Gaspreis vor Gericht

Kunden wehren sich gegen Preiserhöhung von E.ON Hanse. Was der Vorstandschef und die Verbraucherzentrale sagen

(aus Hinz&Kunzt 155/Januar 2006)

Zum Jahresbeginn erhöht der Energieversorger E.ON Hanse den Gaspreis – zum vierten Mal in den vergangenen 15 Monaten. 54 Privatkunden sind deshalb vor Gericht gezogen. Sie bezweifeln, dass die Preiserhöung angemessen ist – ein Novum in der deutschen Wirtschaft. Das Unternehmen, zugleich H&K-Sponsor, hat daraufhin einen umfangreichen Schriftsatz angefertigt, den die Kläger derzeit studieren. Hinz&Kunzt befragte Hans-Jakob Tiessen, Chef von E.ON Hanse, und Dr. Günter Hörmann, Geschäftsführer der Hamburger Verbraucherzentrale.

HANS-JAKOB TIESSEN, E.ON HANSE:

„Preisanhebung ist wirtschaftlich zwingend notwendig“

Hinz&Kunzt: Die privaten Haushalte, die Sie beliefern, haben ein hartes Jahr hinter sich: Der Gaspreis ist seit Herbst 2004 um 25 Prozent gestiegen. Jetzt erhöhen Sie um weitere zehn Prozent. Warum?

Hans-Jakob Tiessen: Uns sind die Preiserhöhungen nicht leicht gefallen. Aber Erdgas wird immer teurer. Dadurch steigen auch unsere Bezugskosten. Von diesem Trend können wir uns leider nicht abkoppeln. Die Preisanpassung im Januar 2006 entspricht übrigenss genau dem, was unsere Lieferanten uns zusätzlich in Rechnung stellen.

H&K: E.ON Hanse ist praktisch Monopolist, Verbraucher können den Gaslieferanten nicht einfach wechseln. Dürfen Sie da die Preise nach Belieben erhöhen?

Tiessen: Unsere Preisbildung ist keine Willkür! Der Gasbezug hat einen Anteil von rund 57 Prozent am Preis für Haushaltskunden. Und die Bezugskosten sind seit Januar 2004 um rund 70 Prozent gestiegen. Dass deshalb auch wir unsere Preise anheben müssen, ist wirtschaftlich zwingend notwendig.

H&K: Ein Controlling-Bericht aus Ihrem Haus listet detailliert auf, wie wackelig die Gründe für die Preiserhöhung in Wahrheit seien. Preise hätten sogar gesenkt werden können. Was sagen Sie dazu?

Tiessen: Im Vorfeld einer so wichtigen Entscheidung wie zur Offenlegung der Kalkulation werden natürlich unterschiedliche Szenarien diskutiert, darunter auch unrealistische. Um solche handelt es sich jedenfalls teilweise in dem genannten Papier, das im Übrigen in einer frühen Phase der Meinungsbildung auf Arbeitsebene entstand. Maßgeblich sind allein die Gutachten, die wir dem Hamburger Landgericht vorgelegt, und die Ergebnisse, die wir der Öffentlichkeit im November vorgestellt haben.

H&K: E.ON Hanse hat kürzlich den gängigsten Erdgastarif aufgeschlüsselt. Demnach erzielen Sie hier nur noch einen Gewinn von knapp einem Prozent. Müssen wir da Mitleid haben? Und woher kommen dann die stattlichen Gewinne, die E.ON Hanse und der Konzern insgesamt erwirtschaften?

Tiessen: Tatsächlich hat sich unser Gewinnanteil beim gängigsten Produkt für Haushaltskunden von 2004 auf 2005 nahezu halbiert – auf ein Prozent. Das reicht zur Deckung unserer Risiken nicht mehr aus. Insgesamt sind E.ON und E.ON Hanse wirtschaftlich gesunde Unternehmen, die Gewinne erwirtschaften. Das ist aber auch notwendig, damit wir weiter in die Zuverlässigkeit der Energieversorgung investieren und Arbeitsplätze sichern können.

H&K: Können sich Ihre Kunden darauf verlassen, dass die vorgelegte Kalkulation stimmt?

[Tiessen: Unsere Kunden wollen doch von neutralen Wirtschaftsprüfern begutachtet haben, wie sich unsere Preise zusammensetzen und warum wir sie erhöhen mussten. Deshalb sind wir so vorgegangen, die Ergebnisse liegen dem Landgericht vor.

H&K: E.ON Hanse steht wegen der Preiserhöhungen als raffgierig da. Wie erklären Sie sich die Wut der Verbraucher?

Tiessen: Natürlich verstehen wir den Unmut unserer Kunden über die allgemeine Verteuerung der Lebenshaltungskosten. Beim Gas kommt hinzu, dass für Haushaltskunden ein Wechsel des Anbieters noch nicht möglich ist. Darüber ärgern sich unsere Kunden. Wir wollen, dass sich das schnell ändert und werden alles dafür tun, dass möglichst bald Wettbewerb herrscht.

H&K: Wie viele Ihrer Kunden weigern sich, die höheren Preise zu bezahlen?

Tiessen: Die meisten Kunden, die Widerspruch eingelegt haben, zahlen unter Vorbehalt. Sie haben ihre Zahlung weder gekürzt noch eingestellt. Insgesamt sind es keine 1000 Kunden, die ihre Rechnung tatsächlich gemindert haben. Das sind lediglich 0,2 Prozent unserer Gaskunden.

H&K: Was wünschen Sie sich für 2006?

Tiessen: Ich hoffe sehr, dass sich die Lage an den weltweiten Energiemärkten entspannt und der Preistrend nach oben gestoppt werden kann. Vielleicht gehen die Weltmarktpreise ja sogar nachhaltig zurück. Dann könnten auch wir unsere Preise senken. Das würde mich für unsere Kunden sehr freuen.

GÜNTER HÖRMANN, VERBRAUCHERZENTRALE:

„Widerstand – jetzt erst recht“

Hinz&Kunzt: Sie arbeiten sich derzeit durch die Stellungnahme von E.ON Hanse im Gerichtsverfahren. Eine umfangreiche Lektüre, oder?

Dr. Günter Hörmann:Der Schriftsatz hat 70 Seiten mit 31 Anlagen – insgesamt 1,7 Kilo Papier. Das Verfahren ist ja für alle Beteiligten Neuland. Wir unterstützen die Kläger, weil wir es als unsere Aufgabe sehen, für eine grundsätzliche Klärung im Verbraucherschutz zu sorgen.

H&K: Sie berufen sich dabei aufs Bürgerliche Gesetzbuch.

Hörmann: Ja, auf den ehrwürdigen Paragrafen 315. Normalerweise können Verbraucher woanders hingehen, wenn ihnen der Preis nicht passt. Doch beim Gas gibt es in jeder Region nur einen Anbieter. Und die Kunden können nicht von heute auf morgen auf eine andere Heizungsart umstellen. Deshalb muss der Anbieter seinen Preis nach „billigem Ermessen“ festsetzen, wie es im BGB heißt, und im Zweifelsfall seine Kalkulation offen legen – anders als sonst in der Marktwirtschaft.

H&K: Ist diese juristische Strategie bisher nie genutzt worden?

Hörmann: Großabnehmer von Strom und Gas haben sie auch früher schon angewandt, aber das war allenfalls in der Fachöffentlichkeit bekannt.

H&K: Wie viele Gaskunden weigern sich, höhere Preise zu zahlen?

Hörmann: Vorsichtig geschätzt rund drei Prozent. Das wären bei E.ON Hanse rund 20.000 Kunden. Wir leiten das ab aus der Zahl der Anfragen bei uns und vor allem aus dem Abruf des Musterbriefs auf unserer Internetseite.

H&K: Hat E.ON Hanse seine Preise nun korrekt kalkuliert oder nicht?

Hörmann: Um das beantworten zu können, müssen wir erst den Schriftsatz auswerten. Möglicherweise hat das Unternehmen seinen privaten Gaskunden Kosten untergeschoben, die in anderen Bereichen angefallen sind, zum Beispiel bei den Großabnehmern von Gas oder beim Stromverkauf. Die Versuchung, sich auf diese Weise arm zu rechnen, besteht. Das zeigt ja auch der interne Controlling-Bericht des Unternehmens, aus dem der „Spiegel“ zitiert hat.

H&K: Früher gab es Hein Gas unter Kontrolle der Stadt Hamburg, heute liefert eine Tochter des Großkonzerns E.ON die Energie. Macht das einen Unterschied?

Hörmann: Die Verbindung von Hein Gas zur Hamburger Politik war sicherlich enger als die von E.ON Hanse. Auf öffentliche Kritik hätte man möglicherweise sensibler reagiert. Heute kommen die Vorgaben aus der Konzernzentrale in Düsseldorf. Und dort geht es um andere Kriterien als die Stimmungslage in der Hamburger Bevölkerung.

H&K: E.ON Hanse erhöht im Januar den Gaspreis erneut. Was empfehlen Sie den Kunden?

Hörmann:Widerstand – jetzt erst recht. Wer noch nicht widersprochen hat, sollte es unbedingt tun.

H&K: Das ändert nichts an der Tatsache, dass Gas und Öl knapp werden. Langfristig müssen die Preise steigen.

Hörmann: Stimmt. Aber das ist kein Freibrief für die Versorger. Sie stehen trotzdem in der Pflicht, jetzt ihre Preispolitik zu begründen. Und was die langfristige Entwicklung betrifft: Umso wichtiger ist es, sich für regenerative Energieträger und fürs Energiesparen einzusetzen. In der Beratung fragen uns jetzt immer mehr Leute, wie sie Energie effizienter nutzen können. Holzpelletheizung, Wärmedämmung, stromfressende Standby-Geräte abschalten – das sind begehrte Themen.

H&K: Ihr Wunsch für 2006?

Hörmann: Ich wünsche mir, dass wir vor dem Landgericht gewinnen. Und dass E.ON Hanse die Preiserhöhung zum 1. Januar zurücknimmt.

Interviews: Detlev Brockes

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