„Starke Eltern – Starke Kinder“: Der Deutsche Kinderschutzbund bietet einen Kurs gegen alltägliche Erziehungssorgen
(aus Hinz&Kunzt 142/Dezember 2004)
Ausgepumpt. So fühlte sich Gabriele Reinitzer. Morgens früh hoch, Mittagessen kochen, Schularbeiten beaufsichtigen, Fahrdienst spielen, Geburtstagsgeschenke besorgen, Weihnachtsmärchen besuchen – und an zwei Tagen die Woche arbeiten gehen.
Man will schließlich beruflich am Ball bleiben, auch wenn die zwei Söhne im Alter von sieben und neun Jahren einen genug fordern. Die Geschwister zerren mit ihren Streitereien an den Nerven, sie wollen sich behaupten, beobachten, wer die größere Kartoffel kriegt, dann raufen sie, und immer muss Mama Reinitzer die Zügel in der Hand behalten. „Man ist nicht jeden Tag gleich stark“, sagt die 43-Jährige, „und oft ist dann der unpädagogische Weg der leichtere.“ Für den Moment jedenfalls. Denn der erzeugt auch Trotzreaktionen und Wutanfälle – und schließlich ist die Situation noch angespannter.
Gabriele Reinitzer hatte den ewigen Zank zu Hause satt. Als sie auf das Angebot „Starke Eltern – Starke Kinder“ des Deutschen Kinderschutzbundes stieß, überlegte sie daher nicht lange. Der Kurs richtet sich an Väter und Mütter mit kleinen und größeren Erziehungssorgen. Hier wird nicht therapiert, hier werden die ganz normalen Alltagsprobleme mit Kindern aller Altersstufen angepackt.
„Viele Eltern sind überfordert und orientierungslos“, stellt Stefanie Neveling fest. Sie koordiniert die Kurse für Hamburg und leitet selbst Elternschulungen. Daher weiß sie, dass heute immer mehr Eltern auf sich gestellt sind. Die Großfamilie ist out, und helfende Omas oder Onkel sind selten geworden. Gleichzeitig, nach Jahren der Laissez-faire-Erziehung, titeln plötzlich viele Bücher „Kinder brauchen Grenzen“. Doch die Eltern, so die 46-Jährige, haben Angst, Grenzen zu setzen. Bislang seien alle Teilnehmer bei „Starke Eltern – Starke Kinder“ selbst autoritär erzogen worden. Nun würden sie bei der Erziehung ihrer Kinder entsetzt feststellen, ähnlich wie die eigenen Eltern zu handeln. Einen Mittelweg zwischen autoritär und antiautoritär zu finden, falle so schwer, weil er ihnen nie vorgelebt wurde.
Nicht umsonst beginnt die Elternschulung mit einer Rückschau auf die eigene Erziehung. Wurde sie als gut oder schlecht empfunden? Dazu gehört auch, sich eigene Kommunikations-formen bewusst zu machen, denn schließlich gibt man die an die Kinder weiter, erntet Unsachlich-keit und Gezeter oder eben Verständnis und Kooperationsbereitschaft.
Der Kurs stellt Probleme auf den Prüfstand: Warum bleibt das Kind nie im Bett? Bindet man es unbewusst zu stark an sich? Oder hat man ihm mit dem Zu-Bett-gehen gedroht, als es ungezogen war? Besser ist es, Schlafen als etwas Kuscheliges und Gemütliches darzustellen. Die Kursleiter lehren auch, Situationen mit Kinderaugen zu betrachten: Die Eltern dürfen gemütlich zusammen im Bett liegen, sie selbst aber haben dort keinen Kameraden. Warum reagiert man gereizt auf Situationen? Hier regen die Kursleiter an, eigenen Bedürfnissen nachzuspüren. Die Zauberformel zum Erreichen elterlichen Glücks heißt „Ich-Botschaften“ zu senden, also nicht zu schreien „Spül endlich ab!“, sondern zum Beispiel zu sagen: „Ich finde, du respektierst meine Arbeit im Haushalt nicht, und ich möchte jetzt, dass wir uns das aufteilen.“ Während der Woche versucht jeder, das Gelernte praktisch umzusetzen und die Erfolge zu dokumentieren. Beim nächsten Gruppentreffen wird das Erlebte nochmals aufgearbeitet.
„Ach – ihr habt auch das Problem?“ Für Gabriele Reinitzer war es ein Aha-Erlebnis, von anderen Eltern über dieselben Erziehungs-schwierigkeiten zu hören. „Kinder sind sich so ähnlich“, meint sie heute, und über die Geschichten der anderen konnte man plötzlich sogar lachen. Wie über die der Mutter, die das laute Schmatzen ihrer Kinder beim Essen nicht ertragen konnte. Darf man das verbieten? Oder brauchen die Kinder das vielleicht, fragte sie sich verzagt. Die Angst, Fehler zu machen, sitzt tief. Gemeinsam fand die Gruppe die gerechte Lösung für alle Beteiligten: einen Schmatztag die Woche. So lernen Kinder die Regel, dass Schmatzen nicht gut ankommt. Trotzdem dürfen sie sich einmal pro Woche beim Essen austoben. Dann muss sich die Mutter in ihr Schicksal fügen.
Eine andere entnervte Mutter berichtete, ihr Kind verliere permanent seine Radiergummis. Keine Ermahnung half, immer wieder entbrannte Streit. Auf den ersten Blick eine Lappalie. Doch hier ließ sich der Unterschied zwischen Strafe und Konsequenz verdeutlichen. Mit dem Entzug von Eis zu drohen, ist eine Strafe, die nicht zieht, denn das Naschwerk und den Radiergummi verbindet nichts. Viel sinnvoller ist es, mit dem Kind zu vereinbaren, dass es nächstes Mal von seinem Taschengeld einen neuen Radiergummi kaufen muss – und diese Ansage konsequent durchzuhalten.
„Ich habe jetzt mehr Hintergrundwissen, mit dem ich arbeiten kann“, stellt Gabriele Reinitzer fest. Sicher, oft falle es schwer, das Rüstzeug in den Alltag hinüberzuretten. „Es ist ein ständiger Versuch, mal klappt es besser, mal schlechter“, sagt die Mutter. „Aber ich bin motiviert und gestärkt, und ich habe das Gefühl, dass vieles bei uns seitdem besser läuft.“
Annette Woywode
Gewaltfrei erziehen
„Kinder haben ein Recht auf gewaltfreie Erziehung. Körperliche Bestrafungen, seelische Verletzungen und andere entwürdigende Maßnahmen sind unzulässig.“ Seit November 2000 steht es so im Bürgerlichen Gesetzbuch. Um Eltern in die Lage zu versetzten, Konfliktsituationen in Familien gewaltfrei zu lösen, bietet der Deutsche Kinderschutzbund seither bundesweit die Schulung „Starke Eltern – Starke Kinder“ an. In Hamburg arbeiten mehr als 100 ausgebildete Elternkursleiter. Sie alle sind Sozialpädagogen mit Erfahrung in der Erwachsenenbildung. Rund 1000 Hamburger haben das Angebot bislang genutzt, das die Familienbehörde finanziell unterstützt. Der Kurs umfasst 12 Abende à 2,5 Stunden. Maximal sind 15 Teilnehmer zugelassen, Kosten: 25 bis 30 Euro.
Interessierte wenden sich an Stefanie Neveling, Kinderschutzbund Hamburg, Fruchtallee 15, Telefon 43 29 27 46, Internet: www.starkeeltern-starkekinder.de