Die aktuelle Hinz&Kunzt ist das erste Heft, für das unser neuer Herausgeber Dirk Ahrens verantwortlich zeichnet. Ein Gespräch mit dem neuen Landespastor und Diakoniechef über die sozialen Herausforderungen.
Sie ist weg. 14 Jahre lang war Annegrethe Stoltenberg unsere Herausgeberin. Mit ihr als Landespastorin und Diakoniechefin haben wir die Schill-Ära und die Einführung von Hartz IV durchgestanden – und die ersten Folgen der EU-Osterweiterung. Mit Dirk Ahrens, bislang Chef des Diakonischen Hilfswerks und Mitglied im Diakonie-Vorstand, werden wir neue Herausforderungen meistern. „Es wird mehr Migrations- und Flüchtlingswellen geben als bisher“, sagt der 50-Jährige. „Jetzt schon hat in Hamburg die Hälfte der Kinder unter zehn Jahren einen Migrationshintergrund, sie tragen Kultur, Sprache und Themen aus aller Welt in unser Land, in unsere Stadt. Darauf müssen wir reagieren.“
„Der soziale Frieden ist ein großer Schatz dieses Landes.“
Dass viele Menschen Angst vor diesen Änderungen haben und dass man darauf eingehen muss, ist für ihn selbstverständlich. „Dagegen hilft Integrationspolitik, die gelingt, Bildungspolitik, die gelingt, und das Zusammenhalten der sozialen Schere“, sagt Ahrens. „Der soziale Frieden ist ein großer Schatz dieses Landes, den es zu bewahren gilt.“
Das bedeute auch, dass sich die Arbeit in der Diakonie noch mehr verändern wird: „Wir werden stärker in multikulturellen und vielsprachigen Teams arbeiten müssen. Das erfordert eine Teambildung, einen Zusammenhalt und ein Vertrauen, das wir so bisher nicht brauchten.“ Und: „Für die Diakonie bedeutet das, sich noch stärker interkulturell und interreligiös zu öffnen.“
Da spricht er große Worte gelassen aus. Er glaubt fest, dass diese Veränderungen möglich sind – und „sogar beglückend sein können“. „Wir haben im Moment eine Situation und eine Atmosphäre in der Stadt, die wir noch nie hatten: eine große Offenheit und Bereitschaft, sich in die Situation von Flüchtlingen und Migranten hineinzufühlen“, sagt Ahrens. St. Pauli habe den Start gemacht mit der Lampedusa-Gruppe. „Das finde ich großartig. Das ist richtiggehend ein Geschenk an die Stadt und an die Gesellschaft.“ Und es baue Berührungsängste ab. Ähnlich wie auch Hinz&Kunzt es seit Jahren tue. „Das Projekt ermöglicht es Menschen, dort zu helfen, wo sie sonst vielleicht nur mit Angst und Distanz reagieren würden.“
Politisch und sozial war Ahrens immer schon interessiert. Er stammt aus einer sozialdemokratisch-gewerkschaftlichen Bergarbeiterfamilie aus dem Harz, mütterlicherseits aus St. Pauli. Weil für ihn Gerechtigkeitsfragen immer auch eine religiöse Dimension haben, wollte er unbedingt Missionar werden. Mitten in der Ausbildung, die er in einer Bruderschaft absolvierte, wurde ihm klar: Ich bin homosexuell. Für ihn stand außer Frage, dass er sich outen würde. Das war in den 70er-Jahren und es hatte fatale Folgen.
„Ich weiß sehr genau, was es heißt, herauszugehen aus dem Wir, was es heißt, klar abzubiegen von der Meinung einer Mehrheit.“
Das Missionswerk schickte ihn nicht nach Übersee, und seine Familie hatte massive Schwierigkeiten, ihn zu akzeptieren. „Es war eine umwälzende Erfahrung“, sagt er heute. „Ich weiß sehr genau, was es heißt, herauszugehen aus dem Wir, was es heißt, klar abzubiegen von der Meinung einer Mehrheit.“ Aber eine Alternative gab es nicht. „Man kann niemand anders sein.“ Getragen habe ihn in all den Jahren, dass er sich als „Gottes wertvolles Geschöpf“ gefühlt habe, sagt er. „Aber die meisten Menschen in Not haben diese innere Gewissheit nicht.“ Erst 1990, nach dem Mauerfall, bekam er eine Chance, er absolvierte sein Vikariat in Greifswald. Ordiniert wurde er wegen seiner Homosexualität allerdings nicht. Stattdessen bildete er Lehrer für den Religionsunterricht aus.
Erst 2001 ging sein Lebenstraum in Erfüllung. Er wurde Gemeindepfarrer in Wandsbek. Ein Jahr später heiratete er seinen Freund, den er in Vorpommern kennengelernt hatte. In seiner Kirche bekam er den Segen von der Pröpstin, und quasi die ganze Gemeinde war dabei. „Einer der beglückendsten Momente in meinem Leben.“
Auch damals schon kamen viele Flüchtlinge nach Hamburg. Es kursierten Sprüche wie „Das Boot ist voll“. Ahrens dagegen fand es wichtig, zusammen mit anderen den Flüchtlingen zu helfen. „Solidarität ist beglückend“, sagt er. Dass sein Engagement sein Leben verändern würde, ahnte er nicht.
Viele Flüchtlinge waren alleinreisende Jugendliche. Das Diakonische Werk Blankenese suchte händeringend Vormünder. Gemeinsam mit seinem Mann übernahm er die Verantwortung für einen muslimischen Jungen aus Westafrika, den sie später auch adoptierten. Sein Sohn hat den Schulabschluss gemacht, eine Ausbildung absolviert und ist jetzt Handwerksgeselle. Trotzdem ist sein Leben nicht einfach. „Ich erlebe jetzt in der eigenen Familie, wie schwer es für einen jungen Mann aus Afrika ist, sich in Hamburg zu bewähren.“ Jetzt will der neue Landespastor dazu beitragen, dass Vorurteile abgebaut und Integration erleichtert werden.
Text: Birgit Müller
Foto: Cornelius M. Braun