Anerkennung und Unterstützung – beides erfahren Obdachlose seit 2003 beim jährlich ausgetragenen Homeless World Cup. Hinz&Kunzt-Fotograf Mauricio Bustamante hat die schönsten Turniermomente festgehalten, Hinz&Künztler Torsten Meiners spielte bei der Fußballweltmeisterschaft in Kopenhagen mit.
(aus Hinz&Kunzt 249/November 2013)
Bildergalerie: Homeless World Cup
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Es war das Wunder von Bourne. Von Melbourne: Afghanistan als Weltmeister! Im Fußball! „Die Jungs waren nach dem Sieg so euphorisch, die konnten ihr Glück kaum fassen“, erinnert sich Hinz&Kunzt-Fotograf Mauricio Bustamante, der das Turnier 2008 in Australien beobachtete. „Bei einer normalen WM wäre das nie drin gewesen“, meint er. „Aber beim Homeless World Cup ist eben alles möglich.“
„Alles ist möglich“ – dieser Satz fällt oft, wenn Mauricio und Hinz&Künztler Torsten von der Fußballweltmeisterschaft der Obdachlosen erzählen, die seit 2003 jedes Jahr in einem anderen Land stattfindet. Ach was, erzählen, sie schwärmen: „Ich habe mich sofort in diese Veranstaltung verliebt“, sagt Mauricio, der das Spektakel schon beim Auftakt in Graz fotografierte. Plötzlich sei das Thema Obdachlosigkeit in der ganzen Stadt präsent gewesen. Jeder sei damit in Berührung gekommen – und zwar durch einen völlig neuen Ansatz: „Mit einem sportlichen Wettkampf, an dem alle Spaß haben. Die Teilnehmer waren sofort eine große Familie.“
Straßenfußball als Kontaktmöglichkeit, als „Umsetzung positiver Energie“ und als ein „fröhlicher Weg“, Menschen unterschiedlicher Nationalitäten und Lebensumstände zusammenzubringen – so hat Mauricio es selbst immer wieder erlebt: „Ich habe schon als Kind in meiner Heimatstadt Buenos Aires auf den Straßen und in Hinterhöfen Fußball gespielt, später dann in Spanien und in Hamburg. Ganz egal wo: Ich habe durchs Kicken immer sofort Anschluss gefunden und auch zahlreiche Freundschaften geschlossen“, erzählt er.
Torsten, der seit elf Jahren wohnungslos ist (Foto siehe Seite 14), schätzt neben dem Gemeinschaftsgefühl und dem Spaß vor allem die Anerkennung, die die Spieler beim Homeless World Cup (HWC) erfahren. Er hat es selbst erlebt, als er 2007 in Kopenhagen zur deutschen Nationalmannschaft gehörte. „Schon dass mich der Bundestrainer bei der Vorauswahl während der Deutschen Meisterschaften ins Team geholt hat, war wie eine Belohnung für mich“, sagt er. „Dafür, dass ich mich fit halte, gut ernähre und auf meine Gesundheit achte, auch wenn ich auf der Straße lebe.“ Alle Teilnehmer wurden damals in Kopenhagen nicht in irgendeiner Turnhalle, sondern in einem schicken Hotel untergebracht. „Wir waren rund 500 Obdachlose, waren aber nun für ein paar Tage wichtige Gäste der Stadt“, erinnert er sich. „Es gab sogar einen Empfang im Rathaus, und auf dem Weg dorthin haben uns die Menschen zugejubelt.“
Diese Atmosphäre während der Turniere gibt den Spielern eine Verschnaufpause vom harten Leben auf der Straße, von Entbehrungen und persönlichen Problemen: „Auf einmal bist du einfach ein Mensch“, sagt Torsten und lächelt. „Du bist ein interessanter Mensch, der unerwartet Grenzen überwindet. Du merkst: Alles ist möglich!“
Beim ersten Turnier in Graz traten noch 16 Mannschaften an, mittlerweile kommen 62 Teams aus rund 50 Nationen. Es gibt sogar eifrige Fans, die ihre Nationalmannschaften begleiten und lautstark anfeuern – in Kopenhagen waren es gleich zwei Gruppen in Schwarz-Rot-Gold, die mit dem VW-Bus angereist waren, um ihrem Team zuzujubeln. Kräftigen Applaus gibt es aber für alle Gruppen: „Dabei spielt es gar keine Rolle, dass das Niveau der Mannschaften ganz unterschiedlich ist“, erzählt Torsten. „Bei Spielen um den letzten Platz ist die Stimmung meistens genauso gut wie beim Finale.“
Die gegenseitige Unterstützung reicht so weit, dass am Ende meist kaum noch zu erkennen ist, welcher Spieler aus welchem Land kommt: „Viele tauschen ihre Trikots untereinander, auch Teams, die das normalerweise nie tun würden“, sagt Mauricio. „Oder hat man sonst schon mal einen Brasilianer mit Argentinien-Trikot gesehen?“ Dass gerade Fußball solche Faszination und Begeisterung auslöst, finden Torsten und er ganz logisch: „Es ist einerseits ein simples Spiel, jeder versteht, wie es funktioniert“, sagt Torsten. „Andererseits gibt es durch die so unterschiedlichen Charaktere in den Teams auch immer wieder allerlei Überraschungen.“
Mit dem Sieg der Mannschaft aus Afghanistan habe damals in Melbourne zum Beispiel niemand gerechnet. „Deshalb ist der Homeless World Cup für mich auch so was wie eine Idee vom Leben selbst“, sagt Torsten. „Egal wie schlecht es dir gerade geht und welche Schicksalsschläge kommen – es kann auch immer etwas Schönes passieren.“
Mauricio erinnert sich dabei vor allem an den HWC in Rio de Janeiro 2010: Beim Fotografieren des deutschen Teams auf dem Zuckerhut kam auf einmal eine Gruppe brasilianischer Kinder angestürmt – sie wollten unbedingt mit aufs Foto und Autogramme haben. „Da fühlten sich die Jungs wie richtige Stars.“ Dazu das Kicken an der Copacabana, direkt am Strand und vor Palmen – „ein Traum!“. Auf dem Spielfeld seien alle fair gewesen. Nicht selbstverständlich, wenn man bedenkt, dass beim HWC auch Menschen aus verfeindeten Ländern aufeinandertreffen und sie oftmals nicht nur Erfahrung mit Armut, sondern auch mit irgendeiner Form von Gewalt haben. „Natürlich verbessert sich das Leben der Obdachlosen nicht automatisch durch eine Turnierteilnahme“, sagt Mauricio. „Für einige ist es aber zumindest ein Ansporn, auch in ihrem Alltag etwas zu verändern. Sie haben ja nun erlebt, wozu sie fähig sind.“
Genau diese Momente will Mauricio auch in Zukunft fotografisch festhalten. Voriges Jahr in Mexico konnte er zwar das erste Mal nicht zum HWC reisen: „Der Flug wäre zu teuer geworden.“ Doch er bleibt „auf jeden Fall“ am Thema dran. Auch Torsten würde gerne bei weiteren Weltmeisterschaften mitmachen. Doch er unterstützt die Regel, dass nach einer Teilnahme Schluss ist: „Es geht ja gerade darum, dass nicht immer dieselben Spieler auflaufen, sondern dass auch andere Obdachlose einmal die Chance bekommen.“ Und diese Chance gönnt er jedem von Herzen: „Der Homeless World Cup dauert zwar nur ein paar Tage“, sagt er, „aber von der Erfahrung zehrt man sein ganzes Leben“.
Fotos: Mauricio Bustamante
Text: Maren Albertsen