Eine rumänische Familie aus Gelsenkirchen findet keine Arbeit und beantragt Hartz IV. Aber das Amt will nicht zahlen. Die Ablehnung des Antrags hat das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen jetzt für europarechtswidrig erklärt. Es ist das zweite Urteil dieser Art.
Menschen, die aus anderen EU-Staaten nach Deutschland kommen, um hier zu arbeiten oder eine Arbeit zu suchen, dürfen nicht ausnahmslos von Grundsicherungsleistungen (Hartz IV) ausgeschlossen werden. Das entschied das Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen.
Geklagt hatte eine rumänische Familie. Seit 2009 leben die Eltern mit einem Kind in Gelsenkirchen. Ihren Lebensunterhalt bestritten sie zunächst mit dem Verkauf von Straßenzeitungen. Außerdem bekamen sie Kindergeld. Im November 2010 beantragten sie beim Jobcenter Hartz IV, der Grundsicherung für Arbeitssuchende. Doch das Amt lehnte den Antrag ab. Die Begründung: Ausländer, deren Aufenthaltsrecht sich allein aus dem Zweck der Arbeitssuche ergebe, könnten keine Grundsicherungsleistungen erhalten.
Diesen sogenannten Leistungsausschluss sieht das Landessozialgericht NRW als europarechtswidrig an, weil diese „Automatik“ dem „zwischen den EU-Staaten vereinbarten gesetzlich wirksamen Gleichbehandlungsgebot“ widerspreche. Es müsse Regelungen geben, wonach Grundsicherungsleistungen je nach Einzelfall auch EU-Bürgern zugestanden wird, die in Deutschland Arbeit suchen.
Schon im Oktober hatte ein anderer Senat des Landessozialgerichts NRW einer rumänischen Familie mit zwei Kindern den Anspruch auf Hartz IV zugesprochen. Die Begründung lautete etwas anders: Die Familie habe sich länger als ein Jahr um Arbeit bemüht – erfolglos und ohne Aussicht, dass sich das bald ändern würde. Deswegen war der Aufenthaltsgrund nicht die Arbeitssuche, als die Familie Hartz IV beantragte. „Die Familie lebt einfach hier“, erläutert Gerichtssprecher Dr. Martin Kühl. Somit gehörten die Rumänen nicht zu dem Personenkreis, der gesetzlich von Grundsicherungsleistungen ausgeschlossen ist, so das Gericht im Oktober.
In beiden Fällen ist die Revision zugelassen worden, da sie wesentliche Grundsatzfragen betreffen. Als nächstes wird sich das Bundessozialgericht mit ihnen befassen. Wie dieses entscheidet, ist vollkommen offen, sagt Rechtsanwältin Kirsten Michaelsen. Sie findet die Entscheidungen des Landessozialgerichts „mutig“. Sie kann sich vorstellen, dass diese auch Auswirkungen auf ähnlich gelagerte Eilverfahren haben könnten. Allgemeine Schlussfolgerungen könne man aus ihnen aber nicht ableiten. „Es ist wirklich dringend, dass das Bundessozialgericht hier eine verbindliche Entscheidung fällt. Das ist aktuell ein großes Thema.“ BEB