„Hauptsache von da weg!“

Ein junger Tschetschene flieht aus seiner Heimat und hofft auf eine Zukunft in Hamburg

(aus Hinz&Kunzt 144/Februar 2005)

Ausgrenzung und Abschiebung gehören in Deutschland zum Alltag. Insbesondere jugendliche Flüchtlinge haben darunter zu leiden. Konkrete Hilfe und vielleicht die Aussicht auf eine Perspektive bietet in Hamburg der Verein „Woge“.

Als Ramon Amajew* 2001 in Deutschland ankommt, ist er völlig auf sich allein gestellt. „Hauptsache von da weg“, sagt er, wie es dann weitergeht, war erst mal zweitrangig. „Da“, das ist Tschetschenien – darüber möchte er nicht reden. Seine Eltern haben den Krieg dort nicht überlebt. Traumatisiert von seinen Erlebnissen im Kaukasus kommt er 15-jährig in Hamburg an. Deutsch spricht er kein Wort, aber mit Hilfe anderer Tschetschenen gelangt er schließlich zur Ausländerbehörde. Die schickt ihn zu Woge nach Billstedt.

Mit der Vermittlung an Woge war für Ramon die erste Hürde genommen, denn den wenigsten Jugendlichen, die als Flüchtlinge nach Hamburg kommen, wird ihre Minderjährigkeit geglaubt. Viele müssen erst medizinische Tests über sich ergehen lassen. Es wird alles getan, um ihnen bescheinigen zu können, dass sie mindestens 16 sind – das Alter, in dem sie als Asyl-suchende mündig sind und das Asylverfahren alleine durchstehen müssen. Meist ohne Deutschkenntnisse, rechtliche und psychische Unterstützung kämpfen Minderjährige dann völlig unvorbereitet um ihr Asyl. So fällt es den Behörden leicht, die meisten schnell wieder abzuschieben. Für diejenigen, die bleiben dürfen, hält Hamburg nach Auskunft des Senats derzeit noch 25 Plätze bereit.

Ramon aber hat es vorerst geschafft. Selbstsicher und fließend Deutsch sprechend sitzt er vor mir im Büro, das zu den Woge-Jugendwohnungen in Billstedt gehört. „Ich kam hier rein, und dann habe ich gleich ein bisschen Geld für Klamotten und ein Zimmer bekommen“, berichtet Ramon. In der so genannten Erstversorgung werden die Jugendlichen mit dem Nötigsten versorgt. „Kaffee, Brötchen, Bett“ und eine Vertrauensbasis – „das ist erst mal das Wichtigste, wenn die Jugendlichen von ihren Erlebnissen erschüttert und meist nur mit einer Plastiktüte in der Hand vor der Tür stehen“, erklärt Franziska Gottschalk, Ramons pädagogische Betreuerin bei Woge.

Für die nächsten Jahre bleibt Ramon in der Einrichtung in Billstedt, in der es 13 Einzelzimmer für jugendliche Flüchtlinge gibt. Anfangs plagen ihn ständige Angst und etliche schlaflose Nächte. Dann beginnt er langsam, sein Trauma zu verarbeiten. Es fällt ihm schwer, zu fremden Menschen Kontakt aufzubauen, aber bei Woge lernt er erste Freunde kennen.

Dann gibt es plötzlich einen Rückschlag. Gegen seinen zunächst positiv beschiedenen Asylantrag legen die Behörden erfolgreich Widerspruch ein, und Ramon steht ohne gesicherten Aufenthaltsstatus da. Ob er in Deutschland bleiben kann oder abgeschoben wird, hat das zuständige Gericht bis heute nicht entschieden. Trotzdem geht er weiter seinen Weg und besucht einen Vorbereitungskurs für Migranten, der speziell darauf ausgerichtet ist, die deutsche Sprache zu vermitteln. „Aber da bin ich nicht lange hingegangen, weil ich schneller als die anderen gelernt habe. Es wurde gesagt, es sei besser, wenn ich eine Realschule besuche.“

Den Abschluss schafft er dort nicht. Er ist verunsichert, weil er nicht weiß, ob er überhaupt in Deutschland bleiben kann und was ihm ein Abschluss nützt. Gerne würde er eine Ausbildung machen und arbeiten. Dann könnte er für sich selber sorgen: „Ich fühle mich nicht gut mit der Sozialhilfe.“ Doch ohne gesicherten Status bleibt ihm diese Möglichkeit auch mit Schulabschluss versperrt. So begibt er sich immer wieder zur Arbeitsagentur, und auch hier muss er erfahren: „Erst wenn es keinen Deutschen gibt, der arbeiten kann, darfst du arbeiten.“ Ähnlich benachteiligt wird er bei der Gesundheitsfürsorge. Zwar bescheinigte ein Gutachten des Gesundheitsamts Ramon, dass er – traumatisiert von seinen Erlebnissen in Tschetschenien – eine Therapie benötige, doch das Sozialamt weigerte sich, die Kosten zu übernehmen. Da nach dem Asylbewerberleistungsgesetz nur akute Fälle behandelt werden, ist dies nicht ungewöhnlich. Mit Hilfe von Woge zog Ramon bis vor das Verwaltungsgericht, doch auch dies lehnte den Antrag auf Kostenübernahme ab. „Schließlich haben wir die Therapie dann bezahlt“, erklärt Franziska Gottschalk. Ramon ist sich bewusst: „Ich sehe jetzt, wie sich die Leute bisher entwickelt haben, die keine Hilfe hatten und alles selber machen mussten – die meisten haben gar nichts geschafft.“

Im März 2004 war Ramons Zustand so stabil, dass er in eigene Wohnung ziehen konnte. Hier betreut ihn Gottschalk noch fünf bis sechs Stunden in der Woche. Nicht nur der Stress mit den Behörden, auch die alltäglichen Erlebnisse machen die Arbeit der Woge-Pädagogen notwendig: „Gestern wurde ein Tschetschene aus meinem Dorf abgeschoben – nach Moskau“, berichtet Ramon. „Die haben ihn einfach in ein Flugzeug gesetzt. Man wird ihn nie wiedersehen.“ Da ist er sich sicher, er fürchtet den Rassismus, dem die Tschetschenen auch in anderen Teilen Russlands immer wieder ausgesetzt sind. Und er fürchtet sich vor einem ähnlichen Schicksal: „Wir haben alle Angst. Das kann heute dem einen und morgen dem anderen passieren. Damit müssen wir leben.“



*Name von der Redaktion geändert

Robert Heuer

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