Warum eine 19-Jährige ausgerechnet Bestattungsfachkraft werden will
(aus Hinz&Kunzt 141/November 2004)
„Die erste Leiche, das war schon komisch“, sagt die 19-jährige Auszubildende. Eine Frau sei es gewesen, Anfang 60, die an Leberzirrhose gestorben sei. „Aber beim zweiten Mal war es schon okay.“
Wenn Jaana Syväri spricht, funkelt manchmal das kleine Piercing über ihrem Mund. Schwungvoll lenkt sie den dunklen Kombi auf den Parkplatz hinter der Kapelle, steigt aus und eilt mit zwei schwarzen Koffern Richtung Hintereingang. Mit flinken Bewegungen steckt sie weiße Kerzen auf die vielarmigen silbernen Halter. Derweil holt der Bestattungsgehilfe den Sarg mit dem Verstorbenen aus der Kühlung. Eiche, eines der besseren Modelle, schwer zu tragen, verrottet angeblich erst nach 25 Jahren.
Die junge Frau mit den langen blonden Haaren zieht einen Zettel aus dem Hosenbund und kontrolliert, ob sie an alles gedacht hat. Jaana Syväri wirkt wie ein Profi, obwohl sie erst vor wenigen Wochen ihre Ausbildung zur Bestattungsfachkraft angefangen hat. Das liegt zum einen an ihrem souveränen Auftreten, zum anderen an ihrer Erfahrung. Seit 1. August arbeitet sie beim Bestattungsunternehmen Weber in Hamburg Sasel. Ein Familienunternehmen wie fast alle in dieser Branche. Jaana Syväri wusste, auf was sie sich einlässt: Nach der Realschule hat sie bereits zwei Jahre bei einem Freund ihrer Familie, der sich als Bestatter selbstständig gemacht hat, aushilfsweise gejobbt. „Das war’s dann. Mich hat das interessiert, und ich konnte gucken, ob ich damit klarkomme“, sagt sie. Sie kam damit klar, aber „Spaß“ bei der Arbeit sei irgendwie doch der falsche Ausdruck, findet sie.
Die Trauerfeier beginnt in 20 Minuten. Die Seniorchefin, die Floristin, der Bestattungsgehilfe und Jaana Syväri – jeder hält eine Ecke der dunkelgrünen Samtdecke, die auf dem kleinen Podest unter dem Sarg liegt. Auf ein Kommando der Chefin hin ziehen alle gleichmäßig an ihrem Zipfel und legen ihn am Boden ab. Ein eingespieltes Team. Geredet wird jetzt nur das Nötigste. Die Floristin platziert üppige Gestecke rund um den Sarg auf kleinen Podesten und am Boden. Die Chefin kontrolliert, ob die Kränze der Familie am dichtesten beim Sarg liegen und streut ein paar Rosenblätter. Jaana Syväri zündet die Kerzen an und fegt. Der Sarg steht mittig, rechts und links die Kerzenständer und Blumengebinde. Vom Eingang der Kapelle aus überprüft die Chefin Ordnung und Symmetrie der Dekoration. Fertig.
Für Jaana Syväri und ihre Kollegen ist jetzt Pause. Bei einer Zigarette am Hintereingang wird geplaudert und gescherzt; der Umgang ist herzlich. Doch es darf nicht zu laut geredet und gekichert werden, schließlich nehmen drinnen Menschen Abschied. In ihrem ersten Lehrjahr hat die junge Frau noch keinen direkten Kontakt mit den Angehörigen. Der seelsorgerische Aspekt ihres Berufs rückt erst später in den Vordergrund. Aber mit den Kollegen über die Arbeit zu reden sei wichtig und gehöre dazu, sagt sie. Das war auch bei ihrem Aushilfsjob so. „Bei neuen Leuten, die man kennen lernt, ist es manchmal schon komisch. Die fragen dann, was machst du denn, und sind dann geschockt, glauben es nicht oder fragen, ob ich mir auch sicher bin“, sagt sie. An ein Leben nach dem Tod glaubt sie nicht, doch sie denkt jetzt mehr darüber nach als früher, darüber, dass ihre Oma und ihre Eltern irgendwann sterben werden – wahrscheinlich vor ihr.
Mit sicherem Griff drückt sie den großen Hebel runter, zieht die Stahltür auf und geht ohne zu zögern hinein. Die Lüftung dröhnt, das Licht ist matt, die Luft kühl. Es riecht nach chemischen Zusätzen. Ein fensterloser Raum mit gekachelten Wänden. Rechts und links Särge, fast ein Dutzend. Bei einem ist der Deckel ein wenig aufgestellt. Ein Stück vom Arm und ein kleiner Teil des Kopfes sind zu sehen. „Letztens war ich mal alleine hier und habe einen Verstorbenen umgekleidet. Das war schon komisch. Lauter Särge um mich herum, und die Lüftung so laut. Die ging dann plötzlich aus, und es war ganz still“, sagt Jaana Syväri und zieht den schwarzen Mantel etwas fester um ihren Körper. Hat sie Ekelgefühle? „Nein, beim Anblick gar nicht, bei den Gerüchen manchmal, aber daran gewöhnt man sich.“ Die ständige Konfrontation mit dem Tod schreckte sie nicht ab, sondern entfachte sogar bis dahin unbekannte Interessen.
Für die Zukunft hat die selbstbewusste junge Frau noch einiges vor: Nach der Ausbildung kommt der Funeral Master (Bestattungsmeister), und dann möchte sie in die Thanatologie. Thanatologen beschäftigen sich mit der Wiederherstellung und Einbalsamierung toter Körper. Ihre Arbeit ist vor allem für die Abschiednahme am offenen Sarg wichtig, wenn die Angehörigen die Verstorbenen noch einmal sehen möchten. Ein Ritual, das regional sehr unterschiedlich verbreitet ist – in Hamburg selten –, mittlerweile aber von immer mehr Bestattern befürwortet wird. Denn so können die Angehörigen den Abschied besser bewältigen, zu der eben auch das Begreifen des Todes mit allen Sinnen gehört.
„Manchmal können die Angehörigen das sonst nicht realisieren. Und ich finde das interessant, der menschliche Körper und das medizinische Wissen, wie das alles geht“, sagt Jaana Syväri und lacht verlegen. Bei der Arbeit eines Thanatologen hat sie bereits zugesehen, und auch in der Rechtsmedizin war sie schon zu Besuch. Auch jetzt hilft sie neben der Ausbildung am Wochenende immer noch bei dem Bestatter aus, bei dem sie angefangen hat. Er ist ein Freund, und bei 320 Euro netto pro Monat kann sie das zusätzliche Geld gut gebrauchen.
Der 17-jährige Stefan Freitag nickt vorsichtig. Auch ihn interessiert die Thanatologie. Er hat die gleiche Ausbildung angefangen und wirkt auf andere Weise höchst professionell. Im dunkelgrauen Anzug mit schwarzer Krawatte und auf dem Rücken verschränkten Händen strahlt er Diskretion und höfliche Zurückhaltung aus. Auch er sammelte bereits Erfahrungen: „In Hagenow, wo ich herkomme, kam ich auf dem Schulweg immer an einem Bestattungsinstitut vorbei. Ich wollte wissen, was da drin passiert“, sagt der schlanke junge Mann mit ruhiger Stimme. Aus einem mehrwöchigen Praktikum wurden zwei Jahre: „Es war mein Traumberuf.“ Dann starb sein Vater. Er hörte auf, beim Bestatter zu arbeiten. Doch nach vier Wochen dachte er: „Ich muss da weitermachen, es kann jetzt nicht alles vorbei sein.“
Nach vielen Absagen auf seine Bewerbungen, oft mit der Begründung, dass er zu jung sei, kam dann die Lehrstelle beim GBI (Großhamburger Bestattungsinstitut). Obwohl es sich um eines der wenigen größeren Unternehmen in der Branche handelt, sei es auch hier wie in einer großen Familie, sagt Stefan Freitag. Das gefällt ihm. Nach Feierabend und am Wochenende aber „ist abschalten angesagt. Da rede ich auch nicht über die Arbeit. Ich bin froh, zu Hause aus dem Anzug rauszukommen“, sagt er.
Jaana Syväri geht zügig zwischen den Grabsteinen entlang. Der Rasen davor ist uneben, ein fast wellenförmiger Boden. Das passiert, wenn bei den Särgen in der Erde die Deckel einbrechen, dann senkt sich der Boden. Deshalb sollen die Sargdeckel versteift werden, um gerade das möglichst lange hinauszuzögern. Denn die Luft im Sarg ist für den Verwesungsprozess wichtig. „Die Angehörigen finden es schlimm, wenn sie zwei, drei Wochen nach der Bestattung ans Grab kommen und sehen, dass dort der Boden weggesackt ist“, sagt Jaana Syväri.
Die Feier ist beendet. Während die Trauergäste auf dem Weg zum Grab sind, muss der Abbau schnell gehen. Die Zeitpläne in den Friedhofskapellen sind eng, im Stundentakt wird Abschied genommen, und der nächste Bestatter steht schon bereit.
Ein trauriger Beruf? „Nicht wirklich“, findet Jaana Syväri. Es gehe doch vor allem um die Angehörigen, darum, Trost zu spenden. So gesehen hat Bestatter sein viel mit dem Leben zu tun – vor allem mit dem Weiterleben.
Annette Scheld
Beruf Bestatter: Seit Sommer 2003 ist Bestatter ein anerkannter Ausbildungsberuf, vorher genügte ein Gewerbeschein. In Hamburg wird seit diesem Jahr ausgebildet. In Deutschland gibt es 72 Auszubildende.