Machen Musiker wie Mia und Paul van Dyk Nationalismus wieder salonfähig?
(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)
Es wird wieder einmal gestritten. Gestritten um das Verhältnis zur Nation. In Gesellschaft und Politik melden sich lautstark die Befürworter eines „entspannteren“ Verhältnisses zur Nation. Dürfen nicht auch die Deutschen wieder selbstbewusst in die Zukunft schauen? Deutschland hat aus seiner Vergangenheit gelernt, so die Botschaft. Im letzten Jahr hat die Diskussion die Popmusik und damit die Jugendkultur erreicht. Einige deutsche Musiker stellen wieder die Frage, ob Deutschsein nicht doch etwas ist, auf das man sich positiv beziehen kann. Eine Diskussion, die geführt gehört.
„Es ist, was es ist, sagt die Liebe / Was es ist? fragt der Verstand / Wohin das geht, das wollen wir wissen / Und betreten neues deutsches Land“, singt Sängerin Mieze von der Berliner Band Mia, die mit ihrem Elektro-Punk mittlerweile große Hallen füllt. Der Text entstammt dem Song „Was es ist“ vom aktuellen Mia-Album „Stille Post“. Dazu reden Mia in Inter-views von Deutschsein und Zukunftshoffnung. Schnell wurde in Feuilletons und Internet-Foren der Vorwurf laut, Mia wolle nationale Identitäten durch Pop wiederbeleben. So verstand auch die NPD-Zeitung „Deutsche Stimme“ das Lied und feierte Mia begeistert als Vorreiter einer neuen nationalen Pop-Bewegung.
„‚Was es ist‘ ist auf keinen Fall ein Liebeslied an Deutschland“, sagt Mia-Schlagzeuger Gunnar dazu rückblickend im Hinz & Kunzt-Interview. Kein Liebeslied? „Fragt man mich jetzt, woher ich komme / Tu ich mir nicht mehr selber Leid / Ich riskier was für die Liebe / Ich fühle mich bereit“, so der weitere Text des strittigen Songs. Es ist von Küssen und Händchen-halten die Rede. Dazu geizen Mia nicht mit eindeutigen nationalen Metaphern. Im Video zu „Was es ist“ und auf der Bühne tritt die Band in Schwarz-Rot-Gold auf. Und zur Zukunft findet sich: „Ich freu mich auf mein Leben / Mache frische Spuren in den weißen Strand.“ Auf eigenwillige Weise wird die Liebe zu einer Person mit der Liebe zu Deutschland verbunden und dabei unbekümmert in die Vergangenheit geblickt. Die deutsche Geschichte als weißer Strand, in den man jetzt zukunfts-bejahend frische Spuren machen kann?
Bei aufmerksamen Zuhörern verursacht Mia Bauchschmerzen: Das Lied klingt wie der Sound zum viel zitierten Schlussstrich unter die deutsche Vergangenheit. Hamburger Bands wie Tocotronic oder Blumfeld teilen diese Kritik. Gegen jede Art von Heimatverehrung wehrte sich Tocotronic auf ihrer Homepage, „gerade heutzutage, wo wie durch alle möglichen glanzvollen Wunder das neue deutsche Selbstbewusstsein erweckt wird“. Blumfeld schrieben in einer Stellungnahme, wer sich etwas davon verspreche, „einer deutsch-tümelnden Öffentlichkeit den kleinen Finger oder mehr zu reichen“, der sei entweder Nationalist, naiv oder erfolgsversessen. Und Mias Musik zieht weitere Kreise. Es wird über die ersten Nazi-Demos berichtet, auf denen „Was es ist“ gespielt wird. Neonazis horchen auf. Nationale Bezüge sind wieder angesagt.
In ähnlichem Kontext wird die Single „Wir sind wir“ von dem Berliner DJ Paul van Dyk und dem Wolfsheim-Sänger Peter Heppner diskutiert. Der Song verpackt offenen Nationalismus in eine weiche Popschale und beschäftigt sich mit der Frage, wo die Deutschen heute stehen. „Wir sind wir / Aufgeteilt, besiegt und doch / Schließlich leben wir ja noch“, singt Heppner. Im Musikvideo sieht man neben dem zerbombten Reichstag fröhliche Trümmerfrauen und das „Wunder von Bern“. „Das kanns noch nicht gewesen sein / Keine Zeit zum Traurigsein.“ Deutsch-land scheinbar ohne Grund besetzt und aufgeteilt, die Deutschen zu beschäftigt zur Aufarbeitung. Kein Wort über die Nazi-Verbrechen und sechs Millionen ermordete Juden, dafür heißt es zu Bildern von zerstörten Häusern in Berlin: „Doch bleiben viele Fenster leer / Für viele gab es keine Wiederkehr.“ Derart verkürzte Sichtweisen kann man wirklich nur als „Opfermythos“ bezeichnen. Über das heutige Deutschland heißt es: „Jetzt können wir haben, was wir wollen / Aber wollten wir nicht eigentlich viel mehr.“ Wer hier nicht spätestens schwer schlucken muss, der hat offensichtlich vergessen, dass „wir“ tatsächlich mal mehr wollten, Lebensraum im Osten beispielsweise.
Am Ende steht bei Heppner und van Dyk ein optimistischer Ausblick: „Das ist doch nur ein schlechter Lauf / So schnell geben wir doch jetzt nicht auf.“ Das Dritte Reich nur ein schlechter Lauf? Opfer des Krieges vor allem die Deutschen? Vorsätzlich wird die Geschichte verfälscht und verklärt, um einen positiven Ausblick wagen zu können oder das warme Gefühl zu beschreiben, dass einen bei dem Gedanken an Deutschland wieder befällt. Trotz des klar nationalistischen Textes lief das Lied auf allen Musiksendern auf Rotation: „Wir sind wir“ ist ein Hit.
Schade: Paul van Dyk wollte sich trotz rechtzeitiger Anfrage uns gegenüber nicht äußern. Gunnar (Schlagzeug) und Robert (Bass) von Mia dagegen tun’s. Allerdings können sie die Aufregung in der ganzen Diskussion nicht so richtig verstehen, obwohl ihnen vorher klar war, dass sie ein heißes Eisen anfassen. „Der Titel war unser Beitrag zur ‚Ange-fangen‘-Aktion unseres Labels R.O.T., in dem es um Werte wie Liebe, Toleranz und Respekt geht. Eine wesentliche Absicht war, die Diskussion anzustoßen, ob es möglich ist, im Hier und Jetzt einen positiven Bezug zu Deutschland herzustellen, obwohl wir so viel an Geschichte mit uns rumschleppen.“
Sie verneinen jeglichen Nationalismus ihrer Band. „Eine Idee von Toleranz und Respekt wird lächerlich, sobald es um Nationalismus geht“, sagt Gunnar, „und das Deutschsein habe ich mir nicht ausgesucht. Ich bin in Frankfurt an der Oder ge-boren, wäre ich 30 Kilometer weiter östlich geboren, wäre ich jetzt Pole. Deutschsein ist nichts, worauf ich stolz bin, aber ich laufe auch nicht davor weg.“ Und Robert ergänzt: „Deutschland ist zwar meine Heimat, aber wenn ich woanders leben und mich da heimisch fühlen würde, würde ich nicht mehr darauf bestehen, dass ich in Wirklichkeit Deutscher bin.“
Trotzdem meinen beide, dass ein Diskurs nur weiterführen kann, wenn er positiv und zukunftsorientiert ist. Und Robert ist sich bewusst, dass Mia auf der Bühne ja auch „eine Macht hat, ein unvorstellbar großes Sprachrohr, das wir auch weiterhin nutzen werden“. Genau hier liegt das Problem. Popstars sind Vorbilder, Popmusik spiegelt nicht nur gesellschaftliche Verhältnisse wider, sie beeinflusst sie auch, ange-fangen im Kinderzimmer. Eventuell ist Mia nicht vollends bewusst, wie viel platte Deutschland-Liebe und Nationalismus in ihren Anspielungen mitschwingen. Beim Konzert im Hamburger Grünspan marschiert die Band zu einer veränderten Version von „Was es ist“ im Takt über die Bühne und lässt per Scheinwerfer die Sonne aufgehen. Der hellhörige Zuschauer verspürt Schmerzen in der Magengegend. Das junge Fan-Publikum ist begeistert und grölt lauthals jede Zeile mit.
Paul van Dyk und Mia könnten der Anfang einer Neuausrichtung der deutschen Popkultur sein. Der Erfolg von Newcomer-Bands wie Silbermond, Wir sind Helden und Juli zeigt, dass Musik aus Deutschland gefragt ist und sich gut verkaufen lässt. Deutsche Jugendliche bemerken nationalistische Zwischentöne nicht oder finden Gefallen daran. Künstler wie die Fantastischen Vier und 2Raumwohnung fordern eine Radio-Quote für deutsche Musik. Nationale Bezüge im Pop werden keine kurzzeitige Modeerscheinung bleiben, wenn die Kritik sich weiterhin nur in hellhörigen linken Kreisen abspielt. Nationales Bewusstsein ist ein Monstrum, das jederzeit politisch ausgenutzt werden kann. Wem soll ein entkrampftes Deutschsein helfen? Eine Diskussion, die geführt gehört.