Warum ein kleiner Club an der Elbe erhalten bleiben muss
(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)
Wir haben uns verlaufen. Eine dunkle, menschenleere Straße unten am Hafen. Edle Restaurants für den Tagesbetrieb. Ein exklusives Möbelgeschäft, das für heute schon geschlossen hat. Unsere Schritte hallen von den Wänden hanseatisch-moderner Bürobauten wider. Der Kiez liegt längst hinter uns, doch wir hören bereits wieder leise Bässe. Wir folgen ihnen und gelangen so zu unserem Ziel: dem Hafenklang.
Der Club an der Großen Elbstraße 84 passt nicht ins Bild. Die Fassade des alten Gebäudes ist mit Plakaten vollgeklebt und mit Parolen bemalt. Wind und Wetter haben ihre Spuren hinterlassen. Wir betreten den Club durch das große Eingangstor und stehen mitten im Gewühl. Eine brodelnde Menge bewegt sich zum Takt der Drum’n’Bass-Musik, die die DJs der Drumbule-Party auflegen.
„Das Haus ist eine Oase“, sagt Thomas Lengefeld, einer der Veranstalter. „Gerade hier im Hafen-Viertel gibt es nichts Vergleichbares.“ Der 32-Jährige kümmert sich neben der Organisation der Party auch um die Zusam-menstellung des Programms im Hafenklang. Und das lebt vor allem von seiner Vielfalt. An diesem Abend spüren wir die Bässe der Drum’n’Bass-Party. Morgen wird es ein Punk-Konzert sein, und im Laufe der nächsten Woche werden Reggae-, Dancehall- und Rockklänge den Hafen zum Leben erwecken. „Unsere Antriebsfeder ist, Leuten, die in anderen Musikclubs keine Chance hätten, die Möglichkeit zu geben, aufzutreten und sich auszuprobieren“, beschreibt Thomas das Konzept des Clubs.
Doch das Programm allein erklärt nicht die Besonderheit des Hafenklangs. Es ist die Atmosphäre des Gebäudes selbst, die für viele so anziehend wirkt. 1860 errichtet, diente das vierstöckige Haus zunächst als Stallung für die Pferde, die die Straßenbahnen der Linie 30 zogen. Im Zweiten Weltkrieg wurden die obersten beiden Etagen durch Luft-angriffe zerstört. Dennoch wurden die unteren Stockwerke weiter genutzt. 1979 mieteten die Musikproduzenten Alexander von Oswald und Herbert Böhme das zweite Stockwerk und gründeten das Tonstu-dio Hafenklang. Bekannte Musiker wie Udo Lindenberg, Mungo Jerry, Einstürzende Neubauten und die Jeremy Days nahmen hier auf. Bernd Begemann ließ sich im Hafenklang sogar zu einem Stück inspirieren. Die Zeilen „Unten am Fluss, unten am Hafen, wo die großen Schiffe schlafen“ aus dem Lied „Unten am Hafen“ entstanden im Wohnzimmer des ersten Stockwerkes. „Ich blickte auf den stillen, dunklen Hafen, überlegte, wie es wäre, alles hinter mir zu lassen.“ Gefühle von Freiheit und Weite beim Anblick der Elbe.
„Das Flair hier – mit dem Hafen – stimmt einfach“, meint Manu Harmi-lapi, 29, über das Hafenklang. Er ist ebenfalls Mitveranstalter der monatlichen Drumbule-Party. Das Flair – damit meint Manu vor allem das Gefühl, dass alles zueinander passt. Seine Musik, das Publikum, das Haus, die Elbe. „Das ist hier alles ein bisschen fucked up und run down. Nicht so schicki und geleckt wie in anderen Clubs.“ Dieser Eindruck kommt nicht von ungefähr: Schon die Entstehung des Hafenklang ist alles andere als geradlinig verlaufen.
Thorsten Wendt, 34, zog 1996 in die Wohngemeinschaft, die zu dieser Zeit im ersten Stock des Hauses wohnte. „Es war damals bereits ein sehr lebendiges Haus“, schwärmt der heutige Vorsitzende des Hafenklang Kultur e.V. „Oben wurde Musik gemacht, Künstler haben dort gemalt und experimentiert.“
Doch schon bald bekam die Künstlerwelt Risse. Denn bereits im selben Jahr präsentierte die Immobilien AG Büll & Dr. Liedtke Pläne, die vorsahen, das Haus und andere Gebäude in der Umgebung abzureißen. An ihrer Stelle wollte sie Bürobauten errichten. Im Oktober 1996 kam deshalb der Räumungsbescheid für die Mieter. „Wir wussten überhaupt nicht, wo wir so schnell unterkommen sollten. Das war eine Katastrophe“, erinnert sich Thorsten. Die Bewohner der WG und die Inhaber des Tonstudios setzten sich juristisch zur Wehr. Die Anwaltskosten deckten sie, indem sie Solidaritäts Partys im WG-Wohnzimmer organisierten. „Jede Hamburger Band wollte das Ganze unterstützen“, erzählt Thorsten. Aufgetreten sind Hamburger Größen wie die Sterne, die Goldenen Zitronen, Bernd Begemann mit „Die Antwort“, Fishmob und Dirk Darmstädter von den Jeremy Days. Bela B. von den Ärzten setzte sich sogar auf einer eigens einberufenen Pressekonferenz für den Erhalt des Hauses ein.
Das Gebäude war eben mehr als ein Platz zum Wohnen und Arbeiten. „Hier konnte man gute Kultur machen. Es gab so viele Bands und Musikveranstalter, die neue Musikrichtungen ausprobieren wollten“, sagt Thorsten. „Hamburg brauchte einfach Raum für Underground-Kultur.“
Die Presse unterstützte den Protest, die Popularität des Hauses wuchs kontinuierlich. Während sich die Entscheidung über die Zukunft des Gebäudes weiter hinzog, etablierte sich der neue Club „Hafenklang“ an der Elbe. Und der steht noch heute für Kultur statt Kommerz. „Wir wollen nicht uns an der ganzen Geschichte bereichern, sondern die Kultur der Stadt“, erklärt Manu Harmilapi. „Wir versuchen, das Geld, das dabei reinkommt, wieder in die Szene zurückzuführen. Das bringt so einen Flow, der nachhaltig die ganze Szene weiterleben lässt.“
Die Zukunft des Clubs bleibt jedoch weiter ungewiss. Die Hafenklang-Aktiven schlugen den künftigen Bauherren Büll & Dr. Liedtke einen Kompromiss vor: Das Haus und somit der Club sollte bestehen bleiben, aber grundlegend saniert und um drei bis vier Etagen aufgestockt werden. Diese sollten dann als Büros vermietet werden. Die Firma nahm das Angebot an. In den folgenden Jah-ren zog sie um das Hafenklang herum eine Büroland-schaft hoch. Mit den Sanierungen am Hafenklang wollte Büll & Dr. Liedtke 2002 beginnen. Doch bis heute ist nichts passiert.
„Büll & Dr. Liedtke werden die Umbauten wohl erst dann durchführen, wenn sie Mieter für die neuen Stockwerke gefunden haben“, meint Thomas Lengefeld. Das scheint bisher aber nicht der Fall zu sein. Ob das Flair des Clubs im sanierten Zustand noch dasselbe sein wird, ist unklar. In Zukunft wird es für uns vielleicht noch schwieriger sein, das Hafenklang zu finden – dann nämlich, wenn es sich seiner heutigen Umgebung anpasst und ebenfalls hinter einer modernen Fassade verschwindet.
Doch Thomas bleibt optimistisch: „Ich sehe es schon so, dass wir hier noch eine ganze Weile rocken werden. Wir sind nicht so schnell totzukriegen!“