Schauspieler Ulrich Pleitgen über Familienserien, Hörbücher und Altersrollen
(aus Hinz&Kunzt 140/Oktober 2004)
Ulrich Pleitgen, Schauspieler seit gut 35 Jahren, hat offenbar das Gefühl, er müsse sich dafür rechtfertigen, dass er in letzter Zeit häufiger in Unterhaltungsserien zu sehen ist. Er, der 1984 zum Theaterschauspieler des Jahres gewählt wurde.
Als wäre es irgendwie anrüchig oder nicht ganz standesgemäß, dass er auf dem Bildschirm gerade in der erfolgreichen Familienserie Dr. Kleist zu sehen war. „Auch wenn manche die Nase rümpfen über die ‚banalen, kleinen Familienprobleme‘, für uns sind sie doch riesengroß. Das sind doch die Kriege des kleinen Mannes!“ Schöner Satz, den er wahrscheinlich nicht zum ersten Mal gesagt hat. Beim Theater warte er „auf die tollen Altersrollen“: „Für Männer in meinem Alter gibt’s auf der Bühne nichts Interessantes“, sagt der 58-Jährige, „und außerdem habe ich schon so ziemlich alles gespielt.“
Seine allererste Rolle war der Trufalino in einer Schultheater-Aufführung von „Diener zweier Herren“. Damals war er elf und machte zum ersten Mal die Erfahrung, dass man beim Schauspiel ausleben kann, was im wirklichen Leben nicht so gerne gesehen wird. „Die Schlitzohrigkeit und vor allem der Charme, der den Trufalino ausmacht, das waren Eigenschaften, denen beispielsweise meine Mutter zutiefst misstraute. Charme habe ich gewissermaßen erst im Theater gelernt.“ Die Mutter war Bibliothekarin, der geschiedene Vater Lehrer – und später als Offizier im Widerstand gegen Hitler. Ihnen zuliebe absolvierte Ulrich Pleitgen erstmal eine „ordentliche“ Ausbildung zum Werbekaufmann – aber gleich danach besuchte er die Schauspielschule in Hannover, sprach anschließend beim Schillertheater in Berlin vor und bekam sofort ein Engagement: „Die mochten meine Emotionalität.“
Es folgen Engagements unter anderem in Stuttgart, Frankfurt, Basel und Bochum. Von 1980 bis 1989 gehörte er zum Ensemble des Thalia Theaters, 1986 erhielt er für seine Rolle in „Stammheim – Der Prozess“ einen Goldenen Bären. Dann eroberte er als Familienvater und Kapitän in der Serie „Nicht von schlechten Eltern“ die Fernsehzuschauer. Seitdem war er in unzähligen TV-Filmen und Serien zu sehen, eine der bekanntesten ist „Die Männer vom K3“. Anders als viele Kollegen hatte er offenbar immer genug zu tun – „aber ich musste auch immer von meinem Beruf leben, ich hatte nie irgendein Erbe oder Kapital im Rücken, das es mir erlaubt hätte, besonders wählerisch zu sein.“ So bürgerlich-solide kann Ulrich Pleitgen sein, um dann im nächsten Satz zu bedauern, dass es keine gesellschaftskritischen Filme mehr gebe.
Denn eine gewisse Aufmüpfigkeit begleitet ihn schon seit Jugendtagen, und sie ist ihm heute, wo er ein gern gesehener Talkshow-Gast ist, womöglich noch wichtiger als damals, als er wegen Disziplinlosigkeit vom Internat flog. Später habe er mit den Idealen der 68er sympathisiert, „obwohl vielleicht manches ein bisschen übertrieben war“, und auch heute ist es ihm noch wichtig, „auf der richtigen Seite“ zu stehen. Also versucht er, jetzt im Mainstream zu thematisieren, was früher den gesellschaftskritischen Filmen vorbehalten war. So gehe es eben bei Familie Dr. Kleist auch um Arbeitslosigkeit und Fremdenfeindlichkeit, die Angst vor dem sozialen Abstieg und die Sehnsucht nach einem sicheren Hafen, „das ist dann eben doch die Familie oder die selbst gewählte Familie.“ Und so kümmert sich im Fernsehen der verwitwete Onkel Johannes um seinen Neffen und dessen mutterlose Kinder.
Im wirklichen Leben hat Ulrich Pleitgen zwar keine eigenen Kinder, aber „Wahlverwandtschaft“: Er zog einen Jungen mit groß, der mittlerweile erwachsen ist, und ist seit 20 Jahren mit der gleichen Frau liiert. Sie begleitet ihn auch zu den Drehs, jedenfalls innerhalb Deutschlands, „sonst würde man sich viel zu selten sehen“. Nicht immer liegen die Rollen so dicht an seinem eigenen Erfahrungsbereich, aber das sei ja nun gerade die Herausforderung des Berufs, auch scheinbar Fremdes kennen zu lernen, meint Ulrich Pleitgen und ist überzeugt, „dass man das nur aus dem Bauch heraus kann, niemals über den Kopf“. Da scheut er sich auch nicht, ins Drehbuch einzugreifen, „denn dumme Sätze lese ich nicht vor“ – zum Schrecken mancher regieführender Autoren. Manchmal allerdings ist selbst er mit seinem Talent zum pragmatischen Glücklichsein am Ende, „dann muss man sich die Dinge einfach schön reden“, gibt er freimütig zu. Dabei wirkt er wie jemand, der sich einen solchen kleinen beruflichen Fehltritt nicht nur erlauben, sondern auch verzeihen kann.
Außerdem gibt es ja auch immer noch die Hörbücher. Seit einigen Jahren leiht er Romanen von Edgar Allan Poe, Henning Mankell, aber auch Harry Potter oder den Stadtgeschichten von Amistead Maupin seine Stimme, eine Arbeit, die ihm offensichtlich ungetrübtes Vergnügen bereitet. In einem Rutsch, in zwei mal zehn Stunden, habe er kürzlich die „Korrekturen“ von Jonathan Franzen aufgenommen. „Großartiger Roman, wenn ich da einmal im Schwung bin, brauche ich keine Pause – außerdem habe ich glücklicherweise eine Stimme aus Eisen.“ Der Hörbuch-Boom ist für ihn der Beweis, dass man mit neuen Formen auch Leute für Literatur begeistern kann, die früher nicht gelesen haben. Manchmal gräbt er für seine Hörbücher auch bis dato unveröffentlichte Texte aus, wie „Blood and Smoke“ von Stephen King. „Ich war schon immer ein begabter Leser und habe früher auch gerne meinen Freundinnen im Bett vorgelesen.“
Inzwischen erfreut er ein größeres Publikum damit, „vor allem in der dunklen Jahreszeit, wenn man sowieso nicht drehen kann, mache ich gerne Lese-Tourneen.“ Die sind für ihn genauso theatralische Leistungen, wie vor einer Kamera oder auf der Bühne zu agieren – und sie haben einen entscheidenden Vorteil: Man braucht seinen Text nicht auswendig zu können. Damit hat er sich nämlich schon immer schwer getan. Wundern Sie sich also nicht, wenn sie Ulrich Pleitgen demnächst leise vor sich hin sprechend an der Alster treffen. Er lernt dann wahrscheinlich gerade die neuen Texte für Onkel Johannes, für die nächsten Folgen von Familie Dr. Kleist. Die werden im Frühjahr kommenden Jahres produziert. „Da wird dieser Arztkram dann ziemlich zurückgefahren und die Familiengeschichten rücken weiter in den Vordergrund. Natürlich wird dann auch meine Rolle, der Onkel Johannes, gewichtiger“, sagt er mit unverhohlener Zufriedenheit.