Beim Fototermin für unsere „Herbergssuche“ taucht vor der Villa Behnke in Horn plötzlich die Staatsgewalt auf. Und wirft uns Hausfriedensbruch vor.
Maria und Josef machen ganz schön was mit. Besser gesagt India und Philipp, die die beiden biblischen Figuren für uns darstellen. Mit ihnen sind wir auf „Herbergssuche“: Wir fahren mit den Schauspielern durch Hamburg zu Orten, wo Menschen untergebracht werden, die keine dauerhafte Bleibe bekommen. Oder wo sie untergebracht werden könnten. Dort wollen wir die beiden fotografieren und mit den Bildern unsere Artikel zur „Wohnungsnotstadt Hamburg“ schmücken.
Unsere erste Station ist die Villa Behnke in Horn: Ein Haus der Stadt, das seit Jahren leer steht. Aktivisten wollten, dass das nicht länger so bleibt – und besetzten die Villa Ende Oktober. Unsere Maria und Josef schauen sich das aus der Nähe an. Als wir unser Gepäck ausladen, spricht uns eine Frau an: „Habt ihr´s endlich geschafft?“, fragt sie freundlich. Sie hält uns offenbar für Hausbesetzer. Das ist als Kompliment gemeint: „Das sind ganz liebe junge Leute. Und das macht ja Sinn, was die tun.“ Christiane wohnt gleich gegenüber in einem Hochhaus, einem ehemaligen Wohnheim, das zu einer Art Hostel umgebaut wurde. Christiane sucht dringend eine Wohnung, denn sie wohnt zwar schon ein Jahr im Hostel – einen festen Mietvertrag hat sie aber nicht. „Wir haben schon oft davon geträumt, aus der Villa eine WG zu machen“, sagt sie und wünscht uns noch viel Glück für unser Fotoprojekt.
„Nur Nazareth als Anschrift reicht nicht“ – Polizistin bei der Aufnahme der Personalien
Das rostige Türchen zum Aufgang zur Villa steht offen. Wir gehen hindurch und bauen auf dem Treppenabsatz unser Fotoset auf. Kaum hat Fotograf Gunnar India und Philipp platziert und losgelegt, bekommen wir Gesellschaft: Ein Polizeiwagen fährt vor. Wirklich überrascht sind wir nicht: Hier war ja in letzter Zeit viel los. Doch wir haben uns nichts vorzuwerfen, haben keine Türen aufgebrochen oder irgendetwas beschädigt. Wir stehen auf einer für jedermann zugänglichen Treppe und fotografieren. Denken wir. Denn die Beamten klären uns – freundlich und mit viel Verständnis – auf, dass sie das anders sehen. Tatsächlich hätten wir mit dem Betreten der Treppe Hausfriedensbruch begangen. Das sei eine Straftat und die müsste als solche verfolgt werden. Unsere Personalien werden aufgenommen. Wir sind entsetzt – vor allem weil wir India und Philipp in eine solche Situation bringen.
Wie geht’s jetzt weiter? Die Polizeibeamten machen sich die Mühe und rufen ihren Dienststellenleiter an. Der wiederum wendet sich an die Saga GWG, die das Haus für die Stadt verwaltet – und das Recht hat, uns wegen Hausfriedensbruch anzuzeigen. Die Polizei muss außerdem ermitteln, ob ein öffentliches Interesse besteht, unser Vergehen an die Staatsanwaltschaft weiterzuleiten. Puh! Die Polizeibeamten telefonieren herum und klären uns über unsere Rechte auf. Ein Außenstehender würde es bestimmt komisch finden, wie ein Polizeibeamter in Uniform die als Maria kostümierte India belehrt und zwischenzeitlich mit der – ebenfalls biblischen – Eva verwechselt, was India wiederum gar nicht auffällt, weil sie mit zweitem Vornamen Eva heißt. Eine Beamtin bittet Philipp alias Josef um seine Anschrift: „Nur ,Nazareth‘ reicht leider nicht.“ Wir können darüber gerade nicht lachen und wollen am liebsten nur weg. Dürfen wir auch, nachdem die Beamten noch die Chipkarte mit den eben entstandenen Fotos einstecken. Das seien schließlich Beweismittel.
Straftat, Strafanzeige, Staatsanwalt – das ist harter Tobak vor allem für India und Philipp. Das ahnten die beiden natürlich nicht, als sie zusagten, für uns die Maria und den Josef zu machen. Umso erstaunlicher: Die beiden wollen nicht sofort nach Hause, sondern sind bereit, weiter mit uns auf Herbergssuche zu gehen. Und siehe da: Kaum sind wir bei unserer nächsten Station, Wohncontainern auf dem Gelände der HAW angelangt, klingelt Gunnars Handy. Der Polizeibeamte gibt Entwarnung: Die Saga verzichtet auf eine Anzeige. Die Chipkarte mit den Fotos können wir noch heute abholen. Und: Später erhalten wir sogar noch nachträglich eine Genehmigung, unsere Fotos zu veröffentlichen.
Happy End – und Auftrieb für den Rest des Tages, an dem wir noch in der Turnhalle des Gustav-Radbruch-Studentenwohnheims fotografieren, wo Studenten im Notfall übernachten können und vor dem Bürogebäude in der Spaldingstraße, wo im Winter Obdachlose schlafen. Nach Groß-Borstel fahren wir nicht mehr. Dort wollten wir eigentlich die Zelte ablichten, die für Flüchtlingsfamilien bereitstehen. Doch die Ausländerbehörde, die dort das Hausrecht hat, hielt von der Idee nicht viel. „Maria und Josef kommen bei uns nicht rein“, hieß es bloß.
Dossier: Wohnungsnotstadt Hamburg
Text und Foto: Beatrice Blank