Am 100. Geburtstag von Max Schmeling will Boxer Luan Krasniqi in Hamburg Weltmeister werden. Marc-André Rüssau traf das Schwergewicht in Berlin
(aus Hinz&Kunzt 151/September 2005)
Luan Krasniqi könnte am 28. September in der Color-Line-Arena in Hamburg als erster Deutscher seit Max Schmeling Box-Weltmeister im Schwergewicht werden. Das Datum für den Kampf ist mit Bedacht gewählt: An diesem Tag wäre Krasniqis Idol 100 Jahre alt geworden.
Dumpfe Schläge dringen aus dem Universum-Gym in Berlin-Wedding. Luan Krasniqi ditscht einen Medizinball gegen die Wand. Oder besser: Er hämmert ihn mit aller Kraft dagegen. An den Wänden sitzen, wie früher beim Schulsport, als die Mannschaften gewählt wurden, gespannt die Zuschauer, die verfolgen, wie der 1,92-Meter-Mann Liegestützen macht, Gewichte stemmt und Schläge trainiert. Es sind Fans, Mitarbeiter, Boxkollegen, Journalisten – manche auch mehreres davon. Kleinster gemeinsamer Nenner aller Anwesenden: Mit seinem Gegner Lamon Brewster will niemand tauschen.
Denn auf den amtierenden Schwergewichtsweltmeister setzt hier keiner: „Fünf Runden hält er durch, dann bläst der Luan ihn weg“, sagt Theodor „Ted“ Lackner, Krafttrainer aus Österreich, der aussieht, als bräuchte er selbst gegen Brewster im Ring nicht viel länger. Ein anderer gibt dem US-Amerikaner nur drei Runden.
Eigentlich ist das Universum-Gym gar nicht auf Zuschauer eingerichtet. Der Weg zum Ring führt vorbei an zum Trocknen aufgehängter Wäsche und Handtüchern. Hier sind die Boxer sonst unter sich: Regina Halmich trainiert auch hier, sie ist schon Weltmeisterin, und jetzt Luan Krasniqi, der es werden will.
Am 28. September, der zu einem der wichtigsten Tage für den deutschen Boxsport werden könnte. Max Schmeling wäre an dem Tag 100 Jahre alt geworden. Und Luan Krasniqi kämpft in der Color-Line-Arena gegen Lamon Brewster um die WBO-Weltmeisterschaft im Schwergewicht. Als erster Deutscher seit Schmeling könnte Krasniqi Schwergewichts-Weltmeister werden. Nicht als aggressive Kampfmaschine, eher als Gentleman-Boxer, der über den Kampf sagt: „Du musst vor dem Gegner Respekt haben, schließlich verbringt ihr Zeit miteinander.“
Obwohl: Einmal war er heute schon wütend. Eine Journalistin von einer Fernsehzeitung hatte ihn im Interview gefragt, was er von dem Vorwurf halte, dass er und sein Management den Namen Max Schmeling instrumentalisieren, um mehr Aufmerksamkeit für den Kampf zu erreichen. Das geht ihm seither nicht aus dem Kopf. Er fühlt sich angegriffen, beleidigt. Und spricht schließlich einen der Zuschauer an: „Du bist doch auch Journalist, da frage ich jetzt dich, was meint die damit?“ Der windet sich um eine Antwort. Jetzt bloß keinen Streit anfangen.
Denn Max Schmeling, den Luan Krasniqi 2002 getroffen hat, ist zum alles überstrahlenden Vorbild geworden: „Er war die ganzen 99 Jahre lang in allen Dingen weltmeisterlich. Ich würde mich nie mit ihm vergleichen.“ Instrumentalisieren? Blödsinn! Das mag im millionenschweren Boxgeschäft naiv klingen, aber Schmeling muss Krasniqi wirklich beeindruckt haben. „Kannst du davon leben?“, habe ihn Schmeling gefragt, „und ob ich verheiratet bin. So ein Mann war das.“ Bodenständig, kein bisschen abgehoben. Bei dem Treffen gab er ihm auch das vielzitierte Versprechen, den WM-Titel nach Deutschland zu holen.
Wie im Leben von Schmeling spielte Krieg auch für Krasniqi eine Rolle, wenn auch nur indirekt. Denn der 34-Jährige ist im Kosovo geboren, erst mit 15 holt ihn sein Vater nach Deutschland. Krasniqi lebt seit zwei Jahren im schwäbischen Rottweil, als er im Fernsehen sieht, wie die Region, in der er aufgewachsen ist, im Chaos versinkt. Trotzdem ist der Krieg nah an seinem Leben: „Ich habe Freunde im Krieg verloren.“ Dennoch wird Rottweil bald zu seiner Heimat. „Ich habe da schnell Kontakt gefunden, mit meinen Freunden aus der Schulzeit gehe ich heute noch abends weg.“
Heute sagt er, dass es ein Glücksfall war, dass er den Kosovo verlassen hat. Nicht nur wegen des Krieges: „Wäre ich nicht nach Deutschland gegangen, hätte ich nicht den Erfolg gehabt.“ Totzdem verliert er sein Geburtsland nicht aus den Augen. Als Dolmetscher am Landgericht übersetzt er für seine Landsleute. Und vor zwei Monaten hat er die Patenschaft für ein SOS-Kinderdorf im Kosovo übernommen.
Wenn er heute den Kosovo besucht, sieht er hauptsächlich die Fortschritte in seinem Land: „Der Kosovo ist jetzt ganz nahe an Europa. Wenn du da zu schnell fährst, wirst du wie überall auf der Welt geblitzt. Wichtig ist, dass die Kosovo-Albaner selbst über ihr Schicksal entscheiden können“, sagt Krasniqi, der Politik in seinem Internet-Steckbrief als eines seiner Hobbys angibt. Dennoch lässt Krasniqi keine Zweifel daran, wo er sich daheim fühlt: „Mein Leben findet hier in Deutschland statt.“
Trotzdem: Krasniqi ist für die Kosovo-Albaner wichtig. Um das zu wissen, reicht es, ein paar Worte mit Kamber Demaj zu wechseln, der heute auch zuschaut. Er hatte selbst mal geboxt, aber seine Mutter fand den Sport zu gefährlich, deswegen hörte er auf und wurde dann jugoslawischer Meister im Bodybuilding. Jetzt ist er glühender Krasniqi-Verehrer. „Jedes Kind kennt bei uns seinen Namen“, und es blitzen Tränen der Begeisterung in seinen Augen, „er ist ein Symbol für Albanien, ein Held.“ Dann beugt er sich vor und flüstert verschwörerisch: „Fast wie Jesus.“ Er wird schon am Morgen des 28. September wissen, ob Luan gewinnt. Denn vor einem Kampf träumt Kamber Demaj, wie er ausgeht. Wenn Luan gewinnt, träumt er beispielsweise davon, wie der Boxer auf einen Berg steigt. Bisher hat das immer gestimmt.