogar nach einem Autogramm. Ich glaube, für die Menschen ist das Interessante, dass sie den Verfasser dieser Gedichte persönlich kennenlernen können. Insbesondere wenn die Menschen die Zeitung regelmässig kaufen. Mir gefällt der Gedanke, dass dies der Grund ist, warum ich so viele Exemplare verkaufe.
Mein Lieblingsort in St. Petersburg ist die Strandpromenade. Ich liebe St. Petersburg wirklich sehr und würde die Stadt für keine andere eintauschen. Doch die Menschen rennen wie blind durch die Straßen. Die Strandpromenade ist hingegen ein Ort zum durchatmen. Dort kann man einfach auf das Wasser starren und an seine Liebsten denken.
Ich hoffe, dass die Menschen sich eines Tages mehr Beachtung schenken und sich gegenseitig zuhören. Ich hoffe, dass meinem Problem Aufmerksamkeit gewidmet wird und dass diejenigen, die fragen „Wer sind diese Menschen?“ und „Leben manche Leute wirklich so?“ nie selber in eine solche Lage geraten.
Text: Streetnews Service
Foto: Put Domoi