Eine Institution: Die Journalistin Renate Schneider hilft Menschen in Not
(aus Hinz&Kunzt 146/April 2005)
Seit 25 Jahren leitet Renate Schneider die Redaktion „Von Mensch zu Mensch“ beim Hamburger Abendblatt. Aber die 64-Jährige ist wesentlich mehr als eine Journalistin. Sie ist eine Institution. Hunderten von Menschen und Projekten hat sie in der Not beigestanden. Die Stadt Hamburg zeichnet sie im April dafür mit dem Bürgerpreis aus.
Sie ist eine Dame. Immer schick gekleidet, aber zurückhaltend hanseatisch, Perlenstecker in den Ohren und eine wippende Mähne. Diese Frau zur Oberrotznase zu erklären, das hat schon was – auch wenn mit „Rotznase“ hier der gleichnamige Kinderzirkus gemeint ist, dem sie aus der Patsche geholfen hat. Aber Renate Schneider kann sich herrlich über derartige Ehrungen und Geschenke freuen. Auch über die Skulptur einer Afrikanerin. „Wir haben ihr geholfen, neue Beinpro-thesen zu bekommen.“ Oder über den Rettungsring, den ihr ein junger Mann geschenkt hat. „Weil wir ihn vor dem Verlust seiner Wohnung bewahrt haben.“ Oder, oder, oder. Sie könnte endlos weitererzählen. Von den Menschen, denen sie geholfen hat, und von den vielen Geschenken, mit denen sie sich bei ihr bedankt haben. Ihr Büro quillt fast über. „Immer wieder sagen mir Leute, ich soll die Sachen wegschmeißen.“ Das kann sie nicht. „Hinter jedem Geschenk steckt ein Mensch, der es voller Liebe gemacht hat.“
Ihr größtes Plus: ihr Mitgefühl und ihr Optimismus. „Ich liebe Menschen“, sagt sie, und man spürt, dass „Von Mensch zu Mensch“ kein Beruf, sondern eine Berufung für sie ist. Und sie versucht, ihre eigenen Wertmaßstäbe den anderen nicht überzustülpen. Sie ist eine Wertkonservative. Am liebsten hätte sie es, dass sich alle Paare kirchlich trauen ließen und immer zusammenblieben. Dass Kinder getauft würden und die Mütter sie nicht „wegorganisieren“, sondern daheim wären, wenn die Kleinen aus der Schule kommen. Heile Welt eben.
Trotzdem oder gerade deshalb hilft sie auch Menschen, die – wie es so schön heißt – „selbstverschuldet“ in Not geraten sind. „Natürlich haben viele, die in Not geraten, auch etwas dazu beigetragen“, sagt sie. „Aber meine Maxime ist, sie nicht auch noch an den Pranger zu stellen, das tun schon die anderen.“ Stattdessen wollen sie und ihre beiden Mitar-beiterinnen Ingelore Brandes und Angela Klein den Menschen „die Hand reichen und ein Stück des Weges begleiten“. Mit Rat und Tat – und auch mit Geld, großzügig gespendet von Lesern.
Wie eine Löwin kämpft sie dabei gegen „Unversöhnlichkeit“, wie sie es nennt. Wenn Eltern mit ihren Kindern gebrochen haben, wenn erwachsene Kinder ihre alten Eltern nicht mehr besuchen. Wenn eine Tochter einen Mann heiratet, der von den Eltern nicht toleriert wird. Oder für die Teenager im Abendroth-Haus, wo Kinder Kinder kriegen. „Für mich ist das unbegreiflich, wie viele Mädchen in dieser Notlage nicht von den Eltern unterstützt werden.“
Ihre Kindheit im zerstörten Berlin war ganz anders. Trotz Nachkriegs-zeit und einem harten Schicksalsschlag. „Wir sind mit 50 Kindern in eine Klasse gegangen. Wir haben einen Ball gehabt, das war eine Kostbarkeit, altes Band, das war das Springseil, stundenlang. Immer wieder denke ich, dass ich eine unglaublich schöne Kindheit gehabt habe.“ Ihre Eltern gaben ihr das, was sie als die drei großen Z bezeichnet, „die nötig sind, damit ein Kind glücklich aufwächst: Zeit, Zuwendung und Zärtlichkeit“. Doch dann ging es mit der Hutfabrik der Eltern wirtschaftlich bergab, und ihr Vater starb, als sie 14 war. Die Freunde der Eltern ließen sich plötzlich nicht mehr blicken. Drei Dinge lernte sie daraus: sich nicht an Materielles zu klammern. Sich hauptsächlich auf sich selbst zu verlassen. „Und die Erkenntnis, wie schnell man in Not geraten kann.“
Was sich in den 25 Jahren ihrer Tätigkeit geändert hat? „Die Not ist größer geworden und die Einsamkeit“, sagt sie. „Hamburg ist ein Moloch.“ Der Mensch brauche die Ansprache, er brauche den Menschen. „Man bekommt kein Lächeln, keine Danke, kein Gar-nichts, wenn man nur an sich denkt.“ Das fange im Kleinen an, wo keiner mehr im Bus aufstehe, wenn ein älterer Mensch einen Platz braucht. Und ende bei den großen Dingen. „Ich habe viele Gespräche in Behörden. Im Rahmen ihrer Möglichkeiten haben die Mitarbeiter immer einen Spielraum. Ich wür-de diesen Spielraum doch nutzen, um einem Menschen zu helfen. Aber das wird viel zu wenig getan.“
Wütend wird sie, wenn sie an deutsche Manager denkt, die in einem Atemzug Milliardengewinne und im anderen den Abbau von 6500 Arbeitsplätzen verkünden. „Das ist menschenverachtend!“ Dieses Verhalten, sagt sie und guckt fast mitleidig, „macht die Menschen unglaublich arm und die Gesellschaft erbärmlich. Und das in einer Zeit des Wohl-stands, die es so noch nie gegeben hat.“