Bei Anruf: Traumdeutung

Hamburger Therapeut hilft, wenn der Alp drückt – sogar telefonisch

(aus Hinz&Kunzt 143/Januar 2005)

Das Feuer lodert. In rasender Geschwindigkeit fressen sich die Flammen vorwärts. In Sekunden werden sie die junge Frau erreicht haben, die hilflos in der Feuersbrunst steht. Panik steht in ihrem Gesicht. Es gibt keinen Ausweg, keine Rettung. Nur noch Hitze, Flammen, Tod. Mit einem gellenden Schrei bricht das Mädchen zusammen, ihr Körper wird ein Opfer der Feuersbrunst. In diesem Moment schrickt Hannelore K. aus dem Schlaf. Die verbrannte junge Frau, das war eindeutig ihre Tochter. Die schreckliche Szene war ein Traum. Wirklich nur ein Alptraum? Hannelore K. lässt das Erlebnis auch Wochen später nicht los. Droht ihrer Tochter ein Unglück? Hat sie die Zukunft vorausgesehen?

Der Gedanke an den Alp versetzt Hannelore K. so in Angst, dass sie schließlich Traumdeuter Stephan Schu-mann aufsucht. Der gelernte Heilpraktiker und Therapeut kann Hanne-lore K. beruhigen: „Auch wenn es im Traum noch so realistisch wirken mag, grundsätzlich trifft nicht genau das ein, was der Schlafende ge-sehen hat.“ Nur etwa ein halbes Prozent aller Träume sei prophetischer Natur. Die Traumdeutung sei in aller Regel wesentlich vielschichtiger. „Traumarbeit ist subjektiv, sie hat immer mit der einzigartigen Persön-lichkeit des Träumenden zu tun“, erklärt Schumann. „Wenn wir uns unsere ­Seele wie eine Zwiebel vorstellen, dann sind die Träume die oberste Schicht.“ In ihnen komme Verdrängtes an die Oberfläche, Ängste und verborgene Gefühle bekommen eine Gestalt, ein Traumbild oder ein alptraumhaftes Bild.

Doch was bedeutete nun der Feuertod der eigenen Tochter? Nach einigen Sitzungen fand der 40 Jahre alte Traumdeuter heraus, dass ihre Tochter für Hannelore K. der Inbegriff von Lebensfreude ist. „Wenn sie von ihr sprach, wurde sie fast automatisch fröhlich“, so Schumann. Vor mehr als einem Jahr jedoch war die Frau von ihrem Ehemann verlassen worden. Für ihre Umwelt sah es so aus, als hätte Hannelore K. diese Trennung gut verwunden. „Doch während sie sogar selbst glaubte, relativ gelassen mit diesem Verlust umgehen zu kön-nen, verbrannte der Schmerz ihre Lebensfreude. Der Traum zeigte ihr symbolisch, was in ihrem Inneren passierte.“ Hannelore K. sei erleich-tert gewesen, als die „Diagnose“ schließlich feststand. „Die Zeit der Verdrängung, die durchaus ihren Sinn hatte, war vorbei. Das signali-sierte ihr der Traum.“

Die meisten Menschen, die zu Stephan Schumann ins Traumstudio kommen, leiden unter ihren Träumen, sie werden von Alpträumen gequält, die ihnen auch am Tage nicht aus dem Sinn gehen. Schu-mann, der seit zwölf Jahren die Träume anderer Menschen entschlüs-selt, hat deshalb einen telefonischen Alptraum-Notdienst ins Leben gerufen, nach seiner Aussage der erste in Deutschland. Wer es ganz besonders eilig hat, den tieferen Sinn seiner Träume zu enträtseln, kann ihn unter seiner „Alptraum-Hotline“ konsultieren. Wie das funkti-oniert? „Ich lasse die Klienten am Telefon noch einmal bewusst alle Sequenzen des Traumes durchleben und sie zu jedem Detail etwas assoziieren. Verbunden mit der aktuellen Lebenssituation ergibt sich die Auflösung der oft bizarren Bilder.“

Als esoterischen Schnickschnack und spirituellen Humbug will Schu-mann seine Traumarbeit nicht verstanden wissen, auch wenn erst ein Bruchteil der Prozesse, die im Unterbewussten beim Träumen ablau-fen, erforscht ist. „Es ist erwiesen, dass Teile des Gehirns in der Traumphase 30 Prozent aktiver sind als tagsüber. Das Gehirn verbraucht enorm viel Energie beim Träumen“, so Schumann. Träume seien für den Menschen überlebenswichtig, „sie heilen“, ist sich der Traumdeuter sicher. „Versuche haben gezeigt, dass man dem Menschen durchaus den Tiefschlaf rauben kann. Wird er allerdings tagelang in seiner Traumphase unterbrochen, droht der totale Zusammenbruch, im Extremfall sogar der Tod.“

Das Unbewusste schläft nie und schon gar nicht nachts. Dessen sind sich Schlafforscher, Traumdeuter und Neurologen gewiss. Was der Mensch am Tag an Eindrücken und Informationen mit oder ohne Willen sammelt, wird im Unterbewusstsein sortiert, hin- und hergeschoben, bewertet. Bruchteile dieser gesammelten Werke tauchen in Träumen wieder auf und gelangen an eine Oberfläche, die dem Verstand zugänglich ist. „Die Macht des Unbewussten über uns ist gewaltig“, sagte der Bremer Neurowissenschaftler Gerhard Roth kürzlich in einem Interview. „Der Mensch mit all seiner Ratio meint nur, auf den höchsten Gipfeln zu ruhen und die vertraute Berglandschaft seiner Gedanken jederzeit zu durchschauen.“

Besonders Männer scheuten sich häufig, die Botschaften aus dem Unterbewussten ernst zu nehmen, so der Traumforscher Schumann. „Die gehen mehr über den Verstand.“ Dabei träume jeder Mensch fünf bis sechs Mal pro Nacht, auch wenn er davon am Morgen nichts weiß. Allzu gut erinnerte sich dagegen einer seiner Klienten an einen wiederkehrenden Alptraum: Nacht für Nacht verfolgte ihn ein wilder Löwe. Sogar im eigenen Haus war er nicht sicher, die Bestie sprang durch das geschlossene Fenster, drohte ihn zu zerfleischen. „Es stellte sich heraus, dass der Mann Zeit seines Lebens unter seiner Körperkraft gelitten hatte. Er mochte seine kräftige Statur nicht, wollte anders aussehen“, so Schumann. „Der Löwe stand als Symbol seiner eigenen Kraft, seines Körpers, dem er nicht entfliehen kann, den er akzeptieren muss.“

Das klingt verblüffend einfach. „Ist es auch“, meint Schumann. „Wenn man einmal gelernt hat, den Schlüssel zu seinen Träumen zu finden, kann jeder sein eigener Traumdeuter werden.“ Er rät zu einem Traumtagebuch, in dem jeden Morgen die Botschaften der Seele dokumentiert werden.

Petra Neumann

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