Wo ein Wille ist, ist auch eine menschenwürdige Unterkunft: 15 Hinz&Künztler verbringen den Winter in einem – jetzt nicht mehr – leerstehenden Bürogebäude.
Stefan ist rund um die Uhr auf dem Brummi. Nachts fährt er seine Stammstrecke nach Kassel – und tagsüber schläft er in einem LKW. Seine Wohnung hat der ehemalige Hinz&Kunzt-Verkäufer vor ein paar Monaten verloren. In der Firma spielte er mit offenen Karten und erzählte dem Chef davon. Lügen oder sich durchmogeln wollte er nicht: „Ich hatte Angst, dass ich auch noch meine Stelle verliere.“ Sein Chef erlaubt ihm, im Ersatz-LKW zu schlafen. Bis heute war das so: Nachts Brummi fahren, tags im Brummi schlafen. Doch der Schlaf-LKW wird jetzt wieder für Transporte gebraucht.
Stefan stünde buchstäblich auf der Straße – könnte er nicht ins Notquartier einziehen. Nicht ins städtische Winternotprogramm. Was soll er da auch: Das hat tagsüber gar nicht geöffnet. Stefan zieht ins Winternotquartier von Hinz&Kunzt. Zusammen mit anderen Obdachlosen wird er bis März in einem bisher leerstehenden Bürogebäude, 20 Minuten vom Zentrum entfernt, wohnen. Das zweistöckige Gebäude hat Hinz&Kunzt von einer großen Hamburger Immobiliengesellschaft gemietet.
Zehn Betten in sechs Zimmern sind schon eingerichtet. Im Untergeschoß gibt es Toiletten und Duschen, oben eine kleine Küche. Die Zimmer sind mit Einzelbetten, Tisch, Stühlen und Schränken zweckmäßig eingerichtet. „Es gibt sogar eine Leselampe“, sagt Hinz&Künztler Thorsten, und knipst sie gleich an. Thorsten macht in den wärmeren Monaten Platte unter der Kennedy-Brücke, genau wie Fritz und Jürgen. Einen Tag vor ihrem Einzug sind sie gemeinsam schonmal zum Hinz&Kunzt-Winternotquartier gefahren – um die Busverbindung auszukundschaften und wo der nächste Waschsalon und Einkaufsmöglichkeiten sind.
Auch Monica Freise ist begeistert. „Genau so habe ich mir das vorgestellt.“ Sie ist als Vertreterin der Sparda-Bank, der wichtigsten Spenderin, zum Einzug gekommen. „Mich freut es besonders, dass hier auch Menschen mit Hunden unterkommen“, sagt die Marketingleiterin. Das ist auch für Hinz&Kunzt wichtig. Denn Obdachlose mit Hunden haben noch weniger Möglichkeiten auf eine Unterkunft als Menschen ohne Hund. Doch von ihren Tieren würden sie sich nie trennen – auch nicht auf Zeit, weiß Monica Freise „Ein Hund ist ein Wegbegleiter, ich würde meinen auch niemals weggeben.“ Da bleibt vielen nur die Straße.
Hut ab: Vermieter und eine großzügige Spende der Sparda-Bank machen das Winternotquartier möglich
Hinz&Künztler Christian sagt, gerade wegen seines kleinen Hundes Socke ist es ihm wichtig gewesen, hier einzuziehen. „Ich habe dem Vorbesitzer versprochen, dass Socke im Winter nicht draußen bleibt.“ Vergangene Nacht haben Christian und Socke zum vorerst letzten Mal Platte gemacht. Die vergangenen Monate haben sie auf dem Parkplatz einer Kirchengemeinde geschlafen. „Das ist eine gute Platte“, sagt Christian. „Sauber und trocken. Und die Gemeinde duldet uns da.“ Trotzdem: Das Leben auf der Straße ist anstrengend. In den kommenden Monaten mit einem festen Dach über dem Kopf wird Christian eine Menge Zeit und Energie allein dadurch sparen, dass er seine Habseligkeiten nicht ständig mit sich herumtragen muss.
Dass der Vermieter das Haus zur Verfügung stellt, ist nicht selbstverständlich, findet Monica Freise. „Super, dass das so schnell möglich gemacht wurde. Ohne Vorurteile und ganz unbürokratisch. Hut ab!“
Hut ab: Das gilt vor allem für das finanzielle Engagement der Sparda-Bank. Die stellt jetzt schon zum dritten Mal 20.000 Euro zur Verfügung – und zwar unaufgefordert. Das Geld kommt aus einem besonderen Spendentopf: 25 Cent von jedem sogenannten Gewinnsparlos, das Sparda-Kunden kaufen, landen darin. Einmal im Jahr wird das Geld ausgeschüttet. Ein Komitee prüft, an wen. Nur gemeinnützig muss der Zweck sein. „Wir machen viel für Kinder und Jugendliche in Sportprojekten“, sagt Monica Freise.
Im Herbst 2010 hatten sie und ihre Kollegen erstmals überlegt, wo das Geld aus dem Spendentopf noch gut angelegt sein könnte. „Schnell dachten wir an Hinz&Kunzt.“ Die 20.000 Euro von der Sparda-Bank machten unser erstes Winternotquartier in einem Monteursheim möglich, ein Jahr später auch die Wiederholung. Und jetzt bezahlen wir von dem Geld die Miete und die Einrichtung für das neue Winternotquartier.
Dass die Hinz&Künztler nicht wieder im Monteursheim einziehen, sondern in das leerstehende Gewerbehaus, hat mehrere Gründe. Zum einen kostet es weniger Geld. Zudem sind wir beziehungsweise die Bewohner dort noch eigenständiger. Und es hat auch einen aktuellen politischen Hintergrund. In Hamburg stehen etliche Bürogebäude leer. Nicht nur große Komplexe, sondern auch kleinere Einheiten. Gleichzeitig werden Menschen, die keine Wohnung finden, in zu große und oft unwürdige Unterkünfte gezwungen: Studenten in Turnhallen, Einwanderer in Zelte, Obdachlose in Hochhäuser.
Zum einen viel Gewerbeleerstand, zum anderen viele Wohnungslose: Die Lösung liegt nahe
Für uns ist die naheliegende Lösung, zumindest vorübergehend: Leerstehende Häuser, die mit Wasser, Strom und sanitären Einrichtungen ausgestattet sind, in Unterkünfte zu verwandeln. Wie das geht, haben wir vorgemacht: Streichen, möblieren, ein paar Schlüssel nachmachen, fertig. Innerhalb weniger Tage können Menschen einziehen. Optimalerweise bleiben sie, bis sie eine Wohnung gefunden haben.
Wichtig bei Wohnprojekten wie unserem: Dass die Gruppen möglichst klein bleiben. Hinz&Kunzt-Sozialarbeiter Stephan Karrenbauer ist überzeugt: „Wenn es nur acht, zehn oder maximal 15 Personen sind, schaffen die es, sich selbst zu organisieren.“ Denn Badbenutzung und Spüldienst müssen natürlich abgesprochen werden. „Das wird spannend“, glaubt Hinz&Künztler Stefan.
Aber jetzt kommen die Hinz&Kunzt-Verkäufer erst mal an in ihrem Winterquartier. Stefan hat sich einen Kaffee gemacht. Jürgen und Thorsten ziehen los zum Discounter, Lebensmittel kaufen. Christian stapelt ordentlich seine T-Shirts im neuen Schrank und überlegt, dass er ein Paar Pantoffeln brauchen könnte, während Socke schnüffelnd das Stockwerk erkundet.
Monica Freise freut sich für alle elf Bewohner, die heute schon eingezogen sind – neun Menschen und zwei Hunde. „Das ist ein toller Anfang, sagt sie. Aber es gibt ja noch so viel mehr Menschen, die so etwas brauchen könnten.“ Sie blickt aus dem Fenster und zeigt auf ein zweistöckiges Gebäude auf der gegenüberliegenden Seite des Innenhofes. „Was ist denn damit. Steht das vielleicht auch leer?“
Text: Beatrice Blank
Fotos: Mauricio Bustamante