Jersualem Boxing Club :
„Hier unten herrscht kein Krieg“

Ring frei für Toleranz: Im Jerusalem Boxing Club trainieren Israelis und Palästinenser gemeinsam. Es geht um flinke Fäuste, saubere Schläge – aber keinesfalls um Politik. Der Hamburger Fotograf Evgeny Makarov hat den Verein besucht.

(aus Hinz&Kunzt 238/Dezember 2012)

Efim ist 67 Jahre alt. Der Journalist und Schriftsteller boxt, seit er 13 ist.

Der Schlag sitzt, der passt. Wie die Faust aufs Auge. Und genau da sollte er ja auch hingehen. Vlad keucht, hat sein Gegenüber gerade ordentlich abgewatscht. Kurze Pause, dann geht der Kampf zwischen dem jungen Israeli und seinem Gegner aus Palästina weiter – die beiden sind erbitterte Gegner. Nach der letzten Runde aber, Vlad hat knapp gewonnen, verlassen sie grinsend den Ring – als Freunde. Trainer Gershon lobt seine Schützlinge, doch als Vlad anfängt, herumzutänzeln und wie sein Idol Muhammad Ali zu posieren, wird er laut: „Wir geben hier nicht an, wir zeigen hier Respekt und Disziplin“, stutzt er den 16-Jährigen zurecht. „Es geht schließlich ums Boxen – und um nichts anderes.“

Für den Hamburger Fotografen Evgeny Makarov ist dies die Schlüsselszene, wenn er an seinen Besuch im Jerusalem Boxing Club zurückdenkt – dem einzigen Verein in Israel, in dem Juden und Palästinenser gemeinsam trainieren. „Die Worte des Trainers bringen es auf den Punkt, warum das Zusammensein im Club so gut funktioniert“, glaubt Evgeny. „Jeder konzentriert sich auf den Sport, keiner diskutiert über Politik oder Religion.“

Drei Wochen lang reiste Evgeny insgesamt für Fotoaufnahmen durch Israel, sah immer wieder Wachposten, Kon-trollstationen, junge Soldaten mit geschulterten Maschinenpistolen. „Wenn ich mit Einheimischen sprach, spürte ich bei ihnen häufig ein Gefühl der Bedrohung und Unsicherheit“, sagt er. Im Boxclub sei das anders gewesen. Evgeny hatte bereits vor seiner Ankunft in Jerusalem von dem Verein gehört – und war fasziniert von der Idee, durch Sport Toleranz zwischen Israelis und Palästinensern zu fördern. „Hier unten herrscht kein Krieg“, habe Trainer Gershon ihm gleich zur Begrüßung erklärt. „Die Politik bleibt draußen vor der Tür.“

Evgeny musste allerdings einige Zeit suchen, bis er diese Tür fand: Der Eingang zum Verein befindet sich auf einem Parkplatz, „mitten im Nirgendwo“ im Süden der Stadt. Von dort geht es abwärts, drei Meter unter die Erde in einen ehemaligen Luftschutzbunker. Die Wände entlang der Treppen und in den zwei Trainingsräumen sind gepflastert mit Wimpeln, Flaggen und Postern von international bekannten Boxstars. Auf Regalen stapeln sich Pokale und Medaillen, dazwischen lächelt Russlands Präsident Putin von einem Bild herab auf die Trainierenden: Viele der insgesamt rund 200 Vereinsmitglieder – der Jüngste gerade acht, der Älteste über 60 – stammen aus Russland oder den ehemaligen Sowjetrepubliken. „Mein Glück“, berichtet Evgeny, der bis zu seinem siebten Lebensjahr in St. Petersburg aufwuchs. „So konnte ich mich mit ihnen auf Russisch unterhalten. Englisch sprechen dort nicht so viele.“

Alexander kam mit 13 von Moskau nach Israel, er ist erst seit Kurzem dabei.

Auch Trainer Gershon habe bei seinen Anweisungen häufig vom Hebräischen ins Russische gewechselt: Der 68-Jährige kommt aus Usbekistan. Dass ausgerechnet er einmal zur Toleranz zwischen Israelis und Palästinensern beitragen sollte, hätte er als junger Mann wohl selbst nicht geglaubt. Gemeinsam mit seinen drei Brüdern emigrierte er Anfang der 70er-Jahre nach Jerusalem, meldete sich dort als strenggläubiger Jude sofort bei der Armee, um „meine neue Heimat zu verteidigen“, wie er Evgeny berichtete. Wegen illegalen Waffenbesitzes saß Gershon sogar für sechs Monate im Gefängnis und stand zwei Jahre unter Hausarrest. Doch dann berappelte er sich: „Ihm wurde klar, dass dieses ständige Sich-gegenseitig-Bekämpfen zu nichts führt“, erzählt Evgeny. „Stattdessen wollte er nun helfen, Vorurteile abzubauen.“ Ausgerechnet mit Boxen? Gerade! Denn Gershon, der tagsüber als Hausmeister arbeitet und in seiner Freizeit Gedichte schreibt, sieht es so: „Hier im Club lernt jeder schnell zu sein, fair zu sein und erfolgreich zu sein.“ Wer erfolgreich sei, habe großes Selbstbewusstsein. „Und wer selbstbewusst ist, hat keinen Grund, gegenüber anderen aggressiv zu werden.“

Gershon, selbst ehemaliger Boxchampion im Halbschwergewicht, trainiert in seinem Verein mittlerweile seit mehr als 30 Jahren Israelis und Palästinenser, Jungen und Mädchen, Kinder und Alte. „Zu mir dürfen alle kommen, die boxen möchten“, erklärte er Evgeny. „Und hat einer kein Geld, darf er trotzdem kommen.“ Gershon kümmert sich gerne um seine Schützlinge, fachsimpelt mit ihnen, erkundigt sich nach den Familien, fragt auch nach Problemen in der Schule. „Die Atmosphäre im Club ist sehr herzlich, richtig familiär“, findet Evgeny. Dazu die kitschigen Tapeten, viel Nippes und scheppernde Klezmer- oder schweißtreibende Techno-Musik – auf den ersten Blick wirke das sehr leger, eher wie ein Provisorium als wie eine professionelle Kaderschmiede. Doch dieser Eindruck täusche: „Gershon scheucht seine Boxer ganz schön rum. Gute Leistungen sind ihm wichtig, das zeigen auch die vielen Pokale.“

„Alle sind froh, hier unten eine Auszeit von politischen Debatten nehmen zu können“ – Fotograf Evgeny Makarov

Ob jung, ob schon älter, Anfänger oder Fortgeschrittener: Trainiert wird gemeinsam.

Tatsächlich nehmen viele von Gershons Jungs erfolgreich an internationalen Wettkämpfen teil, einer seiner größten Hoffnungsträger ist der Muhammad-Ali-Fan Vlad. Er trainiert besonders hart, weil er als Profiboxer den sonst für alle Israelis verpflichtenden zweijährigen Militärdienst umgehen kann. „Alle, mit denen ich im Verein gesprochen habe, sind froh, hier unten eine Auszeit von politischen Debatten nehmen zu können“, erzählt Evgeny. Viele hätten sogar genervt reagiert, als er sie nach eventuellen Problemen beim gemeinsamen Training fragte. „Wer im Ring zusammen schwitzt, kommt sich zwangsläufig näher“, meinte der Palästinenser Ismail, der seit mehr als zehn Jahren regelmäßig in den Club kommt. „Wir sind hier wie Brüder“ – mehr gebe es dazu nicht zu sagen. „Für die Vereinsmitglieder ist der Konflikt kein Thema“, glaubt deshalb Evgeny. „Es geht ihnen einfach um den Spaß am Sport. Und den haben sie.“

Genau wie Gershon, immer noch, nach all den Jahren. Vor allem, wenn so etwas  Unerwartetes passiert, wie damals die Geschichte mit der Einladung: Ein junger Palästinenser überreichte sie ihm eines Abends, ganz feierlich, direkt nach dem Training. „Ich sollte zu seiner Hochzeit kommen!“, erzählte Gershon Evgeny, immer noch leicht ungläubig. „Ich, ein Jude!“ Hingegangen sei er nach Rücksprache mit dem Bräutigam zwar letztlich nicht: „Das wäre wohl doch etwas zu viel des Guten gewesen. Wer weiß, wie die anderen Gäste reagiert hätten.“ Die Einladung will er aber aufbewahren, als Vertrauensbeweis des Palästinensers: „Sie zeigt, dass ich zu seiner Familie gehöre.“

Text: Maren Albertsen
Foto: Evgeny Makarov

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