Die Männer im Strom

Der harte Job der Binnenschiffer – Bordbesuch auf dem Schubschiff „Ronja“

(aus Hinz&Kunzt 140/Oktober 2004)

Etwa 150 Binnenschiffer sind im Hamburger Hafen unterwegs. Lange Arbeitszeiten, karge Bezahlung – ein harter Job. Hinz & Kunzt hat sich an Bord umgehört.

Ein Fischbrötchen! Wo man doch schon mal an den Landungsbrücken entlang schlendert und es vom Wasser her so brackig nach Meer riecht. Ein Brötchen mit Matjes oder Krabben. Dazu ein kleines Bier oder ein Kaffee. Und schon haben wir ausgegeben, was der Binnenschiffer Bernd Schimke an diesem Sonntagnachmittag in einer Stunde verdient. Zwischen 15 und 20 Uhr gibt es fünf Euro; davor und danach zehn.

Das Schiff von Bernd Schimke und seinen Kollegen Toralf Bartels und Hardy Urban liegt festgezurrt auf der anderen Hafenseite. Es trägt den Namen „Ronja“ und dazu die Bezeichnung SSS 2613, ist also ein Stromschubschiff, das seinen Lastkahn – die Prahme – schiebt und nicht zieht und das von weitem ausschaut, als sei es von Playmobil gebaut: eckig und kantig, knallig blau und gelb angemalt. Seit ein Uhr mittags sitzen sie hier und warten auf ihren Einsatz. Sie sollen Container laden, aber es hat sich noch niemand vom Containerdienst blicken lassen, der auf dem Betriebsgelände neben dem Kai diejenigen heraussuchen könnte, die mit sollen. Also heißt es warten. Und warten. Und warten. Es ist gleich 17 Uhr durch.

Dabei soll doch eine Seefahrt lustig sein, vorbei an den großen Pötten und die Nase immer im Wind. Überwiegend sind Schimke und seine Kollegen im Hafengebiet unterwegs. Sie fahren Schrott, Stahl, Kohle und Anlagenteile; neuerdings auch Container mit Möbeln von IKEA oder Autoteilen, die vom Hamburger Hafen runter zu VW nach Wolfsburg müssen.

Bernd Schimke, sein Steuermann Toralf Bartels und sein Bootsmann Hardy Urban waren einst bei der Deutschen Binnenreederei beschäftigt, damals zu DDR-Zeiten. 3000 Mann waren sie, man kannte sich, wenigstens vom Sehen. Ein ordentlicher Lehrberuf war es, der zwei Jahre in Anspruch nahm. Bernd Schimke bekam 480 DDR-Mark Grundlohn. Mit Zuschlägen und Überstunden kam er oft auf 1.600 Mark. Zum Vergleich: Er zahlte 26 Mark Miete.

Von den DDR-Binnenschiffern sind nur 300 geblieben. Einer von ihnen hat sich selbstständig gemacht und einige Schiffe ausgelöst. Bernd Schimke fährt für ihn als Schiffsführer. Manchmal geht es den ganzen Tag nonstop. „Gemütlichkeit“, sagt Schimke, „ist nicht mehr.“ Andererseits sei doch jeder froh, wenn er Arbeit hat. Und er trommelt sachte mit den Fingern auf der resopalbeschichteten Tischplatte in der kleinen Küche, während es draußen an die Schiffswände schwappt und das ständige Sirren der Kräne vom Containerterminal herüber weht.

Auch die Arbeitszeiten haben sich geändert. Statt 20 zu 10 heißt es heute 21 zu 7: drei Wochen an Bord und anschließend sieben Tage frei. Es können aber auch mal vier Wochen an Bord sein, von sechs Uhr früh bis 20 Uhr abends, locker. Weshalb es auch keinen Sinn macht, würde sich Bernd Schimke oder einer der anderen hier in Hamburg eine Wohnung suchen: „Wenn ich bis acht oder zehn Uhr abends hier herumkrauche, ärgert man sich nur. Dann lieber gleich ganz weg und gut.“ So fährt er heim nach Magdeburg, die anderen beiden nach Brandenburg und Eberswalde. Eine Küche und zwei Schlafräume unter Deck haben sie, jeder vielleicht drei mal zweieinhalb Meter. Viel Platz zum Ausweichen ist das nicht. Aber sie kommen miteinander gut klar: „Wir sind ja hier alles Kerle.“

Und das Familienleben? Wie geht das zusammen? Bernd Schimke lacht kurz auf: „Das hab ich schon aufgegeben!“ Und er lässt durchblicken, dass er bei weitem nicht der Einzige ist. Sein Steuermann Toralf Bartels sagt fast trotzig: „Ich bau’s grad auf.“ Das Bild seines Sohnes hat er auf seinem Handy-Display gespeichert, und aus einem silbernen Rahmen auf dem kleinen Tisch schaut seine Frau auf seine Koje. „Wenn die Frau einen anderen kennen lernt, der immer zu Hause ist, dann bleibt sie doch lieber bei dem, als drei Wochen auf den Schiffer zu warten“, meint Bartels. Trotzdem ist er optimistisch, dass es diesmal hält. Er wollte es jedenfalls nicht bei der Rolle des nur zahlenden Vaters belassen.

Und die nächsten Tage, was liegt an? „Wenn ich das wüsste! Dann wär’ ich glücklich“, sagt Schimke. Auch wenn er wüsste, wann Feierabend ist. Hauptsache, sie müssen morgen kein Kupferkonzentrat fahren. Kupferkonzentrat, das ist ein Reizwort. Sie fahren es zur Norddeutschen Affinerie auf der Peute. Ein meist grünes Pulver, das staubt, wenn es übers Wasser geht. Sie tragen dann weiße Schutzanzüge wie die von der Sielreinigung und eine Staubmaske für Mund und Nase, wie sie der Heimwerker aus dem Baumarkt kennt. Der Staub lagert bald überall. Auf dem Küchentisch, auf den Stühlen; er nistet sich in den Klamotten ein und in der Bettwäsche. Einem Kollegen von ihnen, der nach solchen Touren zuweilen Ausschlag bekam, hat der Arzt Verhaltensregeln mitgegeben: Wer Kupferkonzentrat transportiert, soll nicht essen, nicht trinken und nicht rauchen. Aber wie soll das gehen – wenn sie es den ganzen Tag fahren? Drüben beim Wiegen in der Affinerie haben die Arbeiter andere Schutzkleidung, Bernd Schimke hat’s neulich gesehen: „Die tragen eine Gummimaske mit Schläuchen und auf dem Rücken eine Filteranlage.“ Er zuckt mit den Achseln: „Gesund ist das Zeug bestimmt nicht.“ Es sollte schon mal einer vom Amt kommen und sich das angucken, aber der war noch nicht da. Schimke wischt mit der flachen Hand über den Tisch: „Manchmal sind wir froh, dass wir wenigstens das fahren können…“

Zweites Reizwort: Tariflohn. Es gibt einen, aber er gilt nicht für sie; ist schlicht nicht durchsetzbar. 73 Prozent des Tariflohns bekommen sie. Also muss bei den Stunden raufgesattelt werden, damit sich die Arbeit lohnt: „Würden wir hier nur acht Stunden am Tag arbeiten, könnten wir gleich nach Hause fahren.“

Neulich wurde schon mal gefragt, welche Besatzung Weihnachten arbeiten möchte. „Möchte!“ Bernd Schimke lacht in sich hinein. Ostern, Pfingsten, das könne man ihm schenken. Aber Weihnachten! Das sei der einzige Feiertag, an dem etwas aus der Kindheit hängt. Da könne man sich anderes vorstellen, als hier durch das kalte, trübe Wasser zu stampfen. Letztes Jahr haben sie an Heiligabend zwei Schiffe eingesetzt. Zwei Mal mussten Container transportiert werden: „Da hätte doch einer beide Touren fahren können!“

Jetzt gibt es doch eine halbwegs gute Nachricht: Steuermann Bartels kommt mit Schwung die kleine Treppe herunter und präsentiert den Computerausdruck mit den zu transportierenden Containern. Es sind nicht so viele, wie gedacht. Sechs nehmen sie von hier mit und dann fünf weitere drüben beim Euro-Kai, aber erst gegen sieben Uhr abends. Wenigstens können sie jetzt die Maschine warm laufen lassen. Vielleicht ist Feierabend, wenn sie die Container abgeliefert haben. Hoffentlich.

Frank Keil

Rund 3000 Binnenschiffer sind zwischen Elbe-Lübeck-Kanal und Bodensee unterwegs. Die Zahl der Binnenschiffer im Hamburger Hafen wird auf 150 geschätzt. Mit einer Umschlagmenge von gut neun Millionen Tonnen belegt Hamburg den dritten Platz unter den deutschen Binnenhäfen (nach Duisburg und Köln; als Seehafen liegt Hamburg an erster Stelle). Derzeit gibt es Überlegungen, den Beruf des Binnenschiffers in einen Lehrberuf zu überführen – so wie es in der DDR war.

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