Ami Dose und die „Hamburger Tafel“ feiern zehnjähriges Jubiläum, Rosi Eggers und die „Oase“ müssen nach elf Jahren aufgeben
(aus Hinz&Kunzt 141/November 2004)
Rosi Eggers kommt aus dem sozial schwachen Wilhelmsburg, Ami Dose aus dem noblen Volksdorf. Die Stadtteile sind so verschieden wie die beiden Frauen, doch der Wunsch, etwas zu bewegen, ist ihnen gemeinsam.
Rosi Eggers: „Das war einfach schön. Da wurde ich gebraucht“
Die Wangen sind rot, die Lippen schmal. Rosi Eggers lässt sich für einen kurzen Moment in den Stuhl sinken. „Ich muss mich erst mal wieder fassen“, sagt die Geschäftsführerin, nachdem sie die Journalisten durch die Räume des Selbsthilfe-Projekts geführt und viele Fragen beantwortet hat. Der Anlass für das Medieninteresse ist bitter: Zum Jahresende muss die „Oase“ schließen.
„Vor zwölf Jahren bin ich in Wilhelmsburg auf die Straße gegangen, um zu helfen“, berichtet die gelernte Hauswirtschafterin. Damals fing sie gerade wieder an zu arbeiten, nachdem sie 16 Jahre lang Mann und vier Kinder versorgt hatte. Ihre Ehe kriselte. Auf der Straße kam sie mit Obdachlosen ins Gespräch. Als sie mit den ersten Spenden wiederkam, warteten alle auf sie und freuten sich, dass sie ihr Versprechen gehalten hatte. „Das war einfach schön. Da wurde ich gebraucht“, sagt Rosi Eggers und strahlt. Sie traf auf Mike, Manfred, Lisa und Karl, die damals auf der Straße lebten. Gemeinsam gründeten sie die Selbsthilfe-Gruppe „Oase“. So fing es an. Mut machen wollten sie, Mut, sich selbst wieder anzunehmen.
Jetzt fehlen 85.000 Euro. Die rund 9000 Euro Mietzuschuss, die die „Oase“ jährlich von der Behörde für Soziales und Familie bekommt, helfen da nicht. Insgesamt 170.000 Euro jährlich braucht das Projekt, das mitt-lerweile einen Treff mit 30 bis 40 Plätzen, günstiges Essen, eine Kleiderkammer, Hilfe bei Behördengängen, Schuldnerberatung und betreutes Wohnen bietet.
Trotz Arbeitsteilung ist Rosi das Zentrum. Sie organisiert, berät, verwaltet die Kleiderkammer und sortiert die Spenden, damit nichts in dunklen Kanälen verschwindet. Die Hälfte des benötigten Geldes erwirtschaftet die „Oase“ selbst durch den Verkauf von Sachspenden über den eigenen Flohmarktladen und Geldspenden; den Rest haben sie vor allem in den letzten Jahren aus Rücklagen finanziert. Die sind jetzt aufgebraucht. Bis 2001 finanzierte die Sozialbehörde dem Verein fünf Stellen; inzwischen trägt die „Oase“ drei Arbeitsplätze für Ex-Obdachlose und die für Rosi Eggers selbst. Die Behörde habe sie gewarnt, dass die Stellen nicht über Spenden finanzierbar sind, sagt Rosi. Aber sollten sie die, die wieder Fuß gefasst haben, erneut fallen lassen?
Auch sie selbst wird mit der Schließung des Projektes arbeitslos, doch das macht der 50-Jährigen die geringsten Sorgen: „Ich finde schon wieder was, ich würde auch wieder Nachtschicht im Backhaus schieben, wie ich es davor gemacht habe.“ Vielmehr ist sie wütend darüber, dass die Sozialsenatorin keinen Gesprächstermin für sie hat und enttäuscht, dass all das, was sie aufgebaut haben, kaputtgehen und einfach verschwinden wird: vor allem die Hoffnungen und das Zuhause, das die „Oase“ für viele geworden ist.
Rosis Lebensgefährte Kalle, der auch bei dem Projekt arbeitet, sieht das alles weniger emotional: „Man muss akzeptieren, dass es vorbei ist. Die Behörde gibt nicht mehr Geld – irgendwie ist das auch okay, die müssen sich ja auch entscheiden.“ Normalerweise fährt Kalle den Transporter, um die Sachspenden einzusammeln, heute aber vertritt er Herbert im Flohmarktladen, denn der ist seit einigen Tagen spurlos verschwunden. Kurz vorher erzählte er einem Kunden, dass er seinen letzten Lohn nicht bekommen habe. „So ein Quatsch. Wir haben zwar schon alle Miet- und Arbeitsverträge gekündigt, aber bis Jahresende können wir noch zahlen“, sagt Rosi und verschweigt nicht, dass sie auch von einigen der eigenen Leute enttäuscht ist. Dennoch: Unter denen, die am Rande der Gesellschaft leben, gebe es mehr Menschlichkeit als in der restlichen Bevölkerung, findet sie. Hier glaube keiner, dass er etwas Besseres sei als die anderen. Und letztlich „hat es sehr viel Spaß gemacht, das alles mit aufzubauen“, sagt sie und stützt die Hände in die Taille. Die Arbeit in dem Selbsthilfeprojekt war immer das, was sie gesucht hat: „Ein Traumjob, anderen zu helfen und damit seine Brötchen zu verdienen.“
Ami Dose: „Immer nur Dinge für sich selbst tun macht nicht glücklich“
Sie telefoniert. Gegenüber ein großes gemaltes Porträt von ihr. Mit Handzeichen gibt sie zu verstehen, dass sie gleich da ist. An den Wänden Fotos: Der Kanzler, der ehemalige Bundespräsident und immer wieder Ami Dose, lachend auf Empfängen und Veranstaltungen. Dazwischen Auszeichnungen für sie, Urkunden und Verdienstmedaillen. Sie legt den Telefonhörer zur Seite, springt auf und holt einen Terminkalender. „Bin gleich soweit“, und mit einem Blick auf das Telefon sagt sie: „Das bringt was“, lächelt verschmitzt und eilt zurück an den Schreibtisch.
Ami Dose ist 76 Jahre alt. Vor zehn Jahren hat sie die „Hamburger Tafel“ gegründet. Die Idee ist so einfach wie überzeugend: Die Tafel sammelt überschüssige Lebensmittel und verteilt sie über soziale Einrichtungen an bedürftige Menschen. 89 Anlaufstellen beliefert die Tafel. Rund 30 ehrenamtliche Mitarbeiter sind täglich im Einsatz, bis zu sechs Lieferwagen fahren durch die Stadt. Mittlerweile liefern sie obendrein Hilfsgüter wie Kinderkleidung und medizinisch prothetische Hilfsmittel in die Ukraine, nach Bulgarien und Rumänien.
„Immer nur Dinge für sich selbst tun, wird langweilig und macht nicht glücklich“, sagt Ami und lässt die Brille auf die Nasenspitze rutschen. Die Frau eines gut situierten Bauunternehmers aus Volksdorf lebte jahrzehntelang „nur“ für Familie und Sippe. „Ein erfülltes und tolles Leben war das“, sagt sie. Als vor elf Jahren ihr Mann plötzlich starb, war der Schock groß: „Ein furchtbares Jahr, in dem ich mich immer nur selbst bedauert habe.“ Dann sah sie einen Bericht über die Berliner Tafel, und ihre Mission war geboren. Berufserfahrung hatte sie keine, aber Leidenschaft und Lebenserfahrung. Angefangen hat sie bei den Kollegen ihres Mannes aus der Baubranche: „Die habe ich als Erstes abgefischt. Die wussten, dass sie mich sowieso nicht loswerden.“
Die Jagd nach Geld und Ware macht ihr Spaß. „Es ist so faszinierend, Unmögliches möglich zu machen“, sagt sie und ihre Augen funkeln dabei. Und es funktioniert. Das Geheimnis ihres Erfolges? Das A und O ihrer Arbeit bestehe darin, die Sponsorenbeziehungen zu pflegen, man dürfe sie nicht als selbstverständlich ansehen. Außerdem sei das Konzept der Tafel transparent: Jeder kann sehen, was mit seinem Geld passiert. Zudem arbeiten alle, bis auf eine Stelle für die Buchhaltung, ehrenamtlich. „Das ist ein großes Plus beim Spendensammeln. Und natürlich haben wir den Vorteil, dass wir bekannt sind, dass die Leute wissen, was wir machen – das ist schon die halbe Miete“, sagt Ami. Wichtig sei auch, schnell zu handeln und individuell auf Bedürfnisse einzugehen. Von der Stadt haben sie keinen Pfennig bekommen; sie sind immer allein zurechtgekommen. Das soll auch so bleiben. Mit der Stiftung, die Ami Dose vor eineinhalb Jahren gegründet hat, soll ausreichend Kapital gebündelt werden, so dass die Arbeit der Tafel auch langfristig gesichert ist: „Man muss doch sein Haus bestellen.“
Eine Senatorin, der sie richtig auf die Nerven gegangen war, sagte einmal über Ami: „Sie ist der einzige Mensch, den ich kenne, der einem die Tür eintritt – und man sagt noch danke.“ Ihre Begeisterung und ihr Aktionismus stecken an; ihr Charme und ihre Herzlichkeit bindet die Menschen. Vom Arbeitslosen bis zum Arzt und Immobilienmakler. Mehr ehrenamtliche Mitarbeiter als im Moment kann die Tafel nicht beschäftigen. Fast alle sind jenseits der Jugend. Das Durchschnittsalter liegt zwischen 55 und 65 Jahren. „Hier gibt es eine gewisse Nähe zwischen den Leuten, als ob wir eine Familie wären, nur ein bisschen größer“, sagt die Gründerin. Man lobt sich gegenseitig und nennt sich beim Vornamen. Ami selbst neckt und scherzt und hat immer Zeit für einen kurzen Schnack. Obwohl sie diejenige ist, die am meisten Geld und Waren beschafft, sei doch alles vom Team und vom Miteinander abhängig, betont sie.
Zum zehnjährigen Jubiläum feiern die Mitarbeiter der Tafel im Elysee Hotel. „Ein Fünf-Sterne-Hotel – das wäre nicht nötig gewesen, aber es wurde uns spendiert“, sagt sie und zuckt mit den Schultern. Auf ihre Anregung hin gibt es zudem einen Senatsempfang für die Sponsoren – als Dankeschön, denn schließlich unterstützen sie mit ihren Spenden letztlich die Arbeit der Stadt. „Das steht den Politikern auch ganz gut zu Gesicht, sich mal selber zu bedanken“, sagt Ami und winkt dabei einem der Ehrenamtlichen zu.