Arme Menschen aus Osteuropa strömen durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit ins Land und belasten die Sozialkassen. Das befürchtet die CSU. Die Sorge ist unbegründet. Im November waren in Hamburg gerade einmal 304 Bulgaren und Rumänen arbeitslos gemeldet.
Mit dem Jahreswechsel fielen für Bulgaren und Rumänen die letzten Job-Schranken in der Europäischen Union. Im Vorfeld hatte die CSU Ende 2013 unter dem Titel „Wer betrügt, der fliegt“ eine Kampagne gegen sogenannte Armutsmigration gestartet und damit einen ersten Streit in der Großen Koalition ausgelöst. Jetzt meldet sich Hamburgs DGB-Vorsitzende Katja Karger zu Wort: „Es ist unfassbar, welche Stigmatisierungen und Vorurteile die Debatte über Zuwanderer hervorbringt. Hier werden rassistische Klischees bedient, die in unserer Gesellschaft keinen Platz mehr haben dürften und bekämpft gehören.“ Zustimmung erhält die DGB-Vorsitzende von der stellvertretenden SPD-Vorsitzenden Aydan Özoguz: „Wer so tut als seien alle Menschen aus Bulgarien und Rumänien arm und würden bei uns nur um Sozialleistungen anstehen, der verkennt die vielen Hochqualifizierten, die bei uns beispielsweise als Ärzte und Pflegekräfte im Gesundheitsbereich arbeiten.“
Durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit ist für Bulgaren und Rumänen seit Jahresbeginn für eine Beschäftigung bei einem Arbeitgeber in Deutschland keine Arbeitserlaubnis mehr erforderlich. Bis Ende vergangenen Jahres galten für Bürger aus beiden Ländern noch eingeschränkte Regelungen. So mussten sie sich unter anderem selbstständig versichern.
Bundesweit leben etwa 368.000 Bulgaren und Rumänen in Deutschland. Das Institut für Arbeitsmarktforschung und Berufsforschung (IAB) schätzt in einem aktuellen Bericht, dass 60 bis 64 Prozent von ihnen erwerbstätig sind. Mit eingeschlossen in dieser Berechnung sind auch die selbstständig beschäftigten Arbeitskräfte und Saisonarbeiter. Die Arbeitslosenquote liegt mit 7,4 Prozent sogar knapp unter dem Bevölkerungsdurchschnitt von 7,7 Prozent. Die restlichen gut 30 Prozent der Bulgaren und Rumänen sind weder erwerbstätig, noch beziehen sie Sozialleistungen.
Nach Aussage der IAB kann man die Zuwanderung nicht pauschal als „Armutszuwanderung“ bezeichnen. Das Institut schätzt, dass in diesem Jahr 100.000 bis 180.000 Personen nach Deutschland kommen werden. Im vergangenen Jahr waren es noch 70.000 Personen. In Folge dessen könnte der Anteil der Sozialhilfebezieher in den kommenden Monaten auf den Durchschnitt der ausländischen Bevölkerung von 16 Prozent ansteigen. Insgesamt würde der Anteil der Bulgaren und Rumänen unter allen Sozialhilfebeziehern allerdings bei gerade einmal 1,5 Prozent dadurch liegt.
In Hamburg leben laut dem Statistikamt Nord 9212 Bulgaren und Rumänen. 1881 von ihnen gingen zum Stichtag 31. März 2013 einer sozialpflichtigen Beschäftigung nach. Die Quote der arbeitslosen Rumänen und Bulgaren ist bislang sehr gering: Gerade einmal 304 Personen waren im November 2013 arbeitslos gemeldet und erhielten somit Sozialleistungen.
Eine Panikmache aufgrund der Zuwanderung hatte EU-Kommissar László Ando bereits im Oktober gegenüber Hinz&Kunzt zurückgewiesen: „Europaweit betrachtet haben wir keine exorbitanten Wanderungsbewegungen von Rumänen und Bulgaren.“
Zumal viele gut qualifizierte Bulgaren und Rumänen einwandern. 54 Prozent können eine Ausbildung oder einen Hochschulabschluss vorweisen. Deutschland profitiert von diesem Zuzug. „Wir sind dankbar, wenn eine polnische Krankenschwester nach Hamburg kommt, wir haben nämlich nicht genug Krankenschwestern“, hatte Sozialsenator Detlef Scheele bereits im April 2013 gegenüber Hinz&Kunzt erklärt.
Etwa 46 Prozent der Bulgaren und Rumänen kommen ohne abgeschlossene Ausbildung nach Deutschland. Sie sehen in ihrer Heimat oft keine Perspektive mehr. Hilfe bietet ihnen in Hamburg die Beratungsstelle für mobile europäische Arbeitnehmer.
Einen Einblick in das Leben der Wanderarbeiter bietet das Museum der Arbeit noch bis 2.3.14 mit der Ausstellung „Wanderarbeiter. Fotografien einer neuen Arbeiterklasse“. Teil der Ausstellung sind auch Fotografien von Hinz&Kunzt-Fotograf Mauricio Bustamante. Museum der Arbeit im Wiesendamm 3, Mo, 13–21 Uhr, Di–Sa, 10–17 Uhr, So, 10–18 Uhr, 6/4 Euro.
Text: Jonas Füllner
Foto: Mauricio Bustamante