„Schnarcht mal nicht so rum!“

Der Schauspieler Peter Kurth will provozieren, verstören und vor allem aufwecken. Für ihn ist Theater noch eine moralische Anstalt

(aus Hinz&Kunzt 153/November 2005)

„Ach, du triffst dich mit dem kleinen Bruder von Mickey Rourke!“, sagt eine Kollegin und pfeift anerkennend durch die Zähne. Peter Kurth – der mentale Bruder dieses versoffenen bösen Buben des amerikanischen Films? Jetzt, wo sie’s sagt… Übernächtigt und leicht verkatert ist Peter Kurth jedenfalls, als wir uns mittags um 13 Uhr treffen.

Und nett sein ist das Letzte, was der 48-Jährige will – zumindest auf der Bühne. Pieken will er, wenn nicht gar verstören. „Auf der Bühne werde ich im guten Sinne zum Freiwild. Wenn mich jemand scheiße findet, dann finde ich das genauso gut, wie wenn er mich gut findet“, sagt er und grinst. Na ja, so ganz stimmt das nicht. Neulich schrieb ein Kritiker, er habe den Kommissar in „Das Versprechen“ wie einen Stockfisch gespielt. Das ärgert ihn schon.

Seit 2000 spielt Kurth am Thalia Theater. Seinen Einstand gab er mit „Liliom“, diesem massigen Stück Mensch, voller unterdrückter Zärtlichkeit und Gewalt. Fast sprachlos. Die Hamburger haute es fast aus den Sesseln. Und Klaus von Dohnanyi rief lautstark in den Saal: „Das ist doch ein anständiges Stück, das kann man doch auch so spielen!“ Peter Kurth trafen diese heftigen Reaktionen völlig unvorbereitet – und er genoss sie. „Solche Momente hat man vielleicht nur einmal im Leben“, sagt er. „Da sitzt du nachher in der Unterhose zu Hause auf dem Bett und fragst dich: Was war das denn?“ Nach dem Schock kam die Begeisterung, vielleicht nicht gerade bei Klaus von Dohnanyi, aber das Stück „Liliom“ mit Peter Kurth und Fritzi Haberlandt wurde zum Theatertreffen nach Berlin eingeladen. Eine Art Ritterschlag.

Er ist bei dieser Art, Theater zu machen, geblieben – und arbeitet immer wieder mit den beiden Regisseuren Armin Petras und Michael Thalheimer. „Sie haben den gleichen Druck, die gleiche Mutwilligkeit und Böswilligkeit, etwas auf die Bühne zu bringen, weil sie böse dicke Kinder sind.“ Theater, „dieser goldene Sandkasten“, könne zwar keine Revolution bewirken, „aber wir können sagen: Schnarcht da mal nicht so rum da unten, sondern werft euren Gehirnkasten an!“

Aber da sind auch leisere Töne, bei seinen Figuren und bei ihm selbst. Wir sitzen im Café Vienna, einer coolen Schiffsbar auf der Alster. Er wirkt auf einmal nachdenklich und nimmt einen tiefen Zug von seiner Zigarette. „Ein Mensch wird 50, die Leute sagen: Du bist ja sehr gut, du bist ja unser Bester, aber geh doch mal weg.“ Redet er von sich oder diesem Kommissar Schwarz, den er gestern noch gespielt hat? „Geh mal in die Wüste, nach Jordanien.“ Es geht doch um diesen Kommissar, der weggelobt werden soll, sich dann aber entscheidet, dazubleiben und einen Kindsmörder zu suchen. „Du kommst an einen Punkt, wo du dich fragst: Was hast du bisher gemacht? Willst du so weitermachen?“, nimmt Peter Kurth seinen Faden wieder auf. „Was hast du bewirkt hier auf der Welt? Was schafft man mit Theater, was soll das?“ Das ist jetzt aber Peter Kurth – und der wird in zwei Jahren auch 50.

Und hoffentlich nicht so durchgeknallt wie dieser Kommissar, der jede noch so kleine und zarte menschliche Regung der verzweifelten Mördersuche unterordnet, seine neue Liebe und das Kind, das er zum Lockvogel macht. „Soll ich wirklich platzen oder aufnehmen und aufnehmen, bis ich kaputtgehe, bis die Feder gesprungen ist“, hat sich Kurth gefragt bei der Ausarbeitung der Rolle. Er hat sich für die gesprungene Feder entschieden. Kommissar Schwarz ist nachher so verrückt, wie es die restliche Welt sowieso schon war. Nichts mehr gemein hat der Kurth’sche Kommissar mit dem „netten“ Heinz Rühmann, der in den 50er-Jahren den Schwarz gab in dem Film „Es geschah am hellichten Tag“. Rühmann blieb ein Fels in der Brandung, ein lebendiges Versprechen, dass die heile Welt wiederhergestellt sein würde, sobald der Mörder gefangen, das Böse beseitigt wäre.

Eine gewisse Düsterheit faszinierte Kurth immer schon. Als Kind war er oft kränklich und las viel. Geliebt hat er russische Märchen, mit vielen Tartaren, Totenköpfen und Drachen oder Edgar Allen Poes „Der Mord in der Rue Morgue“. Dabei empfand er seine Kindheit in Goldberg, damals in der DDR gelegen, als „geborgen“. Seine Mutter und sein älterer Bruder leben immer noch in Goldberg, einem Ort, der nach der Wende zu einem Synonym für Landflucht geworden ist.

Ihn zog es immer schon weg, wenn auch nicht weg aus der DDR, nur weiter. „Ich war wie ein nasses Stück Seife, immer auf der Suche nach einer schnellen Veränderung.“ Auch heute ist er noch so. Er bindet sich vertraglich nie lange an ein Theater, an eine Stadt. Der Typ für eine Eigentumswohnung und das geruhsame Leben ist er nicht: „Wenn man sich nicht wohl fühlt oder nichts zu erzählen weiß, muss man schnell gehen können, sonst wird man krank.“

Er wurde damals Schauspieler, aber er hätte auch Musiker werden können. „So genau wusste ich das damals nicht. Ich suchte vor allem nach einem Ort, an dem ich mich entäußern kann.“ Nach dem Abitur war Kurth zur Nationalen Volksarmee gegangen und hatte eine Annonce gelesen, dass Schauspielschüler gesucht würden. Die zweite Schule nahm ihn, obwohl er von Theater „null Ahnung hatte. Ich wusste gerade mal, wer Bertolt Brecht war.“ Das war 1981.

Mit dem Regime hatte er zunächst keine Probleme. „Ich mochte die Gesellschaft, ich fand das eine gute Idee, dass man so leben könnte.“ Gekippt ist es, „weil wir wie in einem Lager gelebt haben“. Fragen wurden nicht beantwortet, reisen durfte man nicht und denken auch nicht.

Im Theater, Kurth war inzwischen in Chemnitz und Leipzig, versuchte man mit List und Tücke, die eine oder andere politische Anspielung unterzubringen. Um eine brisante Stelle zu retten, wurde eine noch auffälligere zur Ablenkung eingebaut. Der so genannte weiße Elefant. Natürlich musste diese Stelle dann wieder gestrichen werden, die Theatermacher seufzten lautstark – und die andere Textstelle war gerettet.

Die Herausforderungen im Jahr 2005 sind ganz anderer Art. Gerade für ein „nasses Stück Seife“ wie ihn. „Es gibt kein bürgerliches Theater mehr, was bekämpft werden muss – heute fürchten die Menschen um ihre Existenz. Darauf muss auch das Theater neue Antworten finden – und zwar immer schneller.“ Und bei dieser Entwicklung will er dabei sein. Nächstes Jahr geht er mit seinem Leib- und Magen-Regisseur Armin Petras nach Berlin. Petras übernimmt dort die Leitung des Maxim-Gorki-Theaters. Übrigens: Die Thalia-Kollegen Fritzi Haberlandt und Peter Moltzen gehen mit.

Sechs Jahre war er dann in Hamburg, ganz schön lange für einen wie ihn. „Es waren gute Jahre. Ich gehe, bevor die Leute sagen: ‚Der Kurth, der spielt den Tyrone, dann hat er den Liliom gespielt. Er spielt den Kommissar Schwarz, den Danton – haben die denn nicht noch ’nen andern!?“

Birgit Müller

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