Ein Hamburger Dokumentarfilm über eine leidenschaftliche Frau feiert Premiere auf dem Filmfest
(aus Hinz&Kunzt 139/September 2004)
Das Filmfest Hamburg zeigt das unterhaltsame Porträt der über 90-jährigen Hamburgerin Manya Nolepa. Die ehemalige Revue-Akkordeonistin, Truppenbetreuerin und lebenslustige Dreifach-Witwe berichtet aus ihrem Leben – eine muntere und melancholische Rückschau auf das vergangene Jahrhundert. Silke Schütze und Armin Plöger haben Manya drei Jahre mit der Kamera begleitet.
Manya Nolepa raucht Kette, aber nur mit Zigarettenspitze. „Alles andere ist nicht ladylike, Schätzchen“, erklärt die über 90-Jährige den Filmern und ignoriert alle Rauchverbote. Manya liebt die Musik und die Männer. Eigentlich heißt sie Margret Marie Ernestine. Ihr erster Mann nannte sie Manya, sie blieb dabei.
Als Tochter reisender Musiker spielte sie zunächst in Kinoorchestern, „bis 1929 der Tonfilm ausbrach und Tausende von Musikern arbeitslos wurden“, berichtet Manya. Sie sattelte um aufs Akkordeon, tanzte über die Varieteebühnen der 30er-Jahre und erlebte den Krieg als Truppenbetreuerin. 1947 gründete sie die Mädchen-Combo „Die Manyas“. Sie spielte für die Besatzer und reiste Anfang der 50er-Jahre nach Skandinavien, Griechenland, Beirut, Libanon und Syrien. Dreimal heiratete die temperamentvolle Frau, dreimal starben ihre Männer nach vielen glücklichen Ehejahren.
Drei Jahre haben die Autorin Silke Schütze und der Kameramann Armin Plöger Manya mit der Kamera begleitet. Die Zeit war nötig, um den Kontakt und die Nähe aufzubauen. Ein Projekt aus Leidenschaft, ohne Finanzierung. Nur für einen Teil der Produktion bekamen sie Förderung. Und sie hatten das Glück einen Produzenten zu finden, der ihnen seine Kamera zur Verfügung stellte.
Die Filmemacher hatten die Protagonistin durch einen Zufall kennen gelernt: Ein Freund bat Silke Schütze, Bücher für ihn bei Manya abzuholen. Die Autorin besuchte die alte Dame in ihrer Wohnung in den Grindelhochhäusern. Beim Rausgehen entdeckte sie Fotos von Revueauftritten und fragte nach. „Manya hat dann gleich so lebendig erzählt, dass sie Musikerin war, bei der Truppenbetreuung und so“, sagt die Autorin, springt auf, holt die Fotos, zeigt und erzählt – so temperamentvoll wie ihre Protagonistin.
Erst dachte sie, ein Buch über Manya zu schreiben, weil sie ja nun mal Autorin sei. Aber dann merkte sie, dass sie damit nur von der Geschichte berichten würde, aber ein Buch würde nicht die Geschichte erzählen wie Manya selbst: „Sie ist eine tolle Erzählerin, die plastisch erzählt und Emotionen auslöst – ein altes Showgirl. Ich dachte: Machen wir lieber einen Film.“ In einem Buch beurteile man als Autorin die Menschen zwangsläufig, beim Film aber könne jeder selber die Erfahrung machen, ihr zuzuhören.
In zwei Filmen aus den 30er- und Anfang der 40er-Jahre hat Manya mit ihrem Akkordeon mitgespielt. Einmal drehte sie sogar mit Hans Albers. Keine Propagandafilme, aber auch keine große Filmkunst, eher „musikalische Tischdeko“, so Silke Schütze. Bei den Nazis war Manya nicht, aber gegen sie unternommen hat sie auch nichts. So wie sie haben es viele gehalten. Und gerade das ist ein spannender Aspekt dieser Lebensgeschichte: keine politisch korrekte Widerstandskämpferin, keine glühende Anhängerin des Nationalsozialismus, sondern irgendwie dazwischen. Zu ihrer Zeit bei der Truppenbetreuung sagt Manya: „Ich hatte doch eine Aufgabe, ich musste die doch unterhalten.“ Sie hat auch gar keine Idee gehabt, was sie hätte anders machen können. Es ging immer um Musik, sie war Musikerin, ohnehin jede Woche woanders. „Einerseits ist das befremdlich, so wie sie es erzählt, aber es wird auch klar, dass sie für sich keine andere Möglichkeit hatte“, sagt Silke Schütze. Die Grauwerte sind wichtig, um zu verstehen, wie das „Dazwischen“ in den Köpfen funktioniert. Zudem hatte Manya durch ihre musikalische Karriere eine besondere Perspektive, denn sie konnte die Männer dabei beobachten, wie sie Krieg führten.
In den Jahren danach war Manya mit ihrer Mädchen-Combo unterwegs. Von Skandinavien bis in den Orient: Die flotte Akkordeonmusik kam an. In Beirut lernte sie 1954 den Briten Bob kennen. Er fragte: „Darling, what do you want – me or the music?“ Manya löste die Band auf, begleitete Bob in die Wüste zu seiner Arbeit an den Pipelines. Mit ihm lebte sie auf Hawaii, in Australien, Kanada. Nach seinem Tod kehrte sie zurück nach Hamburg. Dort lernte sie Anfang der 60er-Jahre Walter kennen und lieben. 20 Jahre waren sie ein Paar. Dann erkrankte Walter an Parkinson. Manya pflegte ihn neun Jahre, bis zu seinem Tod. Sie glaubte, auch ihr Leben sei vorbei – weit gefehlt. Als sie 83 Jahre alt war, trat wieder ein Mann in ihr Leben: Horst, ihr Schätzchen. „Wir sahen uns das erste Mal, es war wie ein Hurrikan“, erzählt Manya, und es gibt keinen Zweifel an dem, was sie sagt. Auch Horst hat sie überlebt.
„Es ist schön zuzusehen, wie sich jemand erinnert“, findet Silke Schütze. Bei einigen Passagen, vor allem, wenn Manya über das Älterwerden spricht, muss sie immer wieder weinen. Berührend sind diese Momente, weil sie ehrlich verzweifelt von der Last des Alters und vom Abschied von der Liebe erzählen. Oder wie Manya sagt: „Das Gemeine am Leben ist, dass es dann einfach aufhört.“
Anfang des Jahres ist Manya Nolepa mit 93 Jahren gestorben. Silke Schütze glaubt, für Manya sei das Filmprojekt eine Art Trip gewesen: Im Zeitraffer ist sie noch einmal durch ihr Leben geschritten. Manya war begeistert, sie fühlte sich wie die alte Manya, und gleichzeitig wurde ihr bewusst, dass es vorbei ist, Vergangenheit. „Sie ist gestorben, als ihre Geschichte erzählt war. Da war auch ihr Leben zu Ende.“