Schmuckstücke, Statuen – und echte Schrumpfköpfe: Bei einem Besuch in Harrys Hafenbasar lohnt der Blick in jede vollgestopfte Ecke. Besitzer Gereon Boos ist mit dem kultigen Museum von St. Pauli in die Hafencity gezogen und zeigt dort Kunst und Kurioses von allen Kontinenten.
(aus Hinz&Kunzt 251/Januar 2014)
Kopfgeld in diesem Fall: 900 Euro. Ganz schön viel für einen schrumpeligen Schädel. Aber der Besucher will ihn haben, schließlich ist er Sammler. Und wo sonst außer hier, in Harrys Hafenbasar, bekommt man schon auf legalem Wege einen Schrumpfkopf aus Südamerika? Mit zugenähten Augen und mit zugenähtem Mund, damit kein böser Blick und auch kein Fluch entweicht? Also zahlt der Gast gerne. Nicht nur das: Er reicht Hafenbasar-Besitzer Gereon Boos auch noch einen Finger. Genauer gesagt: einen Schrumpfzeigefinger. Mitgebracht von einer Reise in die USA, dort einst von Indianern einem Cowboy abgeknapst, damit er nicht mehr schießen könnte. „Ist jetzt das neueste Stück in meiner Sammlung“, sagt Gereon stolz.
Nein, ein Besuch in seinem zum Museum umgebauten Schwimmkran in der Hafencity ist nichts für Zartbesaitete. Auf 400 Quadratmetern drängen sich unter Deck mehr als 300.000 Sammlerstücke aus aller Welt. Darunter wertvolle afrikanische Kunst aus Ebenholz, glänzende Götterstatuen aus Thailand, bunte Marionetten aus Burma – aber auch präparierte Tiere wie das Krokodil „Hermann“, mit Nägeln gespickte Voodoopuppen oder eben die gruseligen Schrumpfköpfe. „Für mich ist der Hafenbasar mit seiner Vielfalt ein Mikrokosmos der ganzen Welt“, sagt Gereon, während er auf schmalen Gängen durch seine Sammlung führt. „Deswegen liegt er mir auch so am Herzen.“
„Käpt’n Haase erzählte ausschweifende Abenteuergeschichten. Nicht unbedingt immer wahr.“
Seit September 2011 ist der 47-Jährige Besitzer der Kuriositäten. Wo genau jede einzelne von ihnen herstammt, und ob sie einst alle legal nach Hamburg gebracht wurden, weiß er nicht. „Ich habe sie auf jeden Fall ganz rechtmäßig dem Vorbesitzer abgekauft.“ Angefangen hat die Geschichte allerdings schon viel früher. Denn schon der „Haase“ wusste, wie der Hase läuft: 1849 eröffnete Käpt’n Haase eine Kneipe auf St. Pauli, die vor allem bei Seefahrern beliebt war.
Sie brachten ihm Dinge wie Gallionsfiguren oder Meerestiere mit, die bald das ganze Lokal schmückten. „Zu denen erzählte Käpt’n Haase ausschweifende Abenteuergeschichten“, sagt Gereon und schmunzelt. „Nicht unbedingt immer wahr.“ Nach Käpt’n Haases Tod übernahm Harry Rosenberg – selbst ein weitgereister Seefahrer – dessen Nachlass und dekorierte damit seinen Briefmarken- und Münzhandel in der Bernhard-Nocht-Straße. „Das eigentliche Geschäft lief schlecht“, sagt Gereon. „Der Verkauf der Sammlerstücke dafür umso besser.“
Also schwenkte Harry um: 1954 wurde aus seinem Laden „Harrys Hamburger Hafenbasar“, er stellte jetzt nur noch Kuriositäten aus, tauschte und verkaufte sie, verlangte Eintrittsgeld – und wurde durch Zeitungsberichte über seine Schrumpfkopf-Sammlung sogar international bekannt. 1996 überließ er seiner Tochter Karin den Basar, ein Jahr zuvor hatte Gereon den Laden zum ersten Mal besucht. Damals war er gerade neu in Hamburg und arbeitete als Assistenzarzt am UKE. „Die unglaubliche Fülle und Farbenvielfalt haben mich sofort fasziniert“, erinnert er sich. Schließlich sei er schon immer gerne gereist, habe später drei Jahre als HNO-Arzt in Äthiopien gearbeitet und sich bei Nachfahren der Inkas in Peru als Schamane ausbilden lassen. „Ich interessiere mich seit Ewigkeiten für die Kultur und Kunst anderer Völker“, sagt er.
„Die Jugend glaubt nicht mehr an Riten, nur noch an iPhones.“
„Deshalb habe ich auch eine große Energie gespürt, als ich durch die Räume ging. Der Ort war für mich magisch.“ Insbesondere die Masken – „ich habe gleich eine gekauft“ – und die Kunstgegenstände aus Afrika hatten es ihm angetan: „Viele von ihnen wurden zu rituellen Zwecken hergestellt oder symbolisieren die Struktur eines Volkes“, sagt er. Was er schade findet: „Heutzutage werden solche Objekte kaum noch hergestellt, die Jugend glaubt nicht mehr an Riten, nur noch an iPhones.“ Es seien sogar schon Besucher aus Afrika gekommen, nur um bei ihm Ebenholzkunst aus ihrem Heimatland zu bewundern. „Bei uns gibt es so etwas nicht mehr“, hätten sie geklagt. „Das Holz wird nur noch als Brennholz benutzt.“
Umso wichtiger findet Gereon es, dieser Kunst mit dem Hafenbasar einen Raum zu geben. „Viele kommen nach dem ersten Besuch ein zweites Mal, weil man auf den ersten Blick gar nicht alles erfassen kann.“ Auch er selbst wurde gleich nach seinem ersten Besuch bei Harry Dauergast, freundete sich mit Karin Rosenberg an, half ihr im Laden. „Als Karin im April 2011 plötzlich starb, war das ein großer Schock“, erzählt er. Karins Tochter Kim führte den Hafenbasar zeitweise weiter, doch bald wurde klar, dass sie den mittlerweile finanziell stark angeschlagenen Besitz verkaufen musste. „Da habe ich mein Versprechen an Karin umgesetzt, die Sammlung zu übernehmen“, sagt Gereon. Aus Respekt vor seinen Vorgängern gehe es ihm vor allem ums „Bewahren“ der Sammlung: „Ich will keinen Reibach machen, sondern die Kunst der Völker, die hier über Jahrzehnte zusammengetragen wurde, anderen näherbringen.“
„Wenn alle mit Abenteuerlust hier rausgehen und noch eine Kleinigkeit kaufen, freut mich das besonders.“
Ein bisschen Veränderung darf trotzdem sein: Anders als früher stehen die ausgestopften Tiere nicht mehr offen im Raum, sondern in einer gesonderten Kajüte und sind nur durch ein Bullauge zu betrachten. „Der Gestank wäre sonst einfach zu groß“, sagt Gereon. Eine Mischung aus vermoderndem Fell, getrockneten Meerestieren – „und Katzenpisse: Schließlich hatte jedes Schiff, auf dem die Tiere früher transportiert wurden, einen Kater – wegen der Ratten“. Ein Café und eine Kombüse soll es bald geben, auch Musik ist jetzt mit im Spiel: Trommelklänge füllen die Kammer mit Afrika-Kunst, in der Asia-Ecke lauschen Besucher Tempelgesängen und ein Raum weiter – ist das ein Song von Tom Waits? Tatsächlich. In einem Lied seines in Hamburg uraufgeführten Musicals „The Black Rider“ wird man zu einem Besuch im Hafenbasar aufgefordert: Dort könne man unter anderem ein dreiköpfiges Baby sehen – und Hitlers Hirn. „Da ist es auch schon“, sagt Gereon grinsend und zeigt auf ein braun-verschrumpeltes Etwas, das Vorgänger Harry einst als Gag aufstellte. „Klein“, meint Gereon. „Aber das dürfte ja niemanden wundern.“
Gereon liebt es, jeden Gast in Ruhe durch die Gänge zu führen und Anekdoten zum Besten zu geben: „Wenn anschließend alle mit Abenteuerlust hier rausgehen und noch eine Kleinigkeit kaufen, freut mich das besonders.“ Muss ja auch kein Schrumpfkopf sein. „Nein, die Damen bleiben meiner Erfahrung nach eher in der Schmuckecke hängen“, sagt Gereon. Strategisch gut platziert hat er deshalb direkt daneben die Waffenkammer: „Da können sich dann die Männer austoben.“
Text: Maren Albertsen
Foto: Dmitrij Leltschuk
Harrys Hamburger Hafenbasar: Sandtorhafen, Ponton No. 5, Öffnungszeiten: Di–So, 11–17 Uhr, Eintritt für Erwachsene 5 Euro, für Kinder von 6 bis 12 Jahren 3 Euro, bei Kauf wird der Eintritt verrechnet. Weitere Infos unter www.hafenbasar.de