In Pakistans größter Stadt Karatschi starben 289 Menschen bei einem Brand in einer Textilfabrik. Mitverantwortung am Unglück trägt der Klamottenladen KiK, der dort seine Jeans nähen ließ. Ein Bericht von NDR-Reporter Christoph Lütgert.
(aus Hinz&Kunzt 240/Februar 240)
Ganz früher Morgen, 3.30 Uhr. Der Fahrer, der uns vom Hotel zum Flughafen Karatschi bringt, hat Angst, will so schnell wie möglich wieder zurück. Er rast, als ginge es um sein Leben. Geht es auch. Jede Nacht sterben hier zehn, 15 oder 20 Menschen; Opfer sogenannter „targeted killings“, gezielter Tötungen, von denen man vorher nie weiß, wo sie wen treffen. Die genauen Zahlen gibt es jeden Morgen in den Zeitungen von Karatschi – Routine wie andernorts Wasserstandsmeldungen.
Meine Kollegin Britta von der Heide und ich waren eine knappe Woche in dieser unwirtlichen, unheimlichen, unsicheren Riesenstadt, die mit sich selbst nicht mehr klarkommt. Allerdings nicht, um über die auch hier vorrückenden Taliban zu berichten. Fünf Tage hatten wir recherchiert und die schreckliche Brandkatastrophe in der Textilfabrik Ali Enterprises rekonstruiert. 289 Näherinnen und Näher waren am 11. September 2012 in den Flammen qualvoll ums Leben gekommen. Und wieder trägt ein deutscher Konzern Mitverantwortung: Der Textildiscounter KiK, der wie kaum ein anderes Unternehmen für globale Ausbeutung steht. Für umgerechnet 50 Euro im Monat hatten 650 Näherinnen und Näher bei Ali Enterprises Tag für Tag Tausende Billig-Jeans für KiK genäht.
Vor gut zwei Jahren hatten wir im NDR, in der ARD und in Hinz&Kunzt mit der „KiK-Story“ gezeigt, wie brutal und rücksichtslos das Unternehmen aus Bönen bei Dortmund für seine Billigst-Produkte die Menschen ausquetscht – in den Herstellerländern wie Bangladesch und Pakistan, aber auch in den 2400 Filialen in Deutschland. Nach unserem Film in 2010 gaben sich die Manager als reuige Sünder: „Wir von KiK haben Fehler gemacht. Das bedauern wir außerordentlich.“ Alles oder wenigstens vieles sollte besser werden. Und jetzt der verheerende Brand in der KiK-Fabrik. Die 289 Toten von Karatschi haben auf makabre Weise die KiK-Versprechen als haltlose Lügen entlarvt. Deshalb jetzt unsere Reise nach Pakistan.
Britta von der Heide und ich durchqueren den Ortsteil Baldhia, in dem die Ruine von Ali Enterprises an das Desaster erinnert. Wir sprechen mit Eltern, die ihre Kinder in dem Flammen-Inferno verloren haben. Lange werden wir uns an Rehana und Azmat Ali erinnern. Sie trauern um vier Töchter und einen Sohn. Wir treffen Überlebende. Sie alle erzählen, dass ihre Fabrik von rücksichtsloser Kostendrückerei beherrscht war. Die Fenster waren vergittert und Notausgänge verschlossen, damit bloß nichts geklaut werden konnte. Andere behaupteten gar, es habe in manchen Stockwerken überhaupt keine Notausgänge gegeben, jedenfalls hätten sie keine gekannt. So wurde die Fabrik, als das Feuer ausbrach, zur glühenden Todesfalle für fast 300 Menschen. Und kein Arbeiter, keine Arbeiterin hatte je einen Arbeitsvertrag oder ein anderes Papier. Solchen Menschen, Sklaven der Moderne, kann man fast alles zumuten – auch unbezahlte Überstunden und lebensgefährliche Arbeitsplätze. Noch Wochen nach dem Feuer finden wir rund um die Fabrik Tausende halbverbrannter Jeans. In alle war schon das Logo „OKAY“ eingenäht, – das Logo von KiK.
Am Abend dieses Tages in Karatschi gehe ich in unserem Hotel ins Internet, rufe die Website von KiK auf – ein gelungener Werbeauftritt. KiK ein durch und durch menschenfreundliches Unternehmen. „Verantwortung“ werde ganz großgeschrieben – Verantwortung für die Mitarbeiter in Deutschland und die Näherinnen und Näher in Ländern wie Pakistan. KiK gibt vor, alle Fabriken, die für den Discounter produzieren, würden überprüft. Es werde streng darauf geachtet, dass die Arbeitsbedingungen eingehalten, Mindestlöhne gezahlt würden, Sicherheit gewährleistet sei. KiK stellt sich selbst dar, als sei das Unternehmen eine Entwicklungshilfe-Organisation, die nebenbei noch ein paar Klamotten verkauft.
Und noch kurz nach dem Brand versuchte sich der Konzern aus seiner Verantwortung rauszureden: Die Fabrik Ali Enterprises sei dreimal von unabhängigen Prüfern durchleuchtet worden. Und dreimal hintereinander keine Sicherheitsbeanstandungen, betonte KiK. Wir wollten genau wissen, wie es zu einer solchen Fehleinschätzung kommen konnte, und haben um einen Interviewtermin bei KiK gebeten. Eine Viertelstunde vor dem vereinbarten Termin – wir waren schon auf dem Gelände – wurde das Interview per SMS abgesagt. Wir haben noch einmal nachgefragt. Schließlich wollten wir wissen, was das Unternehmen zu all den Vorwürfen zu sagen hat. Aber es war nichts zu machen. Es blieb bei der Absage.
Wahrscheinlich, ohne es zu merken, hat KiK damit selbst das Prinzip der organisierten Verantwortungslosigkeit entlarvt. Ein Prinzip, das sich auch andere große Textilanbieter vorwerfen lassen müssen, meint Karamat Ali, Chef des renommierten Arbeits- und Sozialforschungsinstituts Piler in Karatschi. Zusammen mit anderen Wissenschaftlern untersucht er seit Jahren die Zustände in Pakistans Textilindustrie. Er weiß Bescheid wie wohl kein Zweiter. Unser Besuch bei ihm ist geradezu Pflicht, wollen wir seriös recherchieren. Westlichen Auftraggebern wie KiK und C&A wirft Karamat Ali vor, sie kümmerten sich im Gegensatz zu ihren herzerwärmenden Werbeversprechen „einen Dreck“ um die wahren Bedingungen. Riesenaufträge über Hunderttausende Billig-Jeans oder T-Shirts oder Hemden würden irgendwo zentral platziert. Dann würden sie nach unten weitergereicht. Jeweils die billigsten Fabriken erhielten den Zuschlag.
KiK und die anderen Auftraggeber wüssten sehr oft gar nicht, in welcher Fabrik die von ihnen bestellten Kleidungsstücke am Ende genäht worden seien. Die Hauptsache: billig, billiger, am billigsten. Und dann jene Verlogenheit, die durch den Brand bei Ali Enterprises aufgeflogen ist: Für die Fabriken werden irgendwelche Testate oder Zertifikate von irgendwelchen Prüfungsunternehmen vergeben. Danach werden die Sozial- und Sicherheitsstandards eingehalten. Die Käufer im Westen, so wird suggeriert, dürfen also ein gutes Gewissen haben, wenn sie eine Jeans für 9,99 Euro kaufen. Dabei – das wurde durch die Feuerkatastrophe von Karatschi offenbar – sind diese Zertifikate oder Testate nicht einmal das Papier wert, auf dem sie gedruckt worden sind. Karamat Ali nennt sie einen „bloody joke“, einen verdammten Witz. Von den überlebenden Arbeitern bei Ali Enterprises, mit denen wir in Karatschi gesprochen haben – und es waren sehr viele! – hatte kein einziger so einen Prüfer in seiner Fabrik gesehen.
„Was kann, was muss man machen“, fragten wir Karamat Ali. Seine Antwort: „KiK und die anderen können sich nicht länger damit herausreden, sie hätten nichts gewusst. Wenn sie ihre gewaltigen Aufträge platzieren, müssen sie sich gefälligst selbst hierher bewegen und die Fabriken selbst inspizieren. Sie müssen selbst darauf achten, dass die Arbeiter wenigstens minimal geschützt sind und dass die Gesetze eingehalten werden. Nur dann dürfen sie die Aufträge vergeben. Und ich wette mit Ihnen“, sagt Karamat Ali und beugt sich weit vor, „ich wette mit Ihnen, sie finden nicht nur eine, sie finden 20 Fabriken, die da mitmachen.“ Vielleicht werden dann die Kleidungsstücke ein klein wenig teurer, aber wirklich nur ein klein wenig. Denn die Personalkosten bei der Herstellung machen nicht einmal fünf Prozent des Preises aus. „Greifen wir mal ganz hoch“, sagt Karamat Ali zum Abschied: „Wenn in Deutschland eine Jeans einen Euro mehr kosten würde, könnten Sie sich dann wirklich keine Jeans mehr leisten?“
Wenige Wochen nach der Katastrophe von Karatschi geht im benachbarten Bangladesch eine Textilfabrik in Flammen auf. Auch hier weit mehr als 100 Tote. Diese Fabrik hatte einen gigantischen Auftrag von C&A an Land gezogen. Und auch hier das Prinzip der organisierten oder unorganisierten Verantwortungslosigkeit. C&A musste nach dem Brand zugeben, diese Fabrik niemals überprüft zu haben. Das sollte – angeblich – erst Wochen später geschehen. Jetzt ist das nicht mehr nötig. Die Fabrik gibt es nicht mehr.
Dabei ist grundlegende Besserung keine bloße Utopie: Wir besuchen die IFG-Textilfabrik, vor Jahrzehnten von einem idealistischen Unternehmer als Stiftung gegründet. Sie steht auch in Karatschi. Die Produktionshallen hell und freundlich, so wie die Fabriken in den Werbebroschüren von KiK und C&A aussehen, es aber nicht sind. Breite Fluchtwege, gut markierte Notausgänge. Alle Näherinnen erhalten etwas mehr als den Mindestlohn von 50 Euro. Jede ist krankenversichert. Für alle wurde ein bescheidener Pensionsfonds angelegt.
Firmenchef Roshan Ali erzählt uns, natürlich habe das alles seinen Preis. Die Produkte seiner Fabrik seien 20 Prozent teurer als in den „normalen“ Fabriken, die aber nicht die Normalität sein sollten. Bei den insgesamt geringen Produktionskosten würden 20 Prozent mehr pro Jeans, T- oder Sweatshirt jeweils nur ein paar Cent ausmachen. Damit wäre die Mär widerlegt, dass die Menschen in Asien leiden müssen, damit wir uns in Deutschland überhaupt noch kostengünstige Klamotten leisten können. Und jetzt die bittere Pointe zum Schluss: Die IFG-Textilfabrik mit den guten Arbeitsbedingungen hat keinen einzigen Kunden aus Deutschland. Sie ist für die Kostendrücker zu teuer. „Aber ihre Produkte wären doch bezahlbar?“, hatte ich Direktor Roshan Ali noch einmal gefragt. „Ja, aber sie wollen einfach nicht bezahlen.“
KiK hat Wochen später Fehler eingeräumt: „Ali Enterprises hat uns auf schmerzliche Weise gezeigt, dass wir uns nur auf das verlassen können, was wir mit eigenen Augen gesehen haben“, so Michael Arretz, Mitglied der Geschäftsführung gegenüber Hinz&Kunzt. Inzwischen habe er sich in Pakistan mit der Organisation PILER getroffen, „um das weitere Vor-gehen zu planen“. Als Soforthilfe für die Frauen gäbe es 250.000 Dollar, für langfristige Hilfen und einen verbesserten Brandschutz will KiK 1,25 Millionen Dollar bereitstellen. Ob das reicht? KiK hatte schon mal Besserung gelobt. Unsere gesamte Berichterstattung über KiK und das Interview lesen Sie unter www.hinzundkunzt.de/kik