In seinem früheren Leben war die Flasche der einzige Halt von Hinz&Künztler Horst. Im April 2012 haben wir seine Geschichte abgedruckt. Damals hatte er wirklich was zu feiern: Fünf Jahre lang hatte er keinen Tropfen Alkohol mehr angerührt. Und er war auf dem Weg zum Traualtar mit seiner Traumfrau Gudrun. Heute ist er noch immer glücklich verheiratet – und trocken.
(aus Hinz&Kunzt 249/November 2013)
Gib mir fünf, Horst! Das ist schließlich deine Glückszahl. Am 5.5. dieses Jahres ist dein neues Leben fünf Jahre alt, weil du am 5.5. vor fünf Jahren das erste Mal aufgewacht bist ohne den Klapper. Da haben zum ersten Mal deine Hände nicht wie jahrelang jeden Morgen gezittert – so lange, bis du den ersten Schluck genommen hast.
Damals war dir nichts wichtig, nur der Rausch. Keine Wohnung, keine Arbeit, keine Freunde – dein altes Leben war eigentlich gar kein Leben. In einer Notunterkunft hast du geschlafen, bist morgens früh aus deiner Koje gekrochen und ab zu deinem Stammplatz vor der Haspa in der Bahrenfelder Straße. Da hast du gesessen oder gelegen, die Hand aufgehalten, bis die Leute genug Münzen reingeworfen hatten für den nächsten Tetrapak Wein. Am Abend bist du dann zurück in deine Unterkunft gekrochen, die kein Zuhause war, zu Menschen, die dir nichts bedeutet haben. Das war dein Nicht-Leben, Tag für Tag. Und dafür warst du stadtbekannt. Die Hamburger Morgenpost hat über dich berichtet. Du warst der Mann, der mehr als fünf Promille im Blut hatte und trotzdem noch stehen konnte. Und da ist wieder deine Glückszahl. Denn zu lesen, wie andere Menschen dich wahrnehmen, dass du gar nicht sprichst, sondern nuschelst, dass du nirgendwohin gehst, sondern wankst, das hat dir schon wehgetan. „Da hab ich beschlossen, es ist Schluss“, sagst du.
Du warst nicht mal 21 Jahre alt, da war dir zum ersten Mal alles egal.
Von der gewaltigen Größe deines Vorhabens hast du dich nicht abhalten lassen. Und wie gewaltig deine Aufgabe war, das versteht man nur, wenn man weiß, wie alles angefangen hat. Bei deiner ersten Alkoholvergiftung warst du 14 Jahre alt, erzählst du. Nur wer mitgesoffen hat, gehörte auch dazu, damals auf dem Bau. Gerne wärst du noch ein bisschen länger zur Schule gegangen, doch das kam für deine Eltern nicht infrage. Ihr habt euch nicht im Guten getrennt. Du wolltest es alleine schaffen, doch das ging schief. Erst hast du deinen Job verloren, dann musstest du raus aus deinem kleinen möblierten Zimmer. Du warst nicht mal 21 Jahre alt, da war dir zum ersten Mal alles egal, und du hattest nichts und niemanden, und weil jeder Mensch sich irgendwo festhalten muss, sah man dich von da an fast nie ohne eine Flasche in der Hand.
Fast ein halbes Menschenleben lang bist du Alkoholiker gewesen. Du hast im Rausch drei Ehen in den Sand gesetzt und fünf Kinder gezeugt. Das war dir egal. Oder du hast es gar nicht gemerkt. „Du musst aufhören zu trinken“, haben deine Geschwister gesagt und die Betreuerin vom Jugendamt und wer noch, weißt du nicht mehr so genau. „Ich muss gar nichts“, hast du geantwortet.
Du warst zwar ein guter Kumpel, nur reden konnte man mit dir nicht.
Wer dich damals schon kannte, sagt, du warst zwar ein guter Kumpel, nur reden konnte man mit dir nicht. Dich hat ja nichts interessiert, und zu erzählen hattest du auch nichts. Wer dich heute trifft, wird das kaum glauben können. Denn du redest immerzu. Über deine „Raubvögel“, die Wellensittiche Butschi und Alice im Wunderland (den Namen durfte deine Nichte aussuchen).
Und du erzählst von deinen Kunden auf dem Wochenmarkt in Blankenese, wo du Hinz&Kunzt verkaufst. Im fünften Monat dieses Jahres sind es fünf Jahre. Du hast dir da ganz schön was aufgebaut. Jeden Dienstag und Freitag und Samstag fährst du hin, von deiner Wohnung im Osten der Stadt ganz in den Westen. Und wenn du mal nicht kommst, klingelt bei dir das Telefon, und Herr oder Frau Briga ist dran und fragt, ob es dir denn gut geht. Mit Frau Knapp hast du auch schon Telefonnummern getauscht, und sie hat dir nach und nach ihre ganze Familie vorgestellt. Und das war früher nie so, dass dir irgendwer seine Familie vorgestellt hat.
Aber am liebsten erzählst du von Gudrun. Gudrun wird im fünften Monat dieses Jahres deine Frau werden, ganz offiziell. Und diese Ehe, da bist du sicher, wird funktionieren. Weil du ein erfahrenerer Mann bist als früher. „Man muss miteinander reden.“ Das ist dir wichtig. Und mit Gudrun kannst du über alles reden. Überhaupt, sie sagt, was sie denkt. Sie lässt sich nicht die Butter vom Brot nehmen. Und sie macht jeden Spaß mit. Deswegen hast du dich in sie verliebt. Das war vor 21 Jahren. Auf dem Kiez hast du sie in einer Kneipe entdeckt und dich auf den ersten Blick verknallt, sagst du. Aber Gudrun war vergeben damals. Ihr seid trotzdem Freunde geworden, habt mal mehr, mal weniger Kontakt gehabt und euch dann doch aus den Augen verloren. Im August vergangenen Jahres seid ihr euch wieder begegnet. Zufall? Schicksal? Auf jeden Fall war Gudrun jetzt frei, und ihr seid schnell ein Paar geworden.
Dein neues Leben verlangt viel von dir.
Es ist nicht alles eitel Sonnenschein. Denn dein neues Leben, Horst, verlangt viel von dir. Drei Ein-Euro-Jobs hast du in den vergangenen fünf Jahren gehabt und alle gern gemacht. Zuletzt warst du als Sicherheitsmann bei der Grone-Schule, meistens Spätschicht. Das war ganz schön anstrengend: Besuchern den Weg weisen, Treppe rauf, Treppe runter und abends kontrollieren, ob alle Toilettenfenster geschlossen sind. Und dann hast du ja auch immer noch Hinz&Kunzt verkauft, du kannst ja nicht einfach wegbleiben vom Marktplatz in Blankenese. Und dann Butschi und Alice, um die musst du dich jeden Tag kümmern. Und die Hin- und Herfahrerei. Und jetzt hast du auch noch eine größere Wohnung besorgt, damit Gudrun mit einziehen kann.
Von dem ganzen Stress und weil du nie Nein sagen kannst, wenn dich jemand um einen Gefallen bittet, bist du ganz schön erschöpft. Aber deine Nervenärztin hat gesagt, wenn die Hochzeit war und Gudrun und du erst zusammenlebt, dann wird es dir bestimmt wieder besser gehen.
Die Hochzeitsfeier hast du schon längst geplant. Am 4. Mai um halb zwölf wird die Trauung sein. Dein Sohn Marcel ist euer Trauzeuge. Eine von deinen Stammkundinnen aus Blankenese, die ist Friseurin, und die macht Gudrun und dir die Haare schön. 17 Gäste habt ihr eingeladen, Freunde und Angehörige. Hoffentlich können alle kommen. Gudruns Nachbar, der für euch beide wie ein Papa ist, ist 80 Jahre alt und nicht mehr gut zu Fuß. Aber Karin hat schon zugesagt, die Toilettenfrau vom Blankeneser Markt. Nach der Trauung geht ihr alle zusammen chinesisch essen. Einfach eine schöne Feier mit lieben Menschen.
Einer, der in deinem alten Leben so wichtig war, wird fehlen. Aber den wirst du bestimmt nicht vermissen. Denn er war ein falscher Freund, der Alkohol.
Horst erzählt, wie es ihm heute geht
„Wir haben jetzt eine gemeinsame Wohnung, meine Frau und ich. Da ist alles so eingerichtet, wie wir es mögen. Den Stubenschrank hat mir meine Schwester Uschi geschenkt. Meine andere Schwester ist Elektrikerin und hat mir beim Aufbauen geholfen. Ich habe die Rückwand festgehalten, sie hat geschraubt. Man kann nicht immer alles allein machen. Ich habe auch einen Kumpel, der hat mir geholfen, die Möbel in die neue Wohnung zu bringen. Aufgebaut habe ich sie aber alleine, weil mein Kumpel weg musste.
Meine Kunden aus Blankenese waren auch schon mal bei mir zu Hause, es gab Kaffee und Kuchen. Alle finden, dass unsere Wohnung richtig schön geworden ist. Butschi und Alice fühlen sich auch wohl. Das sind die besten Wellensittiche, die ich je hatte. Mit denen kann man gut kuscheln, die beißen nie.
Leider konnten zu unserer Hochzeitsfeier letztes Jahr nicht alle kommen, die ich eingeladen hatte, manche hatten auch schon etwas anderes vor. Aber am wichtigsten war, dass Gudruns Nachbar Walter da war. Der ist für uns beide wie ein Vater. Das war sein größter Wunsch, dass er bei uns Trauzeuge sein darf. Und das hat geklappt. Ein paar Wochen später ist er leider gestorben. Da waren wir sehr traurig. Aber ich habe trotzdem keinen Gedanken ans Trinken gehabt.
Meine Frau und ich sparen für einen Urlaub. Wir wollen im nächsten Sommer nach Goslar fahren, zum Zelten. Ein Zelt haben wir schon. Vielleicht feiern wir dort auch unseren zweiten Hochzeitstag. Zu unserem ersten Hochzeitstag habe ich Blumen für meine Frau gekauft. Natürlich habe ich das, das gehört sich so. Es gab etwas Besonderes zu essen: Braten. Den habe ich gekocht. Meine Frau macht immer die Nebensachen, zum Beispiel Kartoffeln schälen.
Ich hätte gerne einen festen Job. Meine Schwester Uschi hilft mir bei Bewerbungen. Was mit Tieren am liebsten. Oder im Pflegeheim. Aber Hinz&Kunzt würde ich in Blankenese weiter verkaufen. Sonst verliere ich alle Kontakte. Ich rede immer mit allen und bin immer freundlich. Denn wenn man nichts dafür tut, erreicht man auch nichts.“ •
Text: Beatrice Blank
Fotos: Mauricio Bustamante (links), Rüga/Hamburger Morgenpost (Seite 38), Jörg Müller