„Kuriose Unsicherheitspolitik“

Warum ein ehemaliger Anstaltsleiter gegen die Schließung der Sozialtherapeutischen Anstalt Altengamme protestiert

(aus Hinz&Kunzt 154/Dezember 2005)

An dieser Stelle wollten wir einen Bericht über die letzten Tage der Sozialtherapeutischen Anstalt Altengamme bringen, die am 16. Dezember geschlossen wird. Das geht aber nicht: Die Justizbehörde hat uns wieder einmal die Genehmigung verweigert, mit dem Anstaltsleiter geschweige denn mit den Gefangenen zu reden. Deshalb befragten wir jetzt den ehemaligen Anstaltsleiter Dr. Gerhard Rehn zu dem Beschluss des Senats, die Anstalt aufzulösen und zu einer Abteilung der Großanstalt Fuhlsbüttel umzuwandeln.

Hinz&Kunzt: Herr Rehn, Sie waren von 1984 bis 1994 Leiter der Sozialtherapeutischen Anstalt in Altengamme. Was ist da anders als in einem normalen Gefängnis?

Dr. Gerhard Rehn: Die Sozialtherapie kann intensiver auf den einzelnen Gefangenen eingehen. Sie ist zum Beispiel mit Personal besser ausgestattet. Außerdem ist – oder vielmehr war – die Hamburger Sozialtherapie für ihr hohes fachliches Niveau bekannt. Der therapeutische Anspruch bestimmte alle Details des Zusammenlebens bis hin zur Eingliederung in das Leben in Freiheit. Kein Gefangener wurde ohne Arbeit und Unterkunft entlassen. Der Regelvollzug kann dem Einzelnen nicht in gleicher Weise gerecht werden. Heute noch weniger als früher. Der Strafvollzug wird immer mehr zu einem ausgeklügelten System der Disziplinierung und der vordergründigen Anpassung. Es gibt kaum noch Verlegungen in den offenen Vollzug; Urlaub, Ausgang und Freigang werden mehr als halbiert. Ganz anders war es in Altengamme und in der Sozialtherapie in Bergedorf. In einem lebensnahen Milieu wurden die Entwicklung und die Fähigkeiten der Gefangenen, sich mit ihrer Tat auseinander zu setzen und ein Leben in sozialer Verantwortung zu führen, gefördert.


H&K:
Sie hatten Erfolg?

Dr. Rehn: Ich bin bei Statistiken immer vorsichtig. Aber unsere Auswertung der Strafregisterauszüge zeigt, dass 86 Prozent der aus Altengamme Entlassenen innerhalb der nächsten fünf Jahre keine Haftstrafe mehr angetreten haben. Und das bei Menschen, die ja nicht gerade Eierdiebe waren. Wegen ihres hohen Standards und ihrer Erfolge waren Altengamme und Bergedorf Vorbild für andere.


H&K:
Was ändert sich mit der Verlegung der 6o Plätze nach Fuhlsbüttel?

Dr. Rehn: Die Sozialtherapie wird sich den Regeln der geschlossenen Großanstalt unterwerfen müssen. Nicht der therapeutische Anspruch, sondern die Bedingungen des Regelvollzuges diktieren dann vorrangig das Geschehen. Ein gleicher Behandlungserfolg wird nicht erzielt werden können. Der Beitrag des Vollzuges zur Sicherheit in der Stadt, zur Vermeidung künftiger Opfer, nimmt ab. Vollzugspolitisches Kapital erster Güte wird verschleudert. Intensive Beziehungsarbeit, die der Kern einer erfolgreichen Therapie ist, wird erschwert. Sie muss nicht nur gegen Widerstände bei den Gefangenen, sondern auch gegen die lähmenden Strukturen der Großanstalt und gegen die negativen Einflüsse aus der Subkultur der Gefangenen ankämpfen.


H&K:
Sie glauben, dass der Senat mit dieser Zusammenlegung nicht nur sparen will?

Dr. Rehn: Nein. Dafür sind die materiellen und sozialen Kosten dieses Abenteuers zu hoch! Justizsenator Kusch hat mehrfach deutlich gemacht, dass er von Therapie und Resozialisierung, vom Ziel und vom Geist des Strafvollzugsgesetzes nicht viel hält. Viel dagegen offenbar von der Idee, man könne Straftaten allein durch Wegsperren vermeiden. Das empfinde ich als einen unglaublichen Ressort-Egoismus, denn die Risiken für die Öffentlichkeit werden so auf die Zeit nach der Entlassung verschoben. Die Haftzeit wird nicht so genutzt, wie dies nach dem Stand kriminologischer Erkenntnisse möglich wäre. Die CDU muss sich fragen, warum sie diese kuriose Unsicherheitspolitik mitträgt.

Interview: Birgit Müller

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