Sandra Borgmann hat es vom Ruhrpott nach Eppendorf verschlagen. Ihre Bodenständigkeit hat sich die Schauspielerin aber bewahrt. Zum Interviewtermin radelt sie mit dem Fahrrad, für überzogene Mieten hat sie wenig Verständnis, für Kinder dafür umso mehr.
Sehr sorgsam füllt der Barmann das Kaffeepulver in das Sieb und drückt es in die Espressomaschine. Wer kommt gleich? Sandra Borgmann? Er lächelt ein bisschen unsicher und schüttelt dann den Kopf. Nein, der Name sage ihm nichts. Leider. Muss man die kennen? Aber ja doch! Wer nur hin und wieder mal den Fernseher anschaltet, der kennt doch Sandra Borgmann! Aber nichts zu machen: Er murmelt noch ein paarmal den Namen „Sandra Borgmann“, während Sandra Borgmann draußen ihr Fahrrad abschließt und mit Schwung das Café betritt.
Ein paar Minuten später huscht ein Lächeln über sein Gesicht, als er die Getränke serviert. Er ist ein sehr höflicher Barmann, er würde jetzt nie etwas sagen, aber es ist schon klar: Natürlich kennt er sie!
In Kürze wird Sandra Borgmann in der Verfilmung des Kinderbuchklassikers „Das kleine Gespenst“ von Otfried Preußler zu sehen sein. Sie spielt die Mutter von Karl, dem Jungen, der sich von seinem Glauben an Gespenster nicht abbringen lässt und zusammen mit seinen Freunden dem kleinen Gespenst wieder in seine nächtliche Gespensterwelt zurückhelfen will. Denn unglücklicherweise spukt es statt um zwölf Uhr nachts um zwölf Uhr mittags herum. Über die Rolle gerät Sandra Borgmann ins Schwärmen: „Wenn man als Erwachsener in einem Kinderfilm spielt, dann geht es um die Kinder. Die erwachsenen Figuren sind quasi nur irres Beiwerk, mit dem sich die Kinder herumschlagen müssen, und das macht in der Regel großen Spaß.“ In diesem Falle hätte es ihr besonders gut gefallen: „Die Kinder hatten einen tollen Coach, der sie gut unterstützt hat“, erzählt sie. „Das Gespenst, das ja die Hauptperson ist, wurde erst nachträglich in den Film digital hineinmontiert. Da es so bei den Dreharbeiten fehlte, wurde es von einem Coach gespielt. Der konnte alles, nur nicht fliegen. Und der Regisseur hat alles mit sehr viel Liebe gestaltet.“
„Typen konnten mich quasi mit Raymond Carver und Harry Mulisch ins Bett quatschen.“
Ihr eigenes Kind, vier Jahre alt, würde sie übrigens nicht zum Film schicken. Nur, wenn es unbedingt wollte. Warum nicht? „Man muss beim Film sehr gut funktionieren“, sagt sie. „Film ist immer eine Art Maschine, eine Wundermaschine, klar, aber auch eine Geldmaschine. Zeit ist ein wichtiger Faktor, Abläufe sind total durchgetaktet, und das ist für kleine Kinder völliger Quark. Die wollen das auch nie, das wollen immer nur die Eltern. Bei älteren Kindern, wie im Gespenst, ist das was anderes. Die können den Apparat durchschauen und Spaß am Spielen haben.“
Ihr Sohn glaube übrigens an Gespenster. Und sie stellt ihr Glas ab, legt los: „Es gab eine Zeit, da musste ich Zettel vor die Tür legen, also er hat mir das Versprechen abgenommen, dass ich das tue. Das ging dann so: ,Mama, hast du einen Zettel vor die Tür gelegt, dass die Gespenster nicht reinkommen?‘ Und ich: ,Ja, hab ich gemacht!‘ – ,Was hast du denn drauf geschrieben?‘ – ,Na, dass sie draußen bleiben sollen.‘ – ,Nein, du musst genau draufschreiben, dass sie nicht ins Kinderzimmer kommen sollen und auch nicht ins Wohnzimmer.‘“
Sandra Borgmann wird 1974 in Mülheim an der Ruhr geboren. „Ich bin mehr oder weniger als Einzelkind aufgewachsen. Meine Geschwister sind beide sehr viel älter, ich bin so ein Nachzügler. Wir wohnten allerdings in einer großen Wohnanlage, in der Nachbarschaft gab es wahnsinnig viele Kinder, das war toll“, erzählt sie. Also Höhlen bauen, Puppentheater spielen, zwei Stühle, eine Decke dazwischengespannt – und Vorstellungen geben. Überhaupt: Geschichten. „Ich hab immer gelesen. Beim Essen, beim Warten, beim Wachliegen. Wir haben unter Freunden mit Büchern gedealt wie andere mit Drogen. Typen konnten mich quasi mit Raymond Carver und Harry Mulisch ins Bett quatschen.“ Und dann hat Mülheim ein Theater, das in den 80ern zu den besten des Landes gehörte. Mit zwölf Jahren sitzt Sandra Borgmann zum ersten Mal im Saal und schaut auf die Bühne: „Zu Hause war es für mein Gefühl relativ eng – und nun saß ich im Theater und dachte: Irre, was die Erwachsenen alles so machen! Das war für mich der Inbegriff von Freiheit: in diesen Wahnsinn reingehen zu können, denn im Theater war plötzlich alles erlaubt.“
„Ich werde immer alberner.“
Später ist sie selbst Mitglied in einer Theatergruppe aus Schülern und Studenten: „Dabei hatte ich Angst davor, auf die Bühne zu gehen. Ich hatte riesige Angst vor Fehlern, die waren in meiner Familie nicht vorgesehen. Ich hatte damals schwarz gefärbte Haare, mochte keine Cliquen, hörte nur dunkle Musik – und war aber dahinter ein braves perfektionistisches Mädchen. Improvisationen waren mir ein Greuel. Und gleichzeitig wollte ich genau das haben – dass mal einer die ewig kontrollierte Ordnung durcheinanderbringt. Also habe ich mich unfassbar kontrolliert und bin dann todernst zu den Proben. Das war meine Revolte: todernst zu sein in einer Zeit, als alle Spaß hatten. Heute sind alle ernst, und ich werde immer alberner.“
Es ist die Ausbildung als Schauspielerin an der renommierten Folkwang Schule in Essen, die hilft. Und die Arbeit in der während des Studiums gegründeten eigenen Theater-Company „The Wildlife Group“. Am meisten aber vertreibt der Film ihre Angst vor dem Spielen. Sie sagt: „Das Filmen hat so geholfen, weil man dort kaum probt. Man wird in die Szene reingeworfen wie in kaltes Wasser. Es gibt den Text, es gibt Verabredungen, die die Abläufe im Raum betreffen, und dann guckt man beim Spielen, was in den Leerstellen dazwischen und zwischen den Menschen stattfindet. Spielen ist für mich immer nur eine Annäherung, eine Idee davon, wie dieser Mensch, den ich spiele, in dieser Situation sein könnte.“
Ihren endgültigen Durchbruch hat sie im Jahr 2000: Sie spielt die Hauptrolle in dem Spielfilm „Oi!Warning“, das Skinhead-Girl Sandra. Dem Fernsehpublikum wird sie ein Jahr später vertraut durch die Rolle der „Rosalie“ in der ARD-Vorabendserie „Berlin, Berlin“ an der Seite von Felicitas Woll, die die „Lolle“ spielt. Die Figur der Rosalie ist angelegt als leicht burschikose Punkerin, deren Herz eher für die Frauen als für die Männer schlägt, und für nicht wenige Fans der Serie ist sie die eigentliche Heldin. Doch Sandra Borgmann möchte nicht auf diese Serienfigur festgelegt werden. Sie steigt nach der ersten Staffel aus, um bald in unterschiedlichen TV-Filmen und -Serien zu spielen.
„Eppendorf ist nicht so überkandidelt, wie ich anfangs dachte.“
2005 zieht sie von Köln nach Hamburg. Sie hatte zuvor in Hamburg gedreht, und die Elbe und der Hafen lassen sie nicht mehr los. Dass auch noch Freunde aus dem Pott nach Hamburg ziehen, erleichtert ihren Entschluss, ebenfalls die Stadt zu wechseln. Sie findet eine Wohnung in den gelben Elbtreppenhäusern an der Hafentreppe nahe Oevelgönne: „Ich weiß noch genau: Am 5.5.2005 habe ich den Mietvertrag unterschrieben. Es war ein toller Ort, direkt am Hafen, der Blick auf die Elbe, drumherum der Park: Es war wie eine Insel, und für Hamburg war es unfassbar preisgünstig!“, schwärmt Sandra Borgmann. „Wir haben lange darum gekämpft, dass die Häuser nicht abgerissen werden.“ Das wurden sie dann auch nicht, aktuell werden sie saniert, die Mieter werden bleiben.
Sandra Borgmann wird Mutter und nach einer Zwischenstation in Eimsbüttel zieht sie nach Eppendorf: „Es ist nicht so überkandidelt, wie ich anfangs dachte. Es gibt hier wie überall auch sehr nette Leute.“ Aber es gebe eben auch die andere Seite: „Wenn die Leute hier mit ihren 20-Liter-Kutschen rumfahren, denke ich schon: Mensch Leute, was ist denn los? Ich komme aus keiner Arbeiterfamilie, aber vielleicht hat man als Ruhrgebietler einen naturgegebenen Zweifel am Besitz, am Status überhaupt. Dabei habe ich nichts gegen Luxus, im Gegenteil. Nur ist für mich Luxus ein Lustfaktor, kein Identitätsmerkmal.“ Sie sagt: „Wenn es nur noch ums Geld geht – ich kann da nicht wirklich andocken.“
Und sie muss noch mal was über Hamburg erzählen: „Als ich zuletzt eine Wohnung suchte, gab es eine hier, zwei Straßen weiter: drei Zimmer, 70 Quadratmeter, 930 Euro. Und zwar kalt! Es war eine schöne Wohnung, im Erdgeschoss ein Fischladen, du kommst nach Hause, riecht alles nach Aal, das ist schon okay – aber für mehr als zwölf Euro der Quadratmeter?“
Neulich hat sie mitbekommen, dass sich Freunde eine Wohnung für 700.000 Euro gekauft haben: „Ich: ,Was habt ihr bezahlt? Für eine Wohnung?‘ Das ist doch nicht Paris hier, ist auch nicht New York, nicht London.“ Und sie lacht, sie lässt sich weit nach hinten fallen, sie wechselt ins breiteste Norddeutsch, als stünde da jetzt eine Kamera: „Hamburch is nu keine Metropole. Hamburch is Hamburch und wird es auch immer bleiben. Da sorgen die Hamburger schon für. Zu aufregend wird’s in der City nicht. Da muss man doch keine 700.000 nehmen. Is’ doch ’n büschen übertrieben, oder?“
Kinostart „Das kleine Gespenst“: Do, 7.11.
Text: Frank Keil
Foto: Daniel Chassein
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