Die Schauspielerin Nina Petri: neugierig, kampflustig und viel zu selten im Fernsehen
(aus Hinz&Kunzt 159/Mai 2006)
Eine langweilige klassische Schönheit ist sie nie gewesen, ihr Kapital ist ihre Präsenz. Nina Petri leuchtet. Aber in Deutschland, wo im Fernsehen nur die Quote zählt, wird das nicht geschätzt. Wie zum Beispiel beim Hamburg-„Tatort“, wo sie für die Rolle der Exfrau des Kommissars zwar hoch gelobt, aber einfach rausgeschrieben wurde: „Da kriegt man dann ein Buch, in dem man nicht mehr auftaucht.“ Ein Fan hat sie im Internet als „roten Ferrari, der immer untertourig gefahren wird“, beschrieben: „So fühle ich mich auch.“
Doch Resignation ist nicht ihre Sache. „Ich habe keine Lust, massentauglich zu sein“, sagt sie mit ihrer ruhigen dunklen Stimme, und es klingt kein bisschen arrogant
Schließlich ist sie für ihre Darstellungen in „Lola rennt“ und „Bin ich schön?“ mit dem Filmpreis ausgezeichnet worden. Doch davon kann man nicht leben, und Nina Petri ist keine, die Ruhe geben kann. „Ich bin ein großer Aktionist“, räumt die 42-Jährige ein und dreht sich eine Zigarette. „Ich muss noch unheimlich viel im Leben ausprobieren. Das kann’s noch nicht gewesen sein, es gibt so viel zu entdecken!“
Diese Jetzt-erst-recht-Haltung zieht sich durch ihr ganzes Leben, und vielleicht liegt die Wurzel dafür in ihrer Kindheit. Nina Petri wurde mit einem verkrüppelten linken Fuß geboren, „Klumpfuss sagt man landläufig dazu.“ In ihrem ersten Lebensjahr wurde sie mehrfach operiert, später musste sie eine Schiene tragen.
An nichts von all dem erinnert sie sich aus ihrer Kindheit in Hamburg-Eimsbüttel, aber die Folgen zogen sich bis ins Erwachsenenleben. Sie machte Ballett, obwohl der Arzt dagegen war, und tat alles, um zu verbergen, dass an ihr etwas anders sein könnte. Mit überraschenden Konsequenzen: „Im Körpertraining auf der Schauspielschule Bochum sagte meine Lehrerin, ich hätte eine der besten Körperhaltungen“, erzählt sie und streckt anmutig den Rücken. „Die anderen, die nie ein Bewusstsein dafür entwickelt hatten, gingen halt krumm, ich dagegen ging besonders grade, damit man nie was merkte!“
Bochum war für Nina Petri „das Allerallerletzte, wo ich hin wollte.“ Doch schnell merkte sie, dass ihr die Mentalität dort sehr nahe ist: „Ohne dass ich’s wollte, habe ich einen Ruhrpotteinschlag in die Sprache bekommen.“ Das nützte ihr beim Casting für den TV-Vierteiler „Rote Erde“ 1988, seither ist sie im Film und Fernsehen eine feste Größe. In Köln lernte sie ihren Mann kennen, den brasilianischen Soziologen Marcos Romao, kennen und wurde schwanger. „Damit wurde unsere Situation ganz schlimm“, erinnert sie sich. Wenn man schwanger wird, nicht in einem normalen Arbeitsverhältnis steht und nicht so arbeiten kann wie normale Leute, dann fällt man aus jedem sozialen Netz. „Ich bin mit Zwillingen in Bauch und einem Mann, der leider auch kein Geld verdiente, von jetzt auf gleich zum Sozialhilfeempfänger geworden“, sagt sie. „Das war superhart, da haben sie mir das bisschen, was ich damals hatte, fast unterm Hintern weggezogen. Wir hätten aus der Wohnung, die ich bis dahin bezahlen konnte, raus gemusst. Dann geh mal mit zwei Babys, schwarzer Mann, weiße Frau, alle arbeitslos, eine Wohnung suchen!“
Ohne die Unterstützung ihrer Mutter, die in Hamburg eine Wohnung organisierte, wäre gar nichts gegangen. Sie nahm ihr in der ersten Zeit oft die Kinder ab, damit sie wieder arbeiten konnte. „Wenn ich mir vorher klar gemacht hätte, wie nah man dem sozialen Abstieg sein kann, ich hätte nie Kinder gekriegt! Aber der Zeitpunkt stimmt ja nie. Vivien Leigh soll gesagt haben: Kinder, Steuern und der Tod kommen immer im falschen Augenblick.“
Mittlerweile sind die Zwillinge Moema und Papoula elf Jahre alt, Nina Petri ist geschieden und lebt mit den Kindern und ihrem neuen Partner, einem Programmierer, zusammen – und kommt richtig ins Schwärmen: „Ich hatte schon andere Partner, die nicht aus der Branche waren, und das war immer schwierig. Er nimmt es gelassen, dass ich in der Öffentlichkeit stehe, und er kann es ohne Minderwertigkeitsgefühle aushalten, dass ich die First Lady bin und er der Begleiter. Ein ruhiger, stoischer Mensch – wenn er so wäre wie ich, das wäre furchtbar! Wir ergänzen uns sehr gut, ich brauche seine Ruhe und er meine Aufregung.“
Aufregung hat sie genug, seit sie Intendantin der Theaterfabrik in Barmbek wurde, die sie mit Regisseur Nils Daniel Finckh gegründet hat. Im April war Premiere des ersten Stückes, „Dogville“, nun wird weiter geplant und konzeptioniert. „Wie wird Kultur in Deutschland eigentlich gemacht?“, fragt sie kämpferisch. „In Hamburg gibt’s drei große Musical-Häuser, aber viele können es sich gar nicht leisten, da reinzugehen. Leute, die sich im unteren Einkommensdrittel bewegen, würden überhaupt nicht auf die Idee kommen, ins Schauspielhaus zu gehen. Ich will nicht akzeptieren, dass anspruchsvolle Kunst nur was für Großbürger ist.“ Deshalb steht nun am Wiesendamm ein nicht subventionierter schwarzer Betonklotz mit 400 Sitzplätzen, und ein hoch gehandelter Schauspieler wie Benno Führmann spielt dort ohne Gage, weil er endlich mal Theater machen kann. Und Nina Petri hat noch viel vor, wie immer jetzt erst recht: „Gerade jetzt, wo allen der A… auf Grundeis geht, ist es Zeit, seinen Mut zusammenzunehmen und etwas zu tun. Das gilt im Großen wie im Kleinen. Man muss sein Anliegen selbst in die Hand nehmen.“