Norbert Mieck gewann mit seinem Gedicht den Schreibwettbewerb Winternächte der Diakonie Hamburg.
(aus Hinz&Kunzt 251/Januar 2014)
Du, Kumpel, rück mit deinem Hümpel
ein bisschen noch beiseite,
ich war heut 16 Stunden unterwegs,
sah in gesättigte Gesichter
und Seelen voller Hunger.
Fast kam in mir schon Mitleid auf.
Du, Kumpel, lass mich an dir wärmen,
der Frost frisst schon an meinen Knochen,
ich war heut 16 Stunden unterwegs.
Mir rosten längst die Füße,
und auch die Knie woll’n nicht mehr.
Das Straßenpflaster brennt wie Wüste.
Ich hab die Sehnsüchte der Menschen
gezählt, es waren viele,
denn ich war 16 Stunden unterwegs.
Und die ich traf, war’n sicher keine Siegertypen,
sie trugen ihre Wunden nur verdeckter.
Denn Armut schändet ja noch immer.
He, Bruder, hast du noch ein Schnäpschen
für meine Sucht und Trauer?
Denn ich war 16 Stunden unterwegs.
In meiner Seele wühlt auch Hunger,
und schlimmer noch: Mir fehlte
den ganzen Tag das Brot.
He, Bruder, du bist still und stiller,
und du bewegst dich nimmer.
Warst du auch 16 Stunden unterwegs?
Bist hungrig du an Leib und Seele?
He, Bruder, sag doch was!
Bist du betrunken … oder tot?
„Einerseits bedrückend, andererseits realistisch“, findet Tagesthemen-Moderator und Juror Ingo Zamperoni (links) das Gedicht von Norbert Mieck. Der ehemalige Sozialarbeiter und Bewährungshelfer arbeitete zwischen 1960 und 1980 mit Obdachlosen. „Auf der Straße ist es heute schlimmer geworden“, sagt er.