Schwarzfahren schadet Ihrer Gesundheit

Warum viele Obdachlose ohne Ticket fahren und im Knast landen – und wie viel sie für eine Monatskarte ausgeben könnten

(aus Hinz&Kunzt 150/August 2005)

Ein paar Euro für ’ne Fahrkarte müssten doch wirklich drin sein, oder? Und ist Schwarzfahren vielleicht für viele ein Hobby, das für den richtigen Kick im Leben sorgt? Würde ein Sozialticket helfen? Diese Fragen stellte Gerrit seinem Hinz&Kunzt-Kollegen Kucki, der wegen Schwarzfahrens schon im Knast saß.

Gerrit: Wie oft hast du wegen Schwarzfahrens gesessen, oder wie lange hättest du sitzen müssen?

Kucki: Oh, da muss ich mal rechnen, es war auf jeden Fall ’ne ganze Menge. Also, ich hatte einen Strafbefehl über 62 Tage à 10 Euro und einen über 4000 Euro, ach nee, damals waren es ja noch Mark. Ich musste halt 20 Mark für einen Tag absitzen. Ich hab’ bestimmt noch was vergessen, also so um die 300 Tage wären wohl schon zusammengekommen.

Gerrit: Wie oft bist du denn schwarzgefahren?

Kucki: Ach, früher war ich ein „Lifestyle-Schwarzfahrer“, hab’ also recht oft ein Ticket bekommen, aber so genau kann ich das nicht mehr sagen. Wie du ja weißt, zu oft…

Gerrit: Wie hast du es denn geschafft, das wegzubekommen, das ist ja doch ’ne ganze Menge?

Kucki: Irgendwie hab ich Glück gehabt und noch rechtzeitig die Kurve gekriegt und dann alles Monat für Monat abbezahlt, war ’ne sehr harte Zeit, mit noch weniger Geld als sonst, aber da musste ich wohl durch, denn Freiheit ist mir schon wichtig, ist ja eigentlich sogar ein Grundrecht. Und ich hab’ ja auch schon mehr als genug Leute im Knast besucht. Bei den letzten 840 haben mir meine Eltern geholfen, von ihrer schmalen Rente (wird leicht sentimental), denn auch die wollten ja nicht, dass ihr Sohnemann wegen Schwarzfahren einsitzen muss (und strahlt wieder). Und somit hab ich Gott sei Dank nichts mehr offen und fahre auch nicht mehr schwarz, es war mir eine Lehre, eine große sogar.

Gerrit: Gab oder gibt es Unterschiede von Freiburg zu Hamburg? (Kucki hat lange Platte in Freiburg gemacht.)

Kucki: Oh ja, die gibt es. Zum Beispiel ist die Monatskarte in Freiburg übertragbar. Oder was ich am besten fand: Wenn man sich um 23 Uhr ein Tagesticket gekauft hat, war das bis nächsten Abend 23 Uhr gültig. Wenn ich mir hier in Hamburg um 23 Uhr ’ne Karte hole, gilt die nur bis 3 Uhr, sehr schade, denn einige Tickets hab ich am nächsten Morgen bekommen, nur weil meine Tageskarte halt abgelaufen war. Damals in Freiburg hat man auch noch eine Fahrkarte vom Landessozialamt bekommen, wenn man mal irgendwohin musste, ’ne Wohnung ansehen, zum Arbeitsamt oder zu sonstigen öffentlichen Einrichtungen, bei denen man nun mal erscheinen muss. Das gibt’s hier in Hamburg nicht, beziehungsweise wenn ich zum Arbeitsamt muss, bekomme ich Fahrtkosten nur ab 6 Euro erstattet, darunter nicht – und ein Tagesticket kostet vor neun Uhr nun mal „nur“ 5,50 Euro.

Gerrit: Wofür brauchtest du sonst dein Geld, als du keine Fahrkarte hattest?

Kucki: Na ja, ich will mal ehrlich sein, das hab ich irgendwie immer versoffen, allerdings mit der ganzen Clique.

Gerrit: Wie hast du dich ohne Fahrkarte gefühlt?

Kucki: Erinnere mich bloß nicht daran. Es war schrecklich, nicht genug Geld für eine Fahrkarte zu haben, denn die Angst fuhr immer mit, und ich hatte richtige Schweißausbrüche. Man versucht dann ja möglichst unauffällig zu sein, was natürlich richtig in die Hose geht.

Gerrit: Was denkst oder fühlst du heute, wenn du jemanden siehst, der beim Schwarzfahren erwischt wird?

Kucki: Es tut mir in der Seele weh, denn es gibt sehr viele, die zwar einen Fahrschein haben, aber den falschen, zum Beispiel darf man in Hamburg mit dem Wochenendticket der Deutschen Bahn auch S-Bahn fahren, jedoch keine U-Bahn, oder mit einer Fahrkarte aus dem Fernverkehr nur zwischen Altona und Hauptbahnhof. Dafür haben schon viele ein Ticket bekommen, immerhin konnte ich mich schon ein paar Mal gerade für Touristen oder Durchreisende einsetzen, die das mit der U-Bahn nicht wussten. Aber es tut mir auch bei „normalen“ Schwarzfahrern weh, denn ich kenne dieses beschissene Gefühl wirklich zur Genüge, einfach kein Geld zu haben, nur um von A nach B zu kommen, und sei es nur, um sich seine „monatlichen Almosen“ abzuholen.

Da gesellen sich noch andere zum Interview dazu, drei davon sind obdachlos. Ich frage sie auch nach ihrer Meinung.

Gerrit: Wie viel könntest du im Monat für eine Fahrkarte ausgeben?

Kucki: Circa 20 Euro.

Thomas: Bei 20 Euro ist bei mir die absolute Schmerzgrenze.

Thilo: Sein wir mal ehrlich, so bei 25 ist bei mir Schluss.

Heinz: Ist mir echt egal, ich fahr gar nicht erst.

Gerrit: 25 Euro, um ganztägig zu fahren, sind machbar.

Gerrit:Und was haltet ihr für angemessen?

Kucki: Na ja, es sind noch Bus, Bahn und Hafenfähre dabei, also circa 30 Euro.

Thomas: Das kann man pauschal gar nicht sagen, es sollte nach Einkommen gehen.

Thilo: Wer Hartz IV kriegt so circa 20 Euro, wer ALG II kriegt 30 bis 40 Euro (je nach Höhe), wer „gut“ verdient, hat auch die kompletten 71 Euro, die ein Monatsticket zurzeit mindestens kostet.

Gerrit:Ich bin auch für einkommensabhängig, gestaffelt nach dem alten Wohngeld, das wäre für alle gerecht.

Gerrit: Was haltet ihr von einer Freiheitsstrafe, sprich Knast, für Menschen die ihre Geldstrafe für Schwarzfahren nicht bezahlen können und diese absitzen müssen?

Da sind sich alle einig, niemand sollte in den Knast müssen, nur weil er kein Geld hat, sich seinen Monats-Scheck abzuholen, beim Arbeitsvermittler vorstellig zu werden oder um zu einem Vorstellungsgespräch zu fahren.

Wenn es das alte Sozialticket noch geben würde, bräuchte man es den ganzen Tag, auch vor neun Uhr und zwischen 16 und 18 Uhr. Viele Termine fangen vor neun an, und wer dann kein Geld hat, begibt sich doch sofort in den Teufelskreis der Angst, sei es erwischt zu werden oder am Ende des Monats nichts mehr im Kühlschrank zu haben, allein der Gedanke… nee, lass mal gut sein. Das Sozialticket wieder einzuführen kostet bestimmt nicht so viel wie die Unsummen, die bei Schwarzfahrern Monat für Monat an Gerichtskosten oder, noch schlimmer, für den Knast fällig werden.

Gerrit:Was denkt ihr eigentlich, was ein Tag im Knast den Steuerzahler kostet?

Kucki: Na ja, so 100 Euro am Tag mit Sicherheit.

Thilo: Schwer zu sagen, das richtet sich bestimmt nach der „Einrichtung“. Im Schnitt bestimmt 130 bis 150 Euro täglich.

Andi: (der war auch gerade dazugekommen): Damit kommt ihr nicht aus, ich hab mich mal mit einem Schließer unterhalten, als ich Hermann in der Kiste besucht hab, der saß wegen Schwarzfahren NEUN!!! Monate ab, der meinte zu mir: „So alles in allem kommen da schon 200 Euro zusammen!“ Aber genau wusste er und weiß ich es auch nicht.

Gerrit: Ist wohl auch besser so, denn nur ein einziger Tag kostet mit Sicherheit mehr Geld, als eine vierköpfige Familie im Monat für ein Sozialticket braucht, als „Zuwendung“ vom Senat.

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