Die Europäische Kommission soll für anständige Löhne und Arbeitsbedingungen in deutschen Schlachthöfen sorgen: Das fordert die belgische Regierung – wenn auch mit anderen Worten – in einem Beschwerdebrief und beklagt darin „Sozialdumping“.
Die belgische Regierung hat sich über „Sozialdumping“ in der deutschen Fleischindustrie beschwert. Dieses verstoße gegen EU-Recht und führe zu Wettbewerbsverzerrung, heißt es in einem Schreiben an die Europäische Kommission. In deutschen Schlachthöfen sind bis zu 90 Prozent der Beschäftigten Wanderarbeiter. Mitunter werden sie mit Löhnen von unter fünf Euro die Stunde abgespeist.
Berichten zufolge verdienten manche ausländische Arbeiter in deutschen Schlachthöfen „drei bis sieben Euro die Stunde, andere hingegen neun bis 15 Euro“, heißt es in dem Brief der belgischen Regierung. Viele Wanderarbeiter seien weder in Deutschland sozialversichert noch in ihrer Heimat. „Es kann ernsthaft bezweifelt werden, dass diese Praktiken mit europäischem Recht vereinbar sind.“ Ein Sprecher des EU-Arbeitskommissars Laszlo Andor erklärte, die Kommission werde die Vorwürfe prüfen.
Hintergrund der Beschwerde sind Klagen der belgischen Fleischindustrie, die mit der Preispolitik der deutschen Konkurrenz nicht mithalten kann. Das liegt vor allem an den unterschiedlichen Löhnen. Während ein Arbeiter in einem belgischen Schlachthof mindestens 9,10 Euro die Stunde bekommt, gelten hierzulande weder verbindliche Tariflöhne in der Branche noch ein allgemeiner Mindestlohn. Die Folge: Stundenlöhne von fünf Euro und weniger sind keine Seltenheit. Außerdem heuern Schlachthofbetreiber zunehmend Arbeiter aus Südosteuropa an, die sich unter oft zweifelhaften Bedingungen verdingen. Das Beispiel eines Schlachthofs in Bayern, in dem Rumänen ausgebeutet wurden, steht für viele.
Gewerkschaft NGG: „Helfen kann nur ein allgemeiner Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro die Stunde“
Claus-Harald Güster, stellvertretender Vorsitzender der Gewerkschaft Nahrung-Genuss-Gaststätten (NGG), begrüßte die Initiative der belgischen Regierung. „Wir ärgern uns schon seit Jahren und sind sehr wütend über das, was in deutschen Schlachthöfen abgeht.“ Güster forderte die Bundesregierung zum Handeln auf. Helfen könne nur „ein allgemeiner Mindestlohn von mindestens 8,50 Euro die Stunde, an dem keiner mehr vorbei kann“. Wer als Konsument etwas für einen Wandel in der Fleischindustrie tun wolle, müsse bereit sein, etwas mehr Geld auszugeben: „Gute Qualität und gute Arbeitsbedingungen haben ihren Preis.“
Seit Jahren steht die deutsche Fleischbranche bei europäischen Nachbarn wegen Dumpinglöhnen in der Kritik. In Dänemark gingen in den vergangenen Jahren Tausende Arbeitsplätze in der Branche verloren, in Frankreich musste erst kürzlich ein Schlachtunternehmen ein Sanierungsverfahren einleiten. Verantwortlich dafür in beiden Fällen: das Sozialdumping der Fleischkonzerne in Deutschland.
Die Wanderarbeiter wehren sich nur selten gegen die Ausbeutung. So sollen Berichten von Betroffenen zufolge in einer Wurstfabrik im Hamburger Umland bis zu 200 Ungarn als Scheinselbstständige unter zweifelhaften Bedingungen gearbeitet haben. Sie waren über einen Subunternehmer per Werkvertrag angeheuert worden. Erst nach mehreren Monaten Arbeit sollen ihnen Arbeitsverträge und Lohnabrechnungen ausgehändigt worden sein.
Text: Ulrich Jonas
Foto: picture alliance / dpa
Zum Weiterlesen: Wie mithilfe von Werkverträgen Menschen zu Dumpinglöhnen beschäftigt werden, lesen Sie in einer neuen Broschüre der Gewerkschaft NGG.