Wie das Hamburger Spendenparlament Finanz-Anträge prüft
(aus Hinz&Kunzt 139/September 2004)
Karen Haubenreisser wirkt nervös. Ein harter Termin liegt vor der Geschäftsführerin des Frauenprojektes FLAKS. Gut, dass sich auch Christiane Geng Zeit genommen hat. Die Mitarbeiterin vom Bezirksamt Altona sieht richtig schick aus: schwarzes, enges Kleid und hochhackige Sandalen. Hier geht es schließlich um Geld.
Darum, einen guten Eindruck zu hinterlassen bei Günther Fischer. Als Mitglied der Finanzkommission prüft der 66-Jährige vor Ort Anträge, die beim Hamburger Spendenparlament (HSP) eingehen. Ehrenamtlich, versteht sich. Heute besucht er das Beratungs- und Qualifizierungs-Projekt für Frauen aus Altona Nord, FLAKS.
FLAKS steckt in finanziellen Nöten. Die Bildungsbehörde hat überraschend die Zuwendungen für das Frauenprojekt gesenkt. Ab 2006 werden sie ganz eingestellt. Nun ist zwar ein eigens für FLAKS mit öffentlichen Geldern errichteter Neubau fast fertig. Doch plötzlich fehlt das Geld für das, was künftig in dem Gebäude stattfinden soll: zum Beispiel Computer-, Deutsch- oder Englischkurse für Frauen mit geringem Einkommen, für Sozialhilfeempfängerinnen, Migrantinnen und Alleinerziehende. Karen Haubenreisser bat das Spendenparlament um Hilfe.
„Ich bin erst mal skeptisch“, gesteht Günther Fischer und wiegt seinen Kopf. „Wir von der Finanzkommission tragen schließlich die Verantwortung für die Spendengelder“ – laut der Vorsitzenden Barbara Tode stattliche drei Millionen Euro, die seit der Gründung des Parlaments vor neun Jahren zusammenkamen. 822 Anträge landeten bislang im Briefkasten des Parlaments, 448 davon wurden bewilligt. Die Ordner mit Besuchsprotokollen, Zuwendungsbescheiden und Verwendungsnachweisen füllen mittlerweile einen kompletten Schrank. Und je knauseriger die öffentliche Hand, desto eher wird das Spendenparlament auch von denen um Geld gebeten, die den strengen Satzungskriterien des Vereins nicht genügen: Empfänger sind ausschließlich gemeinnützige Projekte, die von Armut, Obdachlosigkeit und Isolation betroffenen Menschen helfen. So ist eine gewisse Skepsis angebracht.
Günther Fischer lässt sich von Karen Haubenreisser das Gesamtprogramm von FLAKS erklären. Fischer, früher in leidender Position bei einer internationalen Computerfirma, will herausfinden, ob irgendwo Sparpotenzial ungenutzt schlummert, will hören, wie die finanzielle Zukunft des Projekts aussieht. Schließlich sei das Spendenparlament kein Dauerfinanzier, sondern Brückenbauer bei Engpässen oder Anschubgeber. Nur wenn Fischer von Sinn und Zweck des Antrages überzeugt ist, kann er wiederum die anderen Finanzkommissare überzeugen. Die stimmen schließlich anhand seiner Empfehlung über den Antrag ab. Erst wenn diese Hürde passiert ist, gelangt er ins Spendenparlament. Dort entscheiden die 3081 Parlamentarier – wiederum per Mehrheitsbeschluss – über die Bewilligung der Mittel. Oft müssen sich die Finanzkommissare noch auf den Sitzungen des Parlaments heiklen Fragen stellen. Günther Fischer tut also gut daran, sich ein detailliertes Bild zu machen.
„Bekommen hier auch allein erziehende Männer eine Beratung?“, frotzelt Fischer – um sich gleich bei den Damen zu entschuldigen: „Wenn ich schnoddrig bin, liegt das daran, dass ich Sie herausfordern will.“ Fischer spricht bedächtig. Er überlegt, will verstehen. Dass ausgerechnet ein Mann sich mit dem Frauenprojekt beschäftigt, hat einen guten Grund: Zwei Mal schon hat FLAKS einen Antrag beim HSP gestellt. Zwei Mal besuchte daraufhin eine Frau im Auftrag der Finanzkommission das Projekt. Jetzt ist Fischer dran. „Wir wollen mit niemandem Freundschaft schließen“, sagt er. So bleibt die Unabhängigkeit gewahrt.
Karen Haubenreisser ist gut vorbereitet, und Christiane Geng vom Bezirksamt leistet Schützenhilfe. Sie überzeugen den Kommissar von dem Bedarf an den niedrigschwelligen und zumeist kostenlosen Angeboten von FLAKS. Davon, dass sie in Altona Nord einzigartig sind. Davon, dass das Projekt an Personalkosten nirgends sparen kann und der Bezirk auch in Zukunft für Miete, Betriebskosten und Inventar gerade steht. An anderer Stelle bleibt der Kommissar skeptisch: Wozu Englisch-Unterricht? „Das ist ,nice to have‘, aber nicht ,need to have‘“, begründet er seine Bedenken. Und warum eine bezahlte Kinderbetreuung? Das, so sein Vorschlag, könnten die Frauen doch untereinander organisieren.
Fischers Entscheidung steht noch nicht. Er will den Finanzierungsplan von FLAKS nochmals in Ruhe prüfen. Freundliche Verabschiedung, man hört voneinander.
Ein Rummel wie auf dem Bahnhof. Immer mehr Menschen trudeln im Büro des Hamburger Spendenparlaments ein, rennen wieder hinaus, müssen noch schnell ein Blatt kopieren. Heute tagen die neun Finanzkommissare, drei Frauen und sechs Männer. Bis auf die Vorsitzende, Barbara Tode, und ihren Stellvertreter, Erich Wanko, alle Pensionäre. Ein illustrer Haufen: ehemalige Bankkaufleute, Informatiker, Betriebswirte und der Ex-Wirtschaftssenator Helmuth Kern, dazu Ärzte und Sozialpädagogen. Barbara Tode stellt außerdem „unseren Praktikanten“ vor, Spendenparlaments-Mitglied Dr. Werner Schimming. Er macht sich mit dem Prozedere der Kommission vertraut. Alle zwei Jahre werden die Mitglieder neu gewählt, manchmal scheidet eines vorzeitig aus. Durch gut ausgebildete Praktikanten ist eine reibungslose Nachfolge gewährleistet. Außerdem sitzt noch Dirk Bleese mit am Tisch, der Vereins-Vorsitzende. Stimmberechtigt ist er nicht, bohrende Fragen im Namen der Parlamentarier stellt er dafür umso mehr.
Auf der Sitzung händigen sich die Kommissare gegenseitig die Protokolle aus, die über ihre Besuche bei Projekten Auskunft geben und mit ihrer Empfehlung enden. Oft geht es um die Bewilligung kleinerer Summen bis 2500 Euro, dann wieder um größere Beträge bis 16.000 Euro. „Hier steht Lehrer – was ist das? Ich brauche für die Honorartabelle eine konkrete Bezeichnung.“ „Wie kommt diese Summe zustande?“ „Ist das überhaupt unsere Klientel?“ Fragen, Antworten und Zahlen schwirren durch den Raum. Jede Summe wird heiß diskutiert. Manchmal sogar so laut, dass andere die Türen schließen müssen, verrät eine Mitarbeiterin der Diakonie, in deren Räumen das Büro des HSP untergebracht ist. In der Finanzkommission sitzen eben Pfennigfuchser mit sozialem Gewissen neben Sozialaposteln mit Zahlenverstand. Sie ergänzen sich blendend, aber reiben sich auch mal. Da braucht es so eine wie die Verwaltungsangestellte Barbara Tode. Sie führt das Regiment mit harter Hand.
Auch der Antrag von FLAKS wird heute behandelt. Günther Fischer empfiehlt, das Honorar für einen Computer- und Deutschkurs sowie für einen Schneider- und Handwerkskurs zu übernehmen. So hätte das Projekt Zeit, sich in den neuen Räumen einzuleben und bis zum Jahr 2006 neue Geldquellen zu erschließen. „Wie sieht’s mit der Folgefinanzierung aus?“, fragt Dirk Bleese. Fischer muss erklären, wieso sich die Bildungsbehörde aus der Finanzierung zurückzieht, wieso Hoffnung besteht, dass sich die Sozialbehörde künftig engagiert, wieso die Finanzierungslücke im laufenden Haushalt nicht zu schließen ist. Geduldig gibt er Antwort. Er hat seine Hausaufgaben gemacht.
Barbara Tode bittet um Abstimmung. Wer ist dafür? Hände gehen nach oben. Die Empfehlung von Günther Fischer wird einstimmig angenommen. Der Protokollant notiert.
Nun muss FLAKS nur noch bis zur Sitzung des Spendenparlaments am 16. November im Hauptgebäude der Universität Hamburg zittern. Dort wird endgültig entschieden, ob sich der Neubau für FLAKS künftig mit Leben füllt.