Rund 17 Millionen Euro haben Hamburger Hilfeempfänger im vergangenen Jahr von ihrem Regelsatz für ihre Miete dazu bezahlt – weil das Amt ihnen nur einen Teil der Kosten bewilligte. Das kann zu einem Leben in extremer Armut führen, sagt Stephan Nagel vom Diakonischen Werk Hamburg.
Wohnen macht einkommensschwächere Familien in vielen deutschen Städten arm, so das Ergebnis einer neuen Studie. Arme Familien kann es noch ärmer machen. Wer etwa von Hartz IV lebt, bekommt vom Amt nur ein bestimmtes Budget für die Miete. In Hamburg sind das zum Beispiel für eine Person 327 Euro Nettokaltmiete, für eine Familie mit vier Personen rund 560 Euro. Hilfeempfängern, die für diese Beträge keine passenden Wohnungen finden, bleibt oftmals nichts anderes, als draufzuzahlen.
630 Millionen Euro Wohnkosten haben Hartz-IV-Empfänger in Deutschland im vergangenen Jahr selbst übernommen. Das ergibt eine Auswertung von Statistiken der Bundesagentur für Arbeit (BA), die das privat betriebene Internetportal „Portal Sozialpolitik“ durchgeführt hat. Hamburger Hilfeempfänger haben 2012 laut BA-Statistk rund 17 Millionen Euro draufgelegt.
Um die Differenz zwischen „tatsächlichen Wohnkosten“ und den vom Amt „anerkannten Wohnkosten“ auszugleichen, bleibt nur das Geld aus dem Regelsatz. Der orientiert sich an Berechnungen des Existenzminimums. Darin enthalten sind bestimmte Beträge für Strom, Essen, Mobilität und Freizeit – aber nicht für Mietkosten.
Dass Hilfeempfänger dafür dennoch Geld aufbringen müssen, hat verheerende Folgen, warnt Stephan Nagel vom Diakonischen Werk Hamburg: „Einzelnen gelingt es, vom ohnehin schon knapp bemessenen Regelsatz noch etwas zur Miete zu bezahlen. Sie schaffen das aber nur auf Kosten anderer Bereiche, zum Beispiel der Ernährung oder sozialer Kontakte.“ Sie sparen, wo sie können: Sie versorgen sie sich bei den Tafeln mit Lebensmitteln, verzichten auf kulturelle Veranstaltungen oder das Ausgehen mit Freunden. „Der Preis für das Wohnen ist dann oft eine starke Verarmung“, sagt Nagel – und meint damit nicht nur den Kontostand, sondern auch die Möglichkeit, am gesellschaftlichen Leben teilzunehmen.
Die Probleme beginnen, wenn das Amt die Mietkosten für eine Wohnung nicht oder nur teilweise bewilligt – weil diese die erlaubten Kosten der Unterkunft übersteigen. Das betrifft zum einen Wohnungssuchende – aber vor allem Menschen, deren Lebens- oder Wohnsituation sich verändert: die arbeitslos werden und direkt oder nach einiger Zeit auf Hartz IV angewiesen sind oder deren Miete erhöht werden soll. Ihnen schickt das Amt die Aufforderung, die Mietkosten zu senken, wenn diese höher sind als das Amt „angemessen“ findet. Das bedeutet: Sie müssen sich eine günstigere Wohnung suchen. „In Hamburg auf diesem Wohnungsmarkt ist das in der Regel nicht möglich.“ Zu hoch ist die Nachfrage, zu niedrig ist das Angebot an günstigen Wohnungen. Wer nicht auf der Straße landen will, sieht letztlich oft keine andere Lösung als den Teil der Miete, den das Amt nicht übernehmen will, selbst zu bezahlen.
Das muss nicht sein, betont Stephan Nagel: „Die Kosten der Unterkunft müssen vom Amt vollständig übernommen werden.“ Vorraussetzung: Man bemüht sich dauerhaft, eine günstigere Wohnung zu finden und kann das auch nachweisen. Dann bezahlt das Amt auch die als unangemessen geltenden Kosten – solange man weiter versucht, seine Wohnkosten zu senken. Hilfeempfängern, die eine Kostensenkungsaufforderung vom Amt bekommen, empfiehlt Nagel, sich beraten zu lassen – beim Mieterverein oder in Einrichtungen mit allgemeiner Sozialberatung. „Da darf man sich nicht zu schnell aufgeben.“
Text: Beatrice Blank
Fotos: Mauricio Bustamante
Lesen Sie auch:
Was Wohnen für Hartz-IV-Empfänger kosten darf:
Die aktuellen Werte, die die Sozialbehörde seit April für die Wohnkosten von Hilfeempfängern vorsieht.
____________________________________________________________________________________________________________________________
„Höchstwerte sind Richtwerte“:
Die „Höchstwerte“ für die Kosten der Unterkunft von Hilfeempfängern haben einen falschen Namen. Denn der Einzelfall entscheidet, ob die Miete angemessen ist. Mieter helfen Mietern und Diakonie kritisieren, dass die irreführende Bezeichnung Betroffenen schadet.
____________________________________________________________________________________________________________________________
Unter 6,70 Euro pro Quadratmeter geht nichts – Journalist Rainer Link sich als „Elektriker Erwin“ auf Wohnungssuche in Hamburg begeben. Die Reportage über maue Angebote, zünftige Preise und rappelvolle Treppenhäuser beim Besichtigungstermin gibt es in der aktuellen Mitgliederzeitschrift von „Mieter helfen Mietern“ zu lesen.