Schätze aus der Wüste

Eine kleine Produktionsfirma aus der Schanze sorgt für erfolgreiche deutsche Filme

(aus Hinz&Kunzt 151/September 2005)

Der „Goldene Bär“? Die „Lola“? Alles nur Staubfänger. Einen echten Fußballfan kann nur eine Sache in den Räumen der Wüste-Filmproduktion im Schanzenviertel begeistern: ein unscheinbarer Ball in einer Ecke von Ralph Schwingels Büro. Denn auf dem haben die Spieler der legendären 1985er Mannschaft von Real Madrid unterschrieben. Besser gesagt: Der Ball könnte einen Fußballfan begeistern. Denn leider spielen auch Ralph Schwingels Söhne gerne mit dem Ball, und die Unterschriften sind mittlerweile bis zur Unkenntlichkeit abgewetzt.

Groß genug zum Fußballspielen ist das Büro der Wüstefilm bei der ehemaligen Pianoforte-Fabrik in der Schanze auf jeden Fall. „Lange Zeit war es eigentlich viel zu groß für uns“, sagt Ralph Schwingel und lehnt sich in seinem Sessel zurück: „Aber mit der Zeit passt es immer besser.“ Der Vorteil: Besucher halten die Wüste für eine „richtig solide Firma – auch wenn das lange Zeit gar nicht stimmte.“

Denn vor gerade mal fünf Jahren stand Wüste noch vor dem Aus. Die Hausbank stieg plötzlich aus der Finanzierung des bisher teuersten Wüste-Films „Solino“ aus, Schwingel und Schubert wurde das Geld knapp, um die Filmcrew zu bezahlen: „Es war klar: Wir stehen das höchstens noch zwei Wochen durch.“ Eine kleine Privatbank sprang schließlich ein und rettete den Film über zwei ita-lienische Brüder in Duisburg und nebenbei noch die Wüste. Und damit eine der – spätestens seit Fatih Akins „Gegen die Wand“ – meistbeachteten deutschen Produktionsfirmen.

1989 gründete Ralph Schwingel Wüste gemeinsam mit Studienfreund Stefan Schubert und dem Regisseur Lars Becker, der später aus dem Projekt ausstieg. „Ursprünglich wollten wir vor allem eins: den Regisseuren freie Hand lassen“, sagt Ralph Schwingel. Sich für ein Projekt entscheiden, das Geld auftreiben und sich dann nicht mehr einmischen – so sah Schwingel seine Aufgabe.

Das Konzept, sich möglichst wenig in die Arbeit der Regisseure einzumischen, hat er allerdings mittlerweile über Bord geworfen: Bei „Kebab Connection“ zum Beispiel, einer Komödie über einen jungen Hamburger Türken, der den ersten deutschen Kung-Fu-Film drehen will. Als der Film bei den Hofer Festspielen das erste Mal gezeigt wurde, tobte das Publikum anfangs vor Begeisterung. Als das Licht nach 90 Minuten wieder anging, war nur höflicher Schlussapplaus übrig.

Schwingel reagierte: Noch am gleichen Abend entschied er sich in einer Kneipe in Hof, den Film noch mal zu verändern. Er beorderte den Cutter nach Hamburg, ließ die Schlussszene neu schneiden und hinterlegte sie mit einer neuen Filmmusik. Es hat sich gelohnt: Mittlerweile hat „Kebab Connection“ mehrere Publikumspreise gewonnen.

Bei „Gegen die Wand“ hat sich Schwingel allerdings kaum eingemischt: „Fatih hat den Film weitgehend auf Autopilot gemacht.“ Schließlich lag der Film aus Produzentensicht sowieso nicht auf der Hand: „Erstaunlich genug, dass der NDR den Film koproduziert hat. Denn in dem Film wird viel Türkisch gesprochen, und Fatih hätte es nicht erlaubt, dass das synchronisiert wird. Dann gibt’s viel Gewalt und Sex – kaum möglich, den um 20.15 Uhr zu zeigen.“ Trotzdem konnte er den Sender mit seiner Begeisterung für Fatih Akins Film anstecken. Weil Schwingel eben doch mehr ist als ein kühl rechnender Produzent.

Der Standort Hamburg ist eigentlich nicht ideal für eine Produktionsfirma: „Es ist mittlerweile seltsam, als Produzent nicht in Berlin zu sein“, sagt Ralph Schwingel. Autoren, Regisseure – alle sind in der Hauptstadt. „Dass dir unter der Dusche eine Idee kommt, du triffst dich mal eben mit dem Regisseur zum Mittagessen – das geht auf die Distanz einfach nicht.“ Die Diskussion um die Kürzung bei der Filmförderung sind da wenig hilfreich. „Dass in Hamburg gerade nur der Hafen wichtig ist – davon kann man halten was man will.“ Die Stadt solle sich aber überlegen, ob Filme wie „Kebab Connection“, in der das Schanzenviertel quasi eine Hauptrolle spielt, nicht auch Touristen anziehen. Dass auch die Wüste nach Berlin zieht, steht allerdings nicht zur Debatte, wenn auch aus völlig unpolitischen Gründen: „Meine Familie ist hier – ich kann also gar nicht weggehen“, so Ralph Schwingel.

Wenn das keine gute Nachricht ist: Wüste bleibt unabhängig von der Filmförderung in Hamburg. Aktuelles Projekt: Der Film „FC Venus“, in dem Frauen ihre Männer auf dem Fußballplatz besiegen wollen. Ein Instant-Remake – das erste der Filmgeschichte. Das heißt gleichzeitig und noch vor Erscheinen des Films arbeitet auch eine finnische Produktionsfirma an dem Streifen. „So gut der Stoff auch ist, auf dem deutschen Markt hätte der Film mit hier unbekannten finnischen Schauspielern wohl keine Chance“, sagt Ralph Schwingel, ganz Produzent. Obwohl „FC Venus“ selbst im WM-Jahr keine Chancen auf einen Goldenen Bären hat, soll er auf jeden Fall Fußballfans begeistern wie ein Real-Madrid-Ball.

Marc-André Rüssau

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