Theater für Unternehmen: „Scharlatan“-Schauspieler schulen Hinz & Kunzt-Verkäufer
(aus Hinz&Kunzt 140/Oktober 2004)
„Junger Mann, hallo, hallo“, ruft Eckhardt im Ballonseidenanzug und hält den Passanten am Arm fest. „Hinz & Kunzt, das Stadtteilmagazin! Ist nicht der ,Stern‘, ist was für Obdachlose!“ „Kenne ich schon“, erwidert der junge Mann und versucht, seinen Weg fortzusetzen. Aber Eckhardt lässt nicht los: „Pass mal auf, das ist die neueste Ausgabe.“ „Die hab’ ich schon.“ „Aber die ist mit CD.“ „Wie CD?“ „Das ist’ ne Zeitung mit CD drin.“ „Ach, hab’ ich schon gehört.“ „Aber haste noch nicht gekauft, kostet nur vier Euro.“ „Ich brauch’ die aber gar nicht.“ „Ist mir doch egal.“ „Bitte …?!“
„Stopp!“ Eckhardt und der junge Passant halten inne, ihre Bewegungen und Mienen gefrieren. Ein Mann mit grau meliertem Haar und Lesebrille tritt an den Bühnenrand, der Regisseur Ali Wichmann. Die Szene war nur Theater, kein reales Verkaufsgespräch. Die echten Hinz & Kunzt-Verkäufer sitzen in diesem Fall im Publikum. Das Hamburger Theaterunternehmen „Scharlatan – Gesellschaft für Überraschungen“ bietet Mitarbeiterschulungen in Form von interaktivem Theater an. Ob Bankangestellte oder Straßenzeitungsverkäufer – das Prinzip ist letzten Endes das gleiche: Die Mitarbeiter sehen einer humoristisch überspitzten Präsentation ihres Arbeitsalltages zu, die von Schauspielern dargestellt wird. Im nächsten Schritt können sie kommentieren, eingreifen und die Schauspieler anleiten.
Und den Obdachlosen gefällt an der Theater-Szene so einiges nicht: „Das ist eine Straßenzeitung, kein Stadtteilmagazin. Hinz & Kunzt, das reicht – zwei Worte sind heutzutage ein Hauptsatz“, kommentiert zunächst Verkäufer Jonas mit den dunklen krausen Haaren. „Viel zu aufdringlich und dreist, das geht doch so nicht“, findet Hinz & Künztler Klaus, ein kleiner, zarter Mann mit runder Brille.
Nie würde er einen potenziellen Käufer so bedrängen. „Es ist abhängig vom Platz, wie ich auf mich aufmerksam mache. Normalerweise suche ich Blickkontakt und grüße, aber ich fasse nie jemanden an“, ergänzt Verkäufer Stefan. Auf ein Handzeichen des Regisseurs kommen die Schauspieler wieder in Bewegung und integrieren umgehend die Kritik des fachkundigen Hinz & Kunzt-Publikums in ihr weiteres Rollenspiel.
Normalerweise sitzen im Publikum Angestellte von anderen großen Dienstleistungsunternehmen wie der Deutschen Bahn. Die These, die hinter dem „Business-Format“ der Scharlatane steht: Mit Humor lassen sich Motivation, Selbstkritik und Interaktion besser fördern als im Seminar oder im Gespräch mit Vorgesetzten. Mindestens 3.000 Euro zahlen Unternehmen für eine solche Produktion; je nach Aufwand ist der Preis nach oben offen. Einmal applaudieren, bitte: Hinz & Kunzt bekam das Stück geschenkt – eine Benefizaktion! Schon in der Vergangenheit hatten die Theaterleute das Straßenmagazin unterstützt, zum Beispiel beim Geburtstagsempfang im vergangenen Jahr.
Die Schauspieler mit pädagogischem Anspruch laden ihr Publikum nach Hammerbrook ein. Dort, im Industriegebiet zwischen Hauptbahnhof und Elbbrücken, hat Scharlatan seine eigene Bühne. Zwölf Schauspieler sind fest im Ensemble, noch einmal ein Dutzend Mitarbeiter für Verwaltung und Technik beschäftigt das Eventtheater – nach eigenen Angaben das größte in Deutschland.
„Das Konzept haben wir mit den Scharlatan-Leuten gemeinsam erarbeitet“, sagt Hinz & Kunzt-Vertriebsleiter Frank Belchhaus. Zur Vorbereitung haben die Schauspieler mehrere Interviews mit Verkäufern und Mitarbeitern geführt, um sich mit der Situation und den Problemen vertraut zu machen. Die Szenenfolge, die entwickelt wurde, erzählt von der Begegnung zwischen dem langjährigen Verkäufer Eckhardt und dem Neuling Macke. Eckhardt ist erfolgreicher Verkäufer mit Stammplatz, ein schlauer Fuchs und ein Schnacker. Die Verkäuferregeln legt er freizügig aus und ordnet sie, wenn er es für nötig hält, seinen eigenen Vorstellungen unter. Macke hingegen ist zurückhaltend und nimmt es mit den Regeln sehr genau. Diesen beiden begegnen sehr unterschiedliche Käufertypen, nette und unangenehme… Einer zum Beispiel zitiert den Straßenzeitungsverkäufer mit einer Handbewegung zu sich: „Jetzt mach mal los hier.“ Macke reicht ihm die Zeitung und will den Geldschein nehmen, doch der Kunde zieht den Schein zurück und lacht: „Na, was sagt man?“ Macke zögert. Mit jovialem Klopfen auf Mackes Schulter gibt der Passant ihm schließlich doch den Schein und verzichtet generös auf das Wechselgeld: „Der Rest ist für dich. Euch geht es ja nicht so gut.“
„Stopp!“ Ein Raunen geht durchs Publikum. Hinz & Künztler Klaus schüttelt den Kopf: „Das muss man sich nicht bieten lassen. Man muss sich nicht deklassieren lassen von anderen Menschen. Ich hatte einmal eine solche Situation, da hab’ ich die Zeitung nicht verkauft.“ Verkäufer Jonas sieht die Sache ganz klar: „Anfassen kostet extra. Und: Geld gegen Ware – im Laden geht das auch nicht, dass ich die Zigaretten schon nehme und das Geld noch behalte.“
Am Anfang waren die Verkäuferdarsteller Joachim Brüggemann und Ralph Eckstein zögerlich. „Wir hatten Bedenken, Menschen in schwierigen Situationen ihr Elend vorzuspielen, daraus ein Spiel zu machen“, sagt Eckstein. Hinz & Kunzt sei eine andere Klientel als die Unternehmen, für die sie sonst arbeiten, räumt Regisseur und Geschäftsführer Ali Wichmann ein. Gerade deshalb aber fanden die Theatermacher das Projekt reizvoll, und letztlich seien die Verkäufer ja doch Vertriebsmitarbeiter wie in anderen Unternehmen auch.
Die Hinz & Künztler fühlen sich nicht beleidigt. Ganz im Gegenteil, sie amüsieren sich. Hinz & Künztler Stefan schmunzelt: „War spitze, absolut gut. Und es ist realistisch, dass einige nicht nach den Regeln verkaufen.“
Wie Eckhardt manchmal. Während Macke für einen Augenblick verschwunden ist, genehmigt sich Eckhardt einen Schluck aus der Schnapsflasche. Genau in dem Moment kommt auf der Bühne ein Kontrolleur vorbei: „Hardi, Hardi, hab’ ich dich wieder erwischt.“ Er schüttelt den Kopf, nimmt Eckhardt den Ausweis ab und wartet, dass der ihm die Zeitungen aushändigt. „Kannste nicht mal ein Auge zudrücken?“ Doch der Betreuer entgegnet: „Bei dir hilft nicht mal mehr blind sein, Hardi.“