Wie ein Obdachloser Alkohol und Schulden in den Griff bekam – und jetzt ein Reinigungsunternehmen führt
(aus Hinz&Kunzt 139/September 2004)
Dienstag, 6.30 Uhr am Rathausmarkt. Hannes Hemmers (48) klappt die Leiter aus, greift zu Eimer und Leder. Heute sind wieder die Glasscheiben des Imbiss-Pavillons dran. Neben Hemmers putzt sein Sohn Michael (26). Auch er in Firmen-Montur: rote Hose und gelbes T-Shirt. Ein Familienunternehmen bei der Arbeit.
Wo Hannes Hemmers heute sauber macht, hat er vor zehn Jahren gebettelt und gezecht. Mit einer Clique von Obdachlosen hielt er sich am Rathausmarkt auf. Von demselben Imbiss, der heute sein Auftraggeber ist, gab es manchmal Suppe geschenkt.
Hemmers hat seine Alkoholsucht in den Griff bekommen. Er hat eine Wohnung in Wedel, dort führt er auch sein Reinigungsunternehmen mit einer Hand voll Mitarbeiter. Und seit neuestem ist er schuldenfrei: ehemals 38.000 Mark sind abbezahlt. Ein Kraftakt über gut acht Jahre. „Man muss einen Dickkopf und eisernen Willen haben“, sagt der 1,70-Meter-Mann mit der schmalen Statur. Und er weiß um seine Unterstützer: Seine Lebensgefährtin hat ihm geholfen. Schuldnerberater Peter Ogon vom Diakonischen Werk. Und ein kleines bisschen auch Hinz & Kunzt.
Wie das kam? Anfang der neunziger Jahre war Hemmers zweite Ehe in die Brüche gegangen. Er begann zu trinken, verlor die Reinigungsfirma, die er sich aufgebaut hatte, und seine Wohnung. In Osnabrück schloss er sich einer Clique von Obdachlosen an. Zur gleichen Zeit wurde in Hamburg Hinz & Kunzt gegründet. Weil eine Obdachlosen-Einrichtung in Osnabrück wissen wollte, wie das neue Straßenmagazin funktioniert, entsandte sie einige ihrer Besucher als Berichterstatter in den Norden, darunter auch Hemmers. Ihm gefiel es in Hamburg, er blieb einfach da, fand am Rathausmarkt neue Kumpels, machte später Platte in Wedel.
Ende 1996 musste Hemmers für zwei Monate ins Gefängnis – wegen eines nicht bezahlten Bußgeldes. Dort hörte er auf zu trinken. „Die Zeit war einfach reif dafür“, sagt er im Rückblick. Danach ging’s aufwärts. Noch während er in einer Obdachlosen-Unterkunft lebte, fing er wieder an, als Reiniger zu arbeiten. Aber da waren die Schulden – vor allem aus der zweiten Ehe, aus der Unterhaltspflicht für drei Kinder. Kunden drängten Hemmers: „Geh’ zu Hinz & Kunzt, die helfen dir weiter.“ Hemmers erzählte dort seine Geschichte; sie erschien Ende 1998 im Magazin. Doch Autorin Verena Schmidt tat noch mehr: Sie verwies Hemmers auf die Schuldnerbera-tung der Diakonie. Das war Gold wert. „Sonst hätte ich die Entschuldung nie durchgezogen“, sagt Hemmers.
Mit seiner Freundin wohnt er heute in einer 86-Quadratmeter-Wohnung; auch das Büro ist dort untergebracht. Die Einrichtung erzählt von einer liebevollen Art, den Dingen Heimat zu geben. Da ist eine Bergpalme, die ein Kunde wegwerfen wollte. Oder eine Hexenfigur, die lacht, wenn man sie am Ärmel zupft. Außerdem fünf stattliche Segelschiffmodelle, ein Kunststoff-Bonsai und ein Kruzifix, das ihm der Trödler schenkte („weil ich gläubig bin“). Auf der Sofalehne thronen vier Plüschtiere. In einer Ecke des Wohnzimmers die Sammlung alkoholischer Getränke. „Wenn ich Frust habe, schaue ich mir das an“, sagt Hemmers. Er ist stark genug dafür. „Denn Abstinenz“, sagt Hemmers und zeigt auf seinen Kopf, „kommt von hier oben“.
Am Rathausmarkt glänzen inzwischen die Scheiben des Imbisspavillons. Hemmers rügt Ladenbesitzer, die zu viele Aufkleber auf dem Schaufensterglas haben („Das muss nachpoliert werden“) und erläutert seine Strategie für die Grundreinigung von Fliesen („Die müssen schwimmen, nur feucht drüberwischen reicht nicht“). Der Unternehmer, der an Arbeitstagen um 3.30 Uhr aufsteht, übernimmt nicht nur die laufende Reinigung von Geschäften, Praxen und Kanzleien, sondern macht auch sauber, nachdem Handwerker da waren, entrümpelt Wohnungen, pflegt Gärten. Um einen flotten Spruch ist Hemmers nie verlegen, auch wenn es um seine Angebotspalette geht: „Wir machen alles außer Geldwäsche, das färbt die Hände so.“