Die Idee könnte Schule machen: In St. Georg wollen Anwohner erreichen, dass Obdachlose in ein leer stehendes Haus ziehen. Die Kirche und Lokalpolitik unterstützen ihre Pläne.
(aus Hinz&Kunzt 249/November 2013)
Die Fenster sind verdreckt und im Eingangsbereich hängen Kabel lose aus der Decke. Ansonsten macht das Gebäude in der Koppel 95 aber einen guten Eindruck. Trotzdem steht das Haus seit 15 Jahren leer. Lavinia Kleßmann kann das nicht verstehen. „Dort könnten Menschen wohnen!“, sagt die 24-Jährige.
Eigentlich eine gute Idee. Denn die Sozialbehörde hat große Schwierigkeiten, Platz für Notunterkünfte ausfindig zu machen. Dabei stehen mehr als eine Million Quadratmeter Büroraum und zahlreiche Wohnhäuser seit Jahren leer. Und wenn die Behörde mal ein geeignetes Objekt präsentiert, kommt nicht selten Widerspruch aus der Nachbarschaft. Nicht so in St. Georg: Lavinia Kleßmann und weitere Anwohner haben im Oktober die Kampagne „Obdach ist machbar, Herr Nachbar!“ gestartet. Ihr gemeinsames Ziel: In dem leer stehenden Haus in der Koppel 95 soll Platz für etwa zwölf Obdachlose entstehen.
Für solch eine kleinteilige Unterkunft setzt sich auch Pastor Gunnar Marwege aus St. Georg ein. „Nachbarschaft ist ungemein wichtig“, erläutert er. „Seinen Nachbarn grüßt man, wenn man morgens vor die Tür tritt. Wer auf der Straße lebt, der hat nicht einmal eine Tür.“ „Der Bezirk muss die rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen und den Leerstand wieder nutzbar machen“, sagt Michael Joho vom Einwohnerverein St. Georg. Bereits in den 1990ern seien Bürgerkriegsflüchtlinge aus Jugoslawien dort untergebracht worden.
Die Anwohner haben offenbar den Eigentümer aufgeschreckt. Er will die Fläche nun neu bebauen. Der Bezirksversammlung seien die Pläne aber noch nicht bekannt, so Falko Droßmann, SPD-Fraktionschef im zuständigen Bezirk Mitte. „Aber ich bin froh, wenn das Haus nicht mehr leer steht.“
Die Anwohner bestärkt das in ihrem Vorhaben. „Ist doch gut, dass endlich was passiert“, findet Lavinia Kleßmann. Bis zu einem Baubescheid würden viele Monate verstreichen. Bis dahin könne das Gebäude als Unterkunft genutzt werden. Kleßmann hofft, dass die Kampagne ein Zeichen über die Stadtteilgrenzen hinaus sendet: „Wäre doch toll, wenn Anwohner sich zusammenschließen und den Bezirken Leerstände melden.“ Die Chancen stehen nicht schlecht, weiß Joho. Initiativen aus Billstedt, Wilhelmsburg und Altona hätten bereits Interesse angemeldet.
Text: Jonas Füllner