Bio-Lebensmittel sind teurer als konventionelle. Aber Bio-Bauern verdienen in der Regel weniger als die, die konventionell anbauen. Matthias Schulz, Küchenchef im Hamburger Restaurant Nil versucht auf seine Weise gegenzusteuern. Er bestellt direkt bei Bauern. Das können auch Verbraucher tun.
Das ist fast wie auf einer Ranch. Mit dem Jeep fahren wir die „Ländereien“ ab, 150 Hektar, das Land von Michael und Heike Pasemann vom Hof Kiebitzberg. So was Idyllisches: Ein Schaf läuft in der Highland-Rinderherde mit. „Das Lamm wurde zusammen mit einem Highland-Kalb mit der Flasche aufgezogen, jetzt denkt es, es sei eines von ihnen, und die Rinder sehen das wohl auch so“, sagt Heike Pasemann.
Stolz zeigen uns die Biobauern ihre Tiere: Auf dem Hof hatten wir schon die sieben Wollschweine bewundert, eins davon hat Matthias Schulz, Küchenchef im Hamburger Restaurant Nil, schon bestellt. Wir kommen an zwei Schafherden vorbei, eine davon besteht aus Wildschafen, da hinten eine Rinderherde – aber die besondere Leidenschaft von Michael Pasemann sind die besagten Highland-Rinder.
„Schau mal, Matthias“, sagt Pasemann und deutet auf eines der zotteligen Jungtiere. „In anderthalb Jahren ist der so weit. Der wär doch was für dich, oder?“ Aber so weit im Voraus will der Koch dann doch nicht bestellen. „Warten wir mal ab“, sagt er verhalten. Heute ist er erst mal hier, um „sein“ Schwein zu besuchen, das ihm demnächst geliefert wird. Bestellt hat er es schon vor Monaten. Im vergangenen Jahr hat Schulz fürs Nil insgesamt 490 Hühner, 14 Schweine, 6 Wildschweine, 3 Ziegen, 3 Hirschkälber, 2 Rinderdrei Ziegen, dazu zig halbe Tiere bestellt, einige davon bei Pasemann. Der Biobauer könnte mehr Kunden wie den Koch aus Hamburg gebrauchen. Schulz plant nämlich grundsätzlich sein Jahr und seine Menüs so weit wie möglich im Voraus durch – und bespricht mit seinen Bauern, was diese ihm wann liefern können. Das hat Vorteile für den Koch und für die Bauern. Seine Chefs und er wollten unbedingt hochwertiges Biofleisch auf den Tisch bringen. „Aber es sollte bezahlbar sein“, sagt Schulz. Jetzt bestellt er bei Pasemann direkt. „Der Zwischenhandel ist weitgehend ausgeschaltet“, so Nil-Koch Schulz. „Das Geld kommt dem Bauern direkt zugute.“
„Dass die Tiere frei und artgerecht gehalten werden, das schmeckt man auch“
Und er kauft jetzt oft ganze Tiere. Seine „Warentermingeschäfte“ haben seine Arbeit ganz schön verändert: Seine acht Köche lernten, die Tiere zu zerlegen. Im Nil werden jetzt oft Würste, Sauerfleisch oder Salami selbst gemacht. Und für die Bauern sind die Vorbestellungen eine kleine Versicherung. „Mit dem Geld kann man rechnen“, sagt Pasemann. Noch allerdings ist das mit dem Rechnen ziemlich übersichtlich. Die Kiebitzberger haben auf ihren 150 Hektar derzeit 100 Rinder, 80 Schafe und sieben Schweine. „Wahnsinnig gutes Fleisch!“, sagt Matthias Schulz.
Denn die Tiere leben hier nicht nur nach Biovorgaben, sie dürfen sich Zeit lassen mit dem Wachsen. Pasemanns Schweine brauchen hier manchmal anderthalb Jahre, um sich die Kilos draufzufressen, die sich andere in einem halben Jahr anfuttern. Gefüttert werden die Tiere natürlich mit selbst angebautem Biofutter. „Dass die Tiere frei und artgerecht gehalten werden, das schmeckt man auch“, findet der Koch. Bei einer Blindverkostung würde er, behauptet er, herausschmecken, ob es sich um ein normales Schwein oder um eines von den Pasemanns handelt.
Trotzdem: Für die Kiebitzberger ist die Vermarktung der Tiere schwierig. „Selbst bei Biofleisch erwartet der Handel, dass gewisse Normen eingehalten werden“, sagt Pasemann. „Das Kotelett muss eben eine gewisse Größe haben – und zwar immer die gleiche.“ Da passen seine Tiere eben einfach nicht rein. Vor allem die Highland-Rinder und die Schweine nicht. „Im Grunde müsste ich alles privat vermarkten.“ Aber das ist schwierig, wenn man nicht total vernetzt oder wenigstens fit im Internet ist.
„Der Bedarf an heimischen Biolebensmitteln steigt“
Pasemann kommt übrigens ursprünglich aus Hamburg. Mit Anfang 40 stieg der heute 59-jährige Bankkaufmann aus, verkaufte sein Haus und zog „in die Pampa“. Er kaufte sich den Resthof mit Land und machte eine Ausbildung zum Landwirt. Hier lernte er seine Frau Heike kennen, die wiederum eine gelernte Landwirtschaftstechnikmeisterin ist und noch in einer LPG gearbeitet hat – jenseits von Bio. „Das war Massenproduktion“, sagt sie. Jetzt ist die 46-Jährige „dankbar, dass ich Biolandwirtschaft betreiben darf“. Auch wenn es eben nicht so viel Geld abwirft.
Fünf Monate lang hat Heike sogar mal auswärts gejobbt. Aber das geht in so einem Betrieb dann doch nicht. „Ständig kam ein Anruf: ‚Heike, das Schaf lammt, wo ist dies und mach mal jenes.‘“ Mehr Vieh würde sich auch nicht lohnen. „Dann bräuchten wir auch mehr Land“, so Heike Pasemann. Pro Hektar dürfen in der Bio-Landwirtschaft nur zwei Kühe stehen. Das findet die Biobäuerin eigentlich auch richtig. Ungerecht ist nur, dass es dazu in der konventionellen Landwirtschaft keine Vorgaben gibt. Land dazuzupachten, lohnt sich für die Pasemanns wegen der steigenden Bodenpreise jedoch nicht.
Dass die Pacht- und Kaufpreise rasant steigen, beunruhigt auch den ökologischen Anbauverband Bioland. „Der Bedarf an heimischen Biolebensmitteln steigt, aber unsere Zuwachsrate an Ökofläche liegt derzeit nur bei 1,8 Prozent, das ist viel zu wenig“, sagt Bioland-Sprecher Gerald Wehde. „Unsere Betriebe können maximal 400 Euro pro Hektar Pachtland bezahlen, Betreiber von Biogasanlagen oder Massentierhaltungen zahlen locker 800 und mehr.“
Von 2007 bis 2010 sind die Biohöfe laut Statistischem Bundesamt durchschnittlich um zwei Hektar auf 60 Hektar geschrumpft. Wehde: „Seitdem hat sich die Konkurrenz um Flächen eher verschärft.“ Und pro Jahr stellen mehr als 400 Biobetriebe wieder auf konventionelle Landwirtschaft um, weil die Vorgaben so hoch und die Gewinnspanne einfach zu niedrig ist. Um die Situation der Ökobauern zu verbessern, hilft vermutlich auch die geplante EU-Agrarreform nichts. Wenn die im Herbst endgültig so beschlossen wird, wie es derzeit aussieht, dann ist eine große Chance verpasst worden, die Subventionen wirklich an ökologische Vorgaben zu koppeln.
„Wer hat, dem wird gegeben.“
Die Anforderungen an umweltfreundliche Maßnahmen wie Pestizidverzicht oder an Artenvielfalt wurden so niedrig angesetzt, „dass fast alle Betriebe sie heute schon einhalten“, kritisiert Wehde. Die EU-Agrarpolitik „fördert Großstrukturen und die Industrialisierung der Landwirtschaft. So fließen die EU-Subventionen auch in Zukunft nicht an die Landwirte, die am nachhaltigsten und umweltfreundlichsten wirtschaften.“ Ähnliche Kritik kommt auch von Umweltverbänden wie Greenpeace. Die Subventionen würden nach dem Prinzip verteilt: „Wer hat, dem wird gegeben.“
Und das geht so: Die Subventionen werden in zwei „Säulen“ ausbezahlt. Die erste Säule ist eine Direktförderung von Landwirten über Flächenprämien. Das sind rund 320 Euro pro Hektar jährlich, die bekommt jeder Landwirt. In der Summe sind dies in Deutschland jährlich rund 5,3 Milliarden Euro. 30 Prozent davon gehen an Großbetriebe, die machen nur 1,8 Prozent aller Betriebe aus. „Eine Chance der Umverteilung besteht durch die nationale Umsetzung der Reform“, sagt Wehde. Im Gespräch ist, dass in Zukunft die ersten 30 Hektar eines Betriebes höher vergütet werden. „Die Nutznießer wären dann die kleineren Bauern“, sagt der Bioland-Sprecher Wehde. Über die Höhe des Aufschlages gehen die Meinungen aber weit auseinander. Agrarministerin Aigner will nur sehr wenig drauflegen.
Wenn die Biobauern bislang von Subventionen profitierten, dann kamen die aus der zweiten Säule. Hier geht es um die Förderung des ländlichen Raumes, und die Bundesländer können selbst bestimmen, was und wen sie fördern. Für Deutschland waren das rund 1,4 Milliarden Euro jährlich. Diese zweite Säule soll jetzt um 20 Prozent gekürzt werden – auf Betreiben der konservativen Europapolitiker, und dazu gehört an vorderster Front unsere Landwirtschaftsministerin Ilse Aigner. „Deswegen haben wir gefordert, dass wenigstens 15 Prozent aus der ersten Säule umgeschichtet werden in die zweiten Säule, damit die Länder überhaupt noch Gestaltungsmöglichkeiten haben und die Umweltprogramme nicht noch kürzen müssen“, so Wehde. Ministerin Aigner lehnt dies vehement ab, weil dann weniger Geld für die Direktförderung übrig wäre.
Das klingt deprimierend. Deswegen sind wir froh, dass wir wieder mit Nil-Koch Matthias Schulz unterwegs sind. Diesmal fahren wir nach Wilstedt bei Bremen. Dort baut Jochen Krentzel sein Gemüse und seine Kräuter an. Allein 20 Salatsorten und natürlich alles, was man so kennt, zig Sorten von Beten und Möhren in allen Farben, aber eben auch alte Sorten wie Bremer Scheerkohl oder Helgoländer Klippenkohl.
Die Kräuter müssen wir unbedingt probieren. Franzosenkraut, römischer Silberampfer, Knoblauchrauke … „Das darf keinen bitteren Geschmack im Abgang haben“, sagt Krentzel bei einem Kraut, dessen Namen mir nicht mehr einfällt. Eine der Bemerkungen, warum wir uns wie bei einer Weinverkostung fühlen.
„Ich habe lieber 14 zufriedene als 20 unzufriedene Kunden.“
2,5 Hektar bewirtschaftet Krentzel, ein Biosiegel hat er nicht. „Zu teuer“, sagt er. Und Matthias kommt es darauf auch nicht an. „Ich weiß, wie er arbeitet, das ist mir Qualitätskontrolle genug“, sagt er. „Ich habe auch schon Bioware gegessen, die ich qualitativ nicht gut fand.“ Jochen ist im Ort aufgewachsen, im Haus nebenan. Von klein auf hat er mitgeholfen in der Landwirtschaft, eine entsprechende Ausbildung hat er aber nicht. Er arbeitete als EDV-Fachmann, hatte einen richtigen Bürojob in Bremen und Wilstedt. Aber irgendwie hat ihn das fertiggemacht. „Abends hatte ich Kopfstress“, sagt er. 1999 erbte er sein Elternhaus – und dann starben auch noch die alten Nachbarn. „Die haben auf ihrem Grundstück jahrzehntelang ökologisch gewirtschaftet, als es das Wort Bio noch gar nicht gab“, sagt Jochen. Er kaufte das Land und ist jetzt Gemüsebauer. Zweimal in der Woche fährt er nach Hamburg und beliefert das Nil und sechs weitere Restaurants. In Bremen hat er inzwischen fünf Restaurants. Wie viele Kunden dieser Art er gerne hätte? „So 14“, sagt er. „Bei 20 wäre definitiv Schluss. Dann müsste ich mir ein neues Auto kaufen.“
Außerdem will er die Übersicht behalten: „Ich habe lieber 14 zufriedene als 20 unzufriedene Kunden.“ Viel verdienen tut er nicht. „Aber es reicht zum Leben, ich muss auch nicht alles haben.“ Und dieses Leben hat er sich bewusst ausgesucht. „Ich komme morgens um die Ecke und atme tief durch“, sagt er. „Und abends sitze ich auf der Bank und genieße das alles.“ Das Schlimmste, was ihm passieren könnte, wäre, „dass ich meinen Spaß verliere“. Ihm ist es wichtig, dass er arbeiten kann, wie er will. „Ich lasse den Dingen ihre Zeit zum Wachsen“, sagt er.
Relativ jedenfalls. Regelmäßig telefoniert er mit Matthias. Sagt ihm, was er hat und was nicht, was er vielleicht zukaufen könnte. Öfter kauft er Kartoffeln von kleinen Bauern in seiner Nachbarschaft dazu. „Bis auf ein, zwei Wochen im Winter hat Jochen eigentlich immer etwas, was er anbieten kann“, sagt Matthias. Und wenn nicht, geht er für seine Kunden in den Großmarkt.
„Wir wollen unsere Kühe noch mit Namen kennen.“
Apropos Nachbarschaft: Auch bei Bremen sind die Bodenpreise explodiert. Und Jochen muss mit ansehen, wie kleine Bauern aufgeben. Andererseits eine schöne Entwicklung: Einer seiner Nachbarn ist Milchbauer – und vermarktet seine Milchprodukte jetzt selbst, er verkauft seine Milch in schönen Flaschen und betreibt mitten auf dem Dorf ein Café. „Auf dem Rückweg müsst ihr unbedingt dort vorbeifahren“, rät er uns. Das tun wir. Und sind erstaunt: Das Café ist total durchgestylt. „Wir wollten nicht expandieren“, sagt der stolze Besitzer Ralf Meyer. „Wir wollen unsere Kühe noch mit Namen kennen und mehr Kontakt zu unseren Kunden haben.“
Begeistert präsentiert uns die Senior-Bäuerin ihr Eis, gemacht mit echten Früchten, „natürlich ohne Aromen“. Das schmeckt alles so lecker, dass Matthias beschließt, bei ihr zukünftig die Milch zu ordern. 15 Liter in der Woche – nicht teurer als bisher. Und Jochen nimmt die Flaschen in seinem Postbus mit. „Er verlangt nichts für den Transport“, sagt uns Matthias. Sonst würde sich die Sache wohl auch nicht rechnen. Jochen sieht das entspannt. „Hier im Dorf wäscht eine Hand die andere“, sagt er. Und solange er Platz hat in seinem Bus …
Text: Birgit Müller
Fotos: Mauricio Bustamante
Tipp für Interessierte: Im September kann man sich im Kultwerk über direkte Einkaufsmöglichkeiten ökologischer Lebensmittel informieren.
Biohöfe + Stadtbewohner. Nähe + Genuss. Eine neue Partnerschaft für Hamburg stellt sich vor. Wir möchten unseren Lebensmittelproduzenten vertrauen können und wünschen uns kurze Transportwege statt Salat aus Andalusien. Bei über 100 Bio-Siegeln und Öko-Marken in Deutschland werden wir allerdings misstrauisch. Community Supported Farming? Wohin geht’s? Eine neue Form der Partnerschaft bietet mehr als Hofläden oder Gemüsekisten: Frische Produkte natürlich, aber auch Selbstanbaufläche quasi am Stadtrand, Erntehilfe (ja, im 21. Jahrhundert), Bauwagen-Wochenenden in der Heide oder Samstagsfrühstück unter historischem Reetdach. Der sanfte Trend weg vom Supermarkt-Supersortiment hat ebenso mit Lebensfreude und Genuss zu tun wie mit ökologischer Vernunft. Kultwerk-Gespräch mit Bio-Landwirten und Kostproben von Biohöfen, Moderation Bertil Huth (www.bio-hoeker.de).
Gespräch im Kultwerk West, Di, 24. 9., 20 Uhr, Kleine Freiheit 42, 5/3 Euro