Ausstellung :
Chronistin der Revolution

Selten ist eine Ausstellung so nah dran am politischen Geschehen: Das Museum für Kunst und Gewerbe zeigt „Kairo. Neue Bilder einer andauernden Revolution“. Über die Umwälzungen in ihrer Heimat sprachen wir mit der Ägypterin Mariam Mekiwi, deren Kurzfilm in der Ausstellung zu sehen ist.

(aus Hinz&Kunzt 247/September 2013)

„Während wir hier stehen,  sterben in Ägypten Menschen“, sagt Künstlerin Mariam Mekiwi.
„Während wir hier stehen, sterben in Ägypten Menschen“, sagt Künstlerin Mariam Mekiwi.

Durch die hohen Räu­me des Museums für Kunst und Gewerbe schrillt eine Sirene. Sie kommt vom Band. Filmemacherin Mariam Mekiwi, 26, kennt das Geräusch nur zu gut – aus dem echten Leben. Sie hat den Ton oft gehört, 2011, in ihrer Wohnung direkt am Kairoer Tahrir-Platz. „Erst hörte man die Sirene, dann Schusswechsel und danach das Geschrei der Menschen“, erinnert sie sich. Der Ton löst bei der Künstlerin einen „automatischen Reflex aus“, wie sie sagt. „Eine ganze Generation wird diese Sirene bis zu ihrem Tod mit Terror verbinden.“
Mekiwi ist eine von 62 Künstlern, die in der Kairo-Ausstellung ihre Sicht auf die Proteste zeigen, die im Westen als „ägyptische Revolution“ bekannt geworden ist. Oder als „Revolution Facebook“, zeigte sich doch, mit welcher Windeseile sich Bilder über soziale Netzwerke auf der ganzen Welt verbreiten. Stichwort: Bürgerjournalismus.

Es sind vor allem junge, gut aus­gebildete Ägypter, die auf die Straße gehen. Zuerst, um sich mit den Gewerkschaften für bessere Bedingungen von Arbeitern einzusetzen. Schnell geht es jedoch um mehr: um das Recht auf Freiheit und eigene Meinung. Doch im Spätsommer 2013 verdrängen die Kämpfe zwischen den Militärs und den Muslimbrüdern die Hoffnung der jungen Protestgeneration aus den Schlagzeilen: „Während wir hier stehen, sterben Menschen in Ägypten“, sagt Mekiwi bei der Eröffnung der Ausstellung Mitte August. Die Muslimbrüder und das Militär sind für sie Teil des alten Regimes, gegen das sie und ihre Freunde protestiert haben. 2008 war sie das erste Mal auf die Straße. „2011 habe ich dann erlebt, dass einem Mann in den Bauch geschossen wurde. Überall um mich herum ­starben Menschen. Da war mir klar: So darf es nicht weiter – ­gehen.“

Die ersten freien Wahlen 2012, die die Muslimbrüder gewannen, boykottiert die Künstlerin, die derzeit ihren Master in Hamburg macht. Aber sie reagiert – mit künstlerischer Distanz. „I will speak of the revolution“ heißt der Kurzfilm, den Mekiwi gemeinsam mit ihrer Kollegin Nadine Khan gedreht hat.

Ungewöhnlich die Perspektive des Films: Statt Gesichter von Protestierenden zu zeigen, hält die Kamera stoisch auf die Füße einer Passantin. Sie geht eiligen Schrittes durch die Stadt. Im Off spricht eine Frau davon, dass es zu früh ist, einen Erfolg zu feiern. Angesichts der derzeitigen politischen Entwicklung eine beinahe prophetische Sicht. „Wir können nicht so tun, als ob die Revolution erfolgreich gewesen ist. Sie war es nicht, nicht mal teilweise“, so Mekiwi.

Mekiwi begreift sich nicht als Chronistin. Ihr künstlerischer Ansatz: Abstand halten, reflektieren, Bezüge herstellen. „Nur weil jemand Demonstranten filmt, ist das noch lange nicht Kunst“, sagt sie. „Bilder können auch mani­pulieren.“ Wenn sie in Hamburg ihr Studium beendet hat, will sie zurück nach Kairo, in ihre Wohnung direkt am Tahrir-Platz. Nicht als Straßenkämpferin. „Ich werde Filme machen.“

Text: Simone Deckner
Foto: Cornelius M. Braun

„Kairo. Neue Bilder einer andauernden ­Revolution“, bis zum 17. November, Museum für Kunst und Gewerbe, Steintorplatz 1, ­Di–So, 10–18 Uhr, Do, 10–21 Uhr, 10/7 Euro, unter 18 Jahre Eintritt frei