Phoenix-Vorstandssprecher Meinhard Liebing über die Kunst der professionellen Kündigung und die Vorzüge von Personalabbau
(aus Hinz&Kunzt 157/März 2006)
Das Wort Entlassungen nimmt Meinhard Liebing nicht gerne in den Mund. Lieber spricht der 52-jährige Vorstandssprecher der Phoenix AG von „Strukturmaßnahmen“.
Eine solche ist bei dem Harburger Traditionsunternehmen derzeit in vollem Gange: 860 Arbeitsplätze werden dabei vernichtet. Wer keinen neuen Arbeitgeber findet, kann bis zu ein Jahr lang in eine Qualifizierungsgesellschaft wechseln. Doch vor allem den Ungelernten und über 50-Jährigen bleiben am Ende nur Arbeitslosigkeit oder Vorruhestand, mit einer Abfindung versüßt. „Triste Perspektiven“ seien das im Einzelfall, sagt Liebing, der den Personalabbau managt und meint: „In der Summe ist unser Paket gut.“
Meinhard Liebing sitzt heute auch im Vorstand der Continental-Tochter ContiTech, unter deren Dach die Phoenix verschwindet. Wenn die Gerichte letzte Streitigkeiten mit Aktionären entschieden haben, wird das 1856 gegründete Unternehmen auch formal aufgelöst sein. Die „Verschmelzung“, deren Ziel 30 Millionen Euro Einsparungen durch „Synergieeffekte“ sind, laufe „schneller als vorgesehen, extrem glatt und ruhig“, so Liebing. An ihrem Ende, nach Verkäufen von Unternehmensteilen und Personalabbau, werden statt 2700 nur noch 1000 bis 1200 Menschen auf dem Lohnzettel des Unternehmens stehen.
Er habe nicht „wie eine Ratte das sinkende Schiff verlassen wollen“, sagt der Mann mit dem festen Händedruck über sich selbst. 1,3 Millionen Euro Abfindung hätten ihm laut Medienberichten vertraglich zugestanden, wäre er nicht zu ContiTech gewechselt. Meinhard Liebing will das weder bestätigen noch dementieren. Auch wenn er die Übernahme anfangs wohl nicht gewollt hat, sagt er: „Die Phoenix hätte in jedem Fall Strukturmaßnahmen durchführen müssen – die wären aber nicht so schnell, so einschneidend abgelaufen.“
Sechs oder sieben Werksschließungen oder Kündigungswellen hat er in seinen mehr als 20 Jahren bei der Phoenix mitverantwortet. Bei der Umsetzung, sagt der Entlassungs-Profi, müsse man „einen Schritt zurücktreten, abstrahieren“. Denn, so seine Erfahrung: „Sie dürfen sich nicht jeden einzelnen Fall zu Herzen nehmen, weil Sie sich sonst blockieren.“ Weinende Mitarbeiter, aufgelöste Ehefrauen: Meinhard Liebing hat das immer wieder erlebt. „Weit über 100“ Kündigungsgespräche hat er bestimmt schon geführt. Der betroffene Mitarbeiter müsse „die Fakten verstehen, die Situation des Unternehmens, die Erfordernis des Personalabbaus“. Er müsse begreifen, dass man ihm nicht böse wolle, sondern dass die Rahmenbedingungen so seien wie beschrieben und es aus nachvollziehbaren Gründen ihn treffe. „Erst wenn Sie dieses Niveau erreicht haben, können Sie offen darüber sprechen, wie die Trennung abgewickelt werden soll.“ Dazu brauche es meist mehrere Treffen.
Den Schlaf rauben ihm solche Gespräche nicht, denn Meinhard Liebing denkt: Es gibt keine Alternative. Oder: „Strukturmaßnahmen erhalten die Wettbewerbsfähigkeit und erhöhen die Schlagkraft in Zeiten der Globalisierung.“ Die Übernahme der Phoenix sei Ergebnis des „Spiel des Marktes“: „Aus dem Verbund zweier starker Firmen wird der stärkste Kautschuk-Hersteller.“ Er hat das auch mal beschrieben als „von starker industrieller Logik geprägt“. Das gilt wohl auch für ihn selbst. Mit jeder Entlassung, sagt der Manager, helfe er den Verbleibenden: „Personalabbau bringt mehr Sicherheit für weniger Mitarbeiter.“
Autor: Ulrich Jonas
Der Gewinn der Phoenix AG stieg 2004 im Vergleich zum Vorjahr von 7,0 auf 22,3 Millionen Euro, der Umsatz von 964,9 Millionen Euro auf 1022,7 Millionen Euro. Der Kurs der Aktie sprang nach Bekanntwerden des Übernahmeangebotes im Frühjahr 2004 deutlich nach oben und steigt seitdem ebenso im Wert wie die Aktie der Continental AG.