Sechs Jahre lebte Olivia in einem Bauwagen. Wegen der Geburt ihres Kindes zog sie in ein Haus, doch sie kann die Rückkehr zum Leben auf Rädern kaum erwarten
(aus Hinz&Kunzt 156/Februar 2006)
Ihr kleines Zimmer leert sich langsam. Die Klamotten verschwinden im alten Koffer, das Spielzeug in der Kiste. Das Chaos der letzten Tage und Wochen lichtet sich ein wenig. Stehen bleibt, was eh ins Zimmer gehört. Ein Schrank, die dünne Matratze, Sofa, Tisch und Sessel. Luis krabbelt auf dem Holzfußboden herum und scheint munter in seiner eigenen Sprache zu erzählen, was sich in seinem kleinen Leben demnächst alles verändern wird.
Olivia (Name geändert) packt die Windeln in ihren großen Rucksack, das Schaffell, den kleinen Sandmann, den Luis so gerne mag. Genau wie im Sommer, als sie sich auf den Weg machte, eine Freundin auf einem Bauwagenplatz in Oldenburg zu besuchen. Ein Besuch mit Folgen.
Da war Luis vier Monate, eine Woche und zwei Tage alt. „Ich muss hier weg, weg bevor der Winter kommt“, sagte Olivia, als sie wieder zurück war.
Sie ist 28, seit wenigen Monaten Mutter und auf der Suche nach einem Neuanfang. Die nächsten Jahre möchte sie gerne in einer neuen Stadt verbringen. Sich auf einem Wagenplatz einen alten Wagen neu herrichten, eine Ausbildung anfangen. Olivia lebte selbst fast sechs Jahre in einem Bauwagen auf verschiedenen Plätzen in Hamburgs Umgebung. Das bunte Leben gefiel ihr.
Olivias letzter Winter aber war dunkel. Zu schwierig. Zu einsam. Ihre Beziehung ging kaputt, als sie schwanger wurde. Die Schwangerschaft war eine schwere Zeit. Immer wieder gab es Streit, Enttäuschung, Ungewissheit.
Mit Luis’ Geburt veränderte sich ihr Leben komplett. Sie gab das Wagenleben auf: „Du weißt nicht, was mit einem Kind alles auf dich zukommt. Gerade in den ersten Monaten wollte ich einen festen Platz haben, Sicherheit für Luis.“ Seit Luis auf der Welt ist, bewohnt sie daher ein kleines Zimmer in einer Hausgemeinschaft. Obwohl die Menschen drumherum sehr nett und hilfsbereit sind, hat sich Olivia bis jetzt nicht richtig einleben können. „Ich versuche es mir so gemütlich wie möglich zu machen, trotzdem bleibt das Wohnen in einem Zimmer eine vorübergehende Lösung für mich. Ein Zimmer ist irgendwie einengend. Trist.“ Olivia möchte die Wagenromantik wiederfinden, die sie in den Jahren zuvor so sehr lieben gelernt hat. „Im Winter Holz hacken, den Ofen heizen, etwas tun müssen fürs Leben, so etwas fehlt mir sehr in einem Haus.“
Fast jeden Tag geht Olivia zu ihrem alten Wagen. Gelb-türkis gestrichen, gemütliche acht Quadratmeter klein stand er bis vor kurzem noch geschützt mit zwei weiteren Wagen auf einem Bauernhof im Hamburger Umland. Olivia genießt die Zeit auf dem kleinen Platz. Wenn Luis auf dem Weg dorthin im Kinderwagen eingeschlafen ist, nutzt sie oft die kurze Pause und bastelt mit Hilfe von Freunden ein wenig an einem anderen Wagen. „Das Schönste ist, am eigenen Wagen rumzubauen. Sich sein eigenes kleines Zuhause schaffen. Den eigenen Platz kreieren. Da nehme ich meine Kraft her, das tut mir gut.“
Wenn sie von ihren Plänen für einen neuen Bauwagen erzählt, spürt man diese Kraft wachsen. Sie möchte so gerne Gardinen nähen. Regale anbringen, für Luis eine Schlaf- und Spielecke einrichten. Eigene Fenster bauen, kleine Fensterbretter anbringen. Das Wagenleben ist für Olivia ein Lebensgefühl.
„Drinnen habe ich alles, was ich brauche. Ich mache die Tür auf und bin sofort draußen.“ Ihr gefällt das Leben in der Gemeinschaft. „Ich habe Menschen um mich rum und kann mich doch zurückziehen. Jeder hilft jedem. Die Atmosphäre da draußen ist einfach ganz anders.“
Bei ihrer Freundin in Oldenburg verbrachte Olivia damals den Abend mit ein paar anderen Platz-Bewohnern am Lagerfeuer. Über ihnen der sternenklare Nachthimmel, Luis lag friedlich schlafend im Bauwagen nebenan. „Solche Abende sind das Tollste. Die vermisse ich echt.“ Der Wagenplatz machte sie glücklich. Und trotzdem möchte Olivia sich auch noch auf die Reise begeben. „Im Wagen leben heißt für mich auch, mobil zu sein. Auf jeden Fall immer die Möglichkeit zu haben, weiterzuziehen; den Trecker nehmen zu können und loszufahren.“
Auch mit Kind möchte sich Olivia diese Möglichkeit bewahren, auch wenn sie eine Ausbildung als Ernährungsberaterin anfangen will. „Ich habe zuerst gedacht, ich müsste meine ganzen Träume aufgeben. Ich wollte schon immer mit dem Trecker und einem Wagen durch die Welt ziehen.“ Daran hält sie fest. Trotz der nun so ganz anderen Lebenssituation. Dem anfangs unbekannten Stress, den neuen Aufgaben. Mit ihrem Kind kam auch neues Glück. „In mein Leben mit Luis kommt jetzt langsam Routine. Trotz anfänglicher Zweifel und Schwierigkeiten ist er jetzt das Beste, was ich habe in meinem Leben.“ Olivia, die im Moment von Sozialhilfe lebt, ist den Menschen dankbar, die sie immer wieder unterstützen und ihr helfen.
Ihren alten, ungenutzten Bauwagen hat sie mittlerweile verkauft. Ein ausgebauter Lkw soll sie stattdessen ihren nächsten Zielen ein klein wenig näher bringen. „Statt Trecker und Wagen ziehe ich dann halt mit meinem Elli los.“ Ihr größter Wunsch momentan? „Irgendwann mit Luis auf dem Dach meines eigenen Wagens zu sitzen, einen Wein zu trinken und rüber bis nach Afrika schauen zu können…“
Ein Aufbruch aus der bekannten Umgebung ist nicht leicht, tut aber gut. „Ich möchte hier weg, weg von meiner Vergangenheit, den ganzen Erinnerungen. Ja, ich gehe hier weg – und fange wieder ganz neu an.“ Mit Luis und einem Wagen. Mit neuen Träumen und realistischen Plänen. „Heute beginnt der Rest des Lebens!“
Autor:Thekla Ahrens
Interview mit Rechtsanwalt Andreas Beuth
Der Strafverteidiger Andreas Beuth unterstützte die Bewohner des Bauwagenplatzes „Bambule“ und engagiert sich seit fast 40 Jahren in der linken Szene.
Hinz&Kunzt: Warum gibt es seit Jahren keine Einigung über Leben im Bauwagen?
Andreas Beuth: Die kontroverse Debatte begann eigentlich erst mit der Räumung des Wagenplatzes „Bambule“ im Karolinenviertel 2002. Die „Bambule“ war gut in den Stadtteil integriert. Gegen die Räumung ließen sich viele tausend Menschen mobilisieren. Es war die Zeit der großen Demonstrationen in der Hamburger Innenstadt. Zuvor wurden Bauwagenplätze oftmals geduldet, soweit es keine Beschwerden aus der Nachbarschaft gab und die Stadt mit den entsprechenden Flächen auch keine anderen Absichten verfolgte.
H&K: Warum ist der Konflikt so eskaliert?
Beuth: Mit der Räumung der „Bambule“ wurde die Bauwagenplatzfrage zu einem wahlkampftauglichen politischen Thema. Insbesondere die Schill-Partei versuchte, sich mit einer harten Haltung zu profilieren. Die CDU in Alleinregierung setzte diese Politik etwas abgemildert fort. Zum einen wurden weitere Plätze wie der Platz „Wendebecken“ in Barmbek geräumt, zum anderen wurden auf Bezirksebene Verträge um jeweils ein Jahr bis Ende 2006 verlängert. Das dürfte aber den Hintergrund haben, dass Hamburg während der WM Ruhe haben will und sich Polizeieinsätze in der Öffentlichkeit nicht gut verkaufen lassen.
H&K:Eine Duldung der Plätze ist ja eine Zeit lang immer möglich. Warum ist eine allgemeine Erlaubnis nicht machbar?
Beuth: Das ist eine ausschließlich politische Frage. Natürlich wäre eine zeitlich unbefristete Erlaubnis für einen Bauwagenplatz möglich. Eine solche Erlaubnis könnte von der Einhaltung hygienischer Mindeststandards, der Zahlung einer Nutzungsentschädigung und der Zustimmung der Nachbarschaft abhängig gemacht werden. Das wird aber von der Hamburger Politik nicht einmal versucht. Für eine generelle, zeitlich unbefristete Erlaubnis müsste allerdings auch das Hamburger Wohnwagengesetz geändert werden.
H&K:Was ist der Hintergrund der Bauwagenbewegung?
Beuth: Die gesetzliche Regelung zu Bauwagenplätzen ist von Bundesland zu Bundesland unterschiedlich. In Hamburg gibt es erst seit 1999 ein Wohnwagengesetz. Es sieht ein dauerhaftes Wohnen in Wohnwagen nicht vor. Vielmehr können Wohnwagenplätze lediglich übergangsweise eingerichtet werden, um Menschen bis zu ihrer Vermittlung in feste Wohnungen eine zeitweilige Unterbringung zu ermöglichen. Das Gesetz wird in der Praxis so ausgelegt, dass das Wohnen auf den Plätzen allenfalls für fünf Jahre erlaubt wird.
H&K: Ist das Gesetz aus Ihrer Sicht zeitgemäß?
Beuth: Das Gesetz muss aus meiner Sicht geändert werden. Das Wohnen im Bau- oder Wohnwagen muss generell unter Einhaltung bestimmter Bedingungen erlaubt werden. Das Grundrecht auf Wohnen bestimmt auch die Art und Weise, wie man wohnen will – ob nun in der Sozialwohnung, im Eigenheim, im Hausboot oder eben im Wohnwagen.
H&K:Mit welcher Begründung ist das Leben im Bauwagen selbst auf Privatgrundstücken verboten?
Beuth: Der Staat will jederzeit die Kontrolle über das Wohnen in Bauwagen behalten. Ein Privatmensch kann die Zulassung einer Fläche als Wohnwagenplatz beantragen. Die Bewilligung richtet sich dann aber wiederum nach dem Hamburger Wohnwagengesetz.
H&K:Wann haben Sie angefangen, sich in der linken Szene zu engagieren?
Beuth: Ich bin 1953 geboren und habe als 15jähriger Schüler die 68er-Bewegung mitbekommen. Die Studentenbewegung schwappte dann damals auch auf die Schulen über. Seitdem engagiere ich mich politisch im linken Bereich, ohne jemals einer Partei angehört zu haben.
H&K:Sehen Sie sich als moderner Robin Hood, der den vom Staat Unterdrückten ohne großes Entgelt hilft?
Beuth:Ich übe meine berufliche Tätigkeit aus meinem politischen Handeln heraus aus. Als moderner Robin Hood würde ich mich nicht bezeichnen. Auch ich muss zusehen, dass ich von meiner beruflichen Tätigkeit als Anwalt einigermaßen leben kann. Deshalb brauche ich nicht gleich reich zu werden.
H&K: Ist Wohnen im Bauwagen der nächste Schritt nach dem Wohnen in einer WG, was ja in der Nachkriegszeit auch verpönt war?
Beuth: Mein Eindruck ist, dass das Wohnen in Bauwagen bei vielen Menschen das Wohnen in einer WG abgelöst hat. Ich kann mir das nur damit erklären, dass es kaum noch bezahlbaren Wohnraum gibt, auch nicht für Wohngemeinschaften. Das Leben im Bauwagen ist wesentlich billiger als das Leben in einer Wohnung.
H&K:Sie sind nicht gerade der stromlinienförmige Durchschnittsanwalt. Haben Sie es in Ihrer Branche schwerer als andere oder ist es für Sie von Vorteil, dass Sie die berühmte Nische gefunden haben?
Beuth: Ich glaube, ich habe mich mit der Zeit einigermaßen durchsetzen können und werde allseits respektiert. Ansonsten ist die Tätigkeit für Bauwagenbewohner nur ein kleiner Teil meiner anwaltlichen Tätigkeit. Davon abgesehen bezeichne ich mich allgemein als Strafverteidiger und verteidige nicht nur Leute aus der linken Szene.
Interview: Dennis Krug, Mikko Zips