Über den Theologen und Widerständler Dietrich Bonhoeffer gibt es einiges an Biografien. Sowie einen Spielfilm. Nun liefert sein Leben den Stoff für eine Oper. Ein Probenbesuch und eine Begegnung mit der Opernregisseurin Kirsten Harms.
(aus Hinz&Kunzt 243/Mai 2013)
„Ort: ein landwirtschaftlicher Betrieb. Die Mehrheit der Menschen glaubt an Gott“, so beginnt das Textheft zu dem Stück „Vom Ende der Unschuld – Oper in 5 Bildern nach Motiven aus dem Leben und Denken des deutschen Theologen und Widerstandskämpfers Dietrich Bonhoeffer“. Es erzählt von einem Hof und von der jungen Germa, die den Hof erben soll, aber die nicht wahrhaben will, wie schlecht es um diesen und seine Bewohner bestellt ist: Es fehlt an Wasser, das Vieh dürstet, die Ernte droht zu vertrocknen. Und haben sie nicht immer wieder Gott angerufen, dass er ihnen helfe? Aber nichts ist passiert! Da kommt ihr Drako recht, denn der hat einen Plan: Er will einen Staudamm bauen, koste es, was es wolle, auch wenn das Wasser, das er so gewinnt, dann den Nachbarhöfen fehlen wird. Sein Gegner: Heman, Germas Bruder. Für ihn ist es mit seinem Glauben absolut unvereinbar, etwas zu tun, was anderen so schadet. Doch Germa, die Träumerin, hat sich längst in Drako verliebt, den Tatkräftigen, den Zupackenden, den zu allem Entschlossenen. Nicht nur sie wird ihm folgen bis in den Untergang.
Aber was hat das Stück um den Kampf der beiden Männer Drako und Heman um die Zukunft des Hofes, um die junge Germa und um den wahren Glauben mit der sehr konkreten Figur des Pfarrers Dietrich Bonhoeffer zu tun, der zu den Verschwörern des 20. Juli 1944 gehörte und der wenige Tage vor Kriegsende auf Weisung Hitlers hingerichtet wurde? „Das Leben Bonhoeffers ist so komplex, da wollten wir den Versuch gar nicht unternehmen, es nachzuerzählen. Da gibt es wunderbare Biografien, die das machen, oder es gibt den Bonhoeffer-Film mit Ulrich Tukur“, erklärt Kirsten Harms, die Regisseurin der Oper.
Sie wird kurz grundsätzlich: „Es ist mit den Mitteln des Mediums Oper schwierig, Historie abzubilden. Es ist ein Medium, das anders als der Dokumentarfilm sich um andere Dinge kümmert: um das Unsagbare, um die archaischen Konstellationen.“ Die Musik und der Text würden eine eigene Verbindung eingehen: „Die Oper zeigt, was Menschen aus dem Innersten heraus bewegt, und sie zeigt immer das Abgründige, in eben sehr emotionaler Weise.“
Und nicht zuletzt müsse sich die Oper immer fragen, ob sie zeitgemäß agiere: „Es geht immer wieder darum, Theater zu machen, das uns heute anspringt.“ Und damit sei es wichtig, eine ganz eigene Geschichte zu erfinden: „Die Metapher, die wir gewählt haben, ist: den anderen das Wasser abgraben. Hier rettet sich ein Hof über die Krise, und der einzige Ausweg ist, ein Bauwerk zu planen, das den übrigen Höfen die Existenzgrundlage nimmt. Und da scheint alles recht zu sein – und diese Geschichte spielen wir durch.“
Für Kirsten Harms und ihr Team ist die Person Bonhoeffer dabei hochaktuell: „Ich finde an Dietrich Bonhoeffer besonders faszinierend, dass er die Maßgaben für sein Handeln aus dem Glauben gezogen hat und nicht aus dem, was gesellschaftlich gerade erlaubt war, also: ‚Rette sich, wer kann‘ oder ‚Verdiene, was er im Stande ist zu verdienen‘ oder ‚Der Zweck heiligt die Mittel‘. Sondern, dass da jemand ist, der sagt: ‚Nein, es gibt nicht nur die eigene Perspektive, es gibt einen globalen Blick, der uns auch heute auffordert, immer wieder die Maßstäbe unseres eigenen Handelns zu prüfen.‘“
Wie das im Stück funktioniert, wird sofort deutlich, als die Regisseurin Kirsten Harms an diesem Abend eine der Schlüsselszenen proben lässt: Germa (Julia Henning/Sopran) hat Drako (Krzystof Szumanski/Bariton) erhört, die beiden heiraten, was Heman (Ferdinand von Bothmer/Tenor) so gern verhindert hätte. Das Hochzeitsmahl ist in vollem Gange, da wird einer der Schäfer (Ralf Grobe/Bariton) herbeigeschleppt: Er soll Zweifel geäußert haben, dass Drako das Dorf auf den richtigen Weg führt. Heman versucht ihn zu retten, er argumentiert, er warnt den Chor, er singt gegen Drako an, der seinerseits spürt, wie seine Macht wächst und wächst. Heman bittet schließlich seine Schwester um Hilfe, doch Germa in ihrem Brautkleid lässt sich nicht erweichen, unterdrückt alle Regungen von Mitgefühl: Sie will jetzt nicht nachdenken! Sie will jetzt nicht zweifeln! Sie will, dass irgendjemand entscheidet – und das ist eben ihr Mann, Drako. Und der Schäfer wird davongeschleift, während sich Heman seine Hilflosigkeit aus der Seele singt. Der Chor steht erstarrt, die ersten wechseln auf die Seite Drakos, anfangs zögerlich, dann voller Begeisterung, und es braucht jetzt nicht viel und man kann sich einen wie Dietrich Bonhoeffer vorstellen, der schon im März 1933 vor den Nazis warnte, der bald so verzweifelt alleine stand, während ausgerechnet seine Kirche sich in ihrer absoluten Mehrheit bereitwillig den Nazis unterwarf, statt zu widerstehen.
„Super begabt“, nennt Kirsten Harms ihre Sänger und Sängerinnen, mit denen sie zum Teil schon in Berlin zusammengearbeitet hat, als sie dort Intendantin an der Deutschen Oper war und mit Größen wie Christoph Schlingensief und Andreas Kriegenburg zusammenarbeitete. So war es denn ein kluger Schachzug der beiden Librettisten Theresita Colloredo und David Gravenhorst, gerade bei ihr anzuklopfen und um Unterstützung zu bitten, auch wenn damals erst ein grober Textentwurf vorlag und wohl mancher Regisseur ähnlicher Klasse angesichts der bevorstehenden Mühen und Arbeit freundlich abgewunken hätte. Aber nicht so Kirsten Harms: „Ich fand die Idee toll, eine Oper über Bonhoeffer zu schreiben, und ich wollte auf keinen Fall sagen: ‚Leute, das könnt ihr vergessen; das könnt ihr gar nicht.‘“ Schließlich müsste nicht nur ein Stück geschrieben werden, es müssten auch die Musik erarbeitet, die Sänger gewonnen und die Proben organisiert werden – normalerweise bräuchte man dafür ein richtiges Opernhaus. Doch für sie, die seit nun 30 Jahren an der Oper arbeitet, gibt es einen Grundsatz: „Ich habe nie Ideen kaputt gemacht. Wenn Leute für Ideen Feuer und Flamme waren – nie kaputt machen. Selbst wenn man glaubt, das geht überhaupt nicht: immer erst mal gucken.“ Und es geht auch ohne großes Haus, dank ihrer Kontakte und Kenntnisse: Mit einigen der Solosänger und -sängerinnen hat sie schon zusammengearbeitet, der Chor speist sich aus Mitgliedern der beiden Kantoreien von St. Nikolai. Als Orchester konnte sie die Hamburger Camerata, aber auch das Kinder- und Jugendmusikprojekt The Young ClassX gewinnen.
Kirsten Harms seufzt laut auf und unterbricht die Probe: „Auch wenn es grad so wunderschön ist, wir müssen noch mal die Auf- und Abgänge des Chores proben.“ Und alle gehen zurück auf ihre Positionen am Anfang der Szene, als der Schäfer auf die Bühne geschleppt wird.
Zunächst wird es drei Aufführungen während des Kirchentages geben. Und dann? „Ich finde, dass man diese Oper sehr gut nachspielen könnte“, sagt Kirsten Harms. Sie lächelt: „Na, warten wir erst mal die Premiere ab!“
Premiere: Do., 2.5., 19.30 Uhr, Kampnagel k6, Jarrestr. 20, weitere Aufführungen: Fr, 3.5. und Sa 4.5., jeweils 19.30 Uhr, Eintritt: 12–32 Euro, ermäßigt 6–16 Euro
Lesetipp: Renate Wind: „Dem Rad in die Speichen fallen – Die Lebensgeschichte des Dietrich Bonhoeffer“, Gütersloher Verlagshaus, 234 Seiten, 7,95 Euro
Für Kirchentagsbesucher: „Auf der schiefen Ebene gibt es kein Halten“, Lese-Performance mit Texten zur NS-Zeit, Freitag, 3.Mai, 13.30 Uhr, CCH, Saal C,
Marseiller Straße 2
„Sie sagen, ich sei … “, Gespräche über Dietrich Bonhoeffers Leben, Freitag, 3. Mai, 15–18 Uhr, CCH, Saal C, Marseiller Straße 2
Text: Frank Keil
Foto: Dmitrij Leltschuk