In der „Jobbe“ warten Arbeitslose darauf, dass jemand sie braucht – manchmal mit Erfolg
(aus Hinz&Kunzt 153/November 2005)
Harte Arbeit, wenig Lohn: Wer zur Tagesjobvermittlung der Arbeitsagentur im Norderhof im Stadtteil St. Georg geht, hat kaum Geld und keine Wahl. Viele Menschen kämpfen hier um wenige Jobs als Tagelöhner. Wer Pech hat, geht nach drei Stunden Warten ohne einen Cent nach Hause.
Wie jeden Morgen um kurz nach sechs tritt der Arbeitsvermittler vor die Tür seines Büros, blickt auf die Karteikarten in seiner Hand und hebt die Stimme. „Guten Morgen, meine Herren. Die Firma P. sucht zwei Mitarbeiter. Abladen von Schutt, Materialtransport und so weiter. Wer möchte?“ Rund 30 Männer zwischen 35 und 60 sind an diesem Montag in aller Herrgottsfrühe in die Räume der Tagesjobvermittlung gekommen. Zehn heben den Arm. Einigen haben Kummer oder Korn das Gesicht gezeichnet, allen reicht das Arbeitslosengeld II nicht zum Leben. Wer von ihnen einen der raren Jobs bekommt, entscheidet der Vermittler, der wie fast alle im Raum mit Presse nichts zu tun haben will. „Jeder kommt hier mal dran“, versichert er nur knapp. Das ist ihm wichtig, denn er weiß: „Die Leute leben von der Hand in den Mund.“
Rund einem Dutzend Arbeitslosen winken Lohn und Brot – für heute jedenfalls. Der Arbeitsvermittler lässt sich von ihnen Sozialversicherungsausweis und Perso zeigen, nennt eine Adresse, und los eilen die Glücklichen. Den anderen bleibt nur zu warten, dass in der „Jobbe“, wie Arbeitslose die Börse nennen, das Telefon klingelt und ein neues Angebot eingeht. Wer bis neun Uhr keinen Job hat, muss sehen, wo er bleibt. Dann schließt die Vermittlung ihre Türen bis zum nächsten Morgen um sechs.
Michael ist heute etwas später gekommen. Doch der 42 Jährige, der hier auffällt mit seinem sorgsam gepflegten Äußeren, bleibt gelassen. Vergangene Woche hat er gleich mehrmals Jobs ergattert, und mit seiner Dachdecker Ausbildung hat er gute Karten, wenn auf dem Bau ein Fachmann gesucht wird. Vor sechs Jahren ist er das erste Mal zur „Jobbe“ gegangen, müde von der vergeblichen Suche nach fester Arbeit: „Wenn man immer nur Absagen bekommt, resigniert man irgendwann.“ Fünf Jahre lang sei er wohnungslos gewesen, bis er im Juni eine kleine Wohnung in Altona gefunden habe.
Michael zieht einen Packen Fotos aus der Innentasche seiner Jacke. Viele zeigen ihn, den früheren Zeitsoldaten, in Uniform. Manchmal spiele er kleine Rollen beim Film, erzählt er stolz. Im „Untergang“ habe er den russischen Major gegeben, in „Die letzte Schlacht“ einen Rotarmisten, auch beim „Tatort“ habe er schon mitgewirkt. 60 Euro am Tag gebe es bei Film- und Fernsehproduktionen mindestens, „und wenn der Bart ab muss, krieg’ ich das auch bezahlt.“ Doch häufiger als ein- oder zweimal im Monat seien solche Jobs nicht zu haben.
Uwe ist gelernter Heizungsmonteur. Der drahtige 60-Jährige im Blaumann hielt seiner Firma mehr als 25 Jahre die Treue, „dann hatten die eines Tages keine Aufträge mehr.“ Es folgten Kündigung, Bewerbungen, Absagen, Arbeitslosengeld I, Arbeitslosengeld II. „Eigentlich sind Sie zu alt“, habe ihm der Berater von der Arbeitsagentur gesagt. „Aber suchen Sie trotzdem weiter.“ Uwe kommt jeden Morgen zur „Jobbe“, seit einem halben Jahr und aus gutem Grund. „345 Euro im Monat reichen mir zum Leben nicht. Ich brauche 500 bis 600 Euro.“ Um die in der Tasche zu haben, muss er einiges hinzuverdienen (siehe unten). Doch Selbstmitleid ist nicht sein Ding. „Ich bin froh, dass ich noch Arbeit kriege. Schlimm wäre es doch, wenn ich überhaupt keine mehr bekäme.“
Ein- bis zweimal die Woche klappt es bei ihm mit einem Job, Uwe ist nicht wählerisch. „Es gibt nichts, was ich nicht mache.“ Neulich hat er Kartons gefaltet in einer Teefabrik, acht Euro die Stunde hat er da verdient. Das ist der Mindestlohn für Jobs, die die Börse vermittelt. Häufig aber geht es hier, berichtet Uwe, um Abbrucharbeiten auf dem Bau: „Auf Deutsch gesagt: Knochenarbeit.“ Die Sicherheitsschuhe, die er für solche Jobs braucht, hat der Arbeitslose sich bei Aldi gekauft, für 20 Euro.
Wenn Uwe den ganzen Tag Container im Hafen entladen oder Umzugskisten für Privatleute geschleppt hat, tut ihm an den Tagen darauf „natürlich manchmal der Rücken weh“. Dann denkt er: „Zähne zusammenbeißen und durch.“ Denn der leidenschaftliche Marathonläufer hat ein Ziel: bis 65 durchhalten „und dann hoffentlich 1000 Euro Rente bekommen“.
Acht Uhr. Ein VW-Bus fährt vor. Jürgen Paust, das Handy am Ohr, sucht dringend Personal für die Baustelle. Zehn Arbeiter aus Berlin sind nicht gekommen. „Immer das gleiche Spiel mit den Subunternehmern!“, schimpft der Junior-Chef der Jürgen Paust GmbH, die einen alten Kaispeicher im Hafen saniert. Da kommt Michael gerade recht. Die beiden wechseln ein paar Sätze, wenige Minuten später sitzen der Arbeitslose und ein befreundeter Kollege im Bus. Sein Arbeitgeber ist zufrieden: „Einen, der Ahnung hat, zu bekommen, das ist schon Glück!“
Auf der Baustelle sind die Arbeiten in vollem Gang. Michael und sein Kollege steigen eine Treppe hinab, die in den Keller des Speichers führt. Sie sollen die Wände mit Bitumen und Dachpappe isolieren, damit kein Wasser eindringen kann. Neun Euro die Stunde oder zehn Euro den Quadratmeter? Noch einmal geht es ums Geld. Dann heißt es ranklotzen. Machen die Tagelöhner ihre Sache gut, dürfen sie morgen wiederkommen. Für Michael und seinen Kumpel ist es ein guter Tag geworden.
Ulrich Jonas
Tagesjobvermittlung, Mo–Fr 6–9 Uhr, Norderhof, Tel. für Job-Anbieter: 24 85-13 11
Nach einer Gesetzesänderung dürfen Arbeitslosengeld-II-Empfänger seit dem 1. Oktober bis zu 100 Euro im Monat ohne Abzug hinzuverdienen. Darüber hinausgehendes Einkommen wird zu 80 Prozent mit dem Arbeitslosengeld II (345 Euro) verrechnet. So darf zum Beispiel ein Arbeitsloser, der 400 Euro im Monat hinzuverdient hat, 160 Euro behalten. Mehr Infos unter www.arbeitsagentur.de